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ARZNEISTOFFE

Selpercatinib|Retsevmo®|86|2021

STOFFGRUPPE
86 Zytostatika, andere antineoplastische Mittel und Protektiva
WIRKSTOFF
Selpercatinib
FERTIGARZNEIMITTEL
Retsevmo®
HERSTELLER

Lilly

MARKTEINFÜHRUNG (D)
03/2021
DARREICHUNGSFORM

40 mg Hartkapseln

80 mg Hartkapseln

ATC-CODE
L01EX22
ORPHAN DRUG
Nein

Indikationen

Retsevmo ist als Monotherapie zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit fortgeschrittenem RET(rearranged during transfection)-Fusions-positivem nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen NSCLC, die zuvor nicht mit einem RET-Inhibitor behandelt wurden.

 

Außerdem ist es als Monotherapie zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit fortgeschrittenem RET-Fusions-positivem Schilddrüsenkarzinom, die nach einer Behandlung mit Sorafenib und/oder Lenvatinib eine systemische Therapie benötigen.

 

Retsevmo ist außerdem als Monotherapie zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren mit fortgeschrittenem RET-mutiertem medullären Karzinom der Schilddrüse (MTC), die nach einer Behandlung mit Cabozantinib und/oder Vandetanib eine systemische Therapie benötigen.

 

In allen drei Indikationen ist vor dem Einsatz von Retsevmo eine molekularbiologische Abklärung des RET-Status erforderlich. Hierbei sollte das Vorhandensein einer RET-Mutation (MTC) oder einer RET-Genfusion (nicht medulläres Schilddrüsenkarzinom, NSCLC) durch einen validierten Test bestätigt werden.

Wirkmechanismus

Selpercatinib ist ein hochselektiver RET-Inhibitor.

Anwendungsweise und -hinweise

Patienten mit einem Körpergewicht unter 50 kg nehmen zweimal täglich 120 mg Selpercatinib ein, ab 50 kg Körpergewicht sind es zweimal täglich 160 mg.

 

Die Patienten sollen die Kapseln als Ganzes einnehmen und die Kapsel vor dem Schlucken nicht öffnen, zerbrechen oder kauen. Die Einnahme kann mit oder ohne Nahrung erfolgen. Die Patienten sollten die Kapseln jeden Tag ungefähr zur gleichen Uhrzeit einnehmen. Im Fall einer gleichzeitigen Therapie mit einem Protonenpumpen-Inhibitor muss Retsevmo mit Nahrung eingenommen werden.

 

Die jeweils vorgesehene Selpercatinib-Dosis sollte um 50 % reduziert werden, wenn sie parallel mit einem starken CYP3A-Inhibitor verabreicht wird. Wenn der CYP3A-Inhibitor abgesetzt wird, sollte Selpercatinib auf die Dosis erhöht werden, die vor Einnahme des Inhibitors verwendet wurde.

 

Der Blutdruck sollte vor und während der Behandlung überwacht und je nach Notwendigkeit mit einer antihypertensiven Standardtherapie behandelt werden. Mit Vorsicht sollte der neue Wirkstoff bei Patienten eingesetzt werden, bei denen eine QT-Intervall-Verlängerung am Herzen durch Selpercatinib zu Problemen führen könnte.

 

Unter Selpercatinib-Behandlung wurden Fälle von Tumorlysesyndrom (TLS) beobachtet. Risikofaktoren hierfür sind eine hohe Tumorlast, eine vorbestehende chronische Niereninsuffizienz, Oligurie, Dehydratation, Hypotonie und saurer Urin. Diese Patienten sollten daher engmaschig überwacht und wie klinisch indiziert behandelt werden. Außerdem sollte eine geeignete Prophylaxe einschließlich Flüssigkeitszufuhr in Betracht gezogen werden.

Wichtige Wechselwirkungen

Die gleichzeitige Anwendung von Selpercatinib mit starken CYP3A4-Induktoren sollte aufgrund des Risikos einer verminderten Wirksamkeit von Selpercatinib vermieden werden.

 

Vermieden werden sollte auch die gleichzeitige Anwendung mit empfindlichen CYP3A4-Substraten, da Selpercatinib deren Plasmaspiegel erhöhen kann. Zu diesen gehören unter anderem Alfentanil, Avanafil, Buspiron, Conivaptan, Darifenacin, Darunavir, Ebastin, Lomitapid, Lovastatin, Midazolam, Naloxegol, Nisoldipin, Saquinavir, Simvastatin, Tipranavir, Triazolam und Vardenafil.

 

Im Falle einer gleichzeitigen Therapie mit einem Protonenpumpen-Inhibitor sollten Patienten die Hartkapseln mit Nahrung einnehmen.

 

Selpercatinib hemmt in vitro außerdem die Transporter MATE1 (multidrug and toxin extrusion protein 1), PGP und BCRP. Die Anwendung von PGP-Substraten sollte mit Vorsicht erfolgen. Zu diesen gehören unter anderem Fexofenadin, Dabigatran, Etexilat, Digoxin, Colchicin und Saxagliptin.

Nebenwirkungen

Häufigste therapieassoziierte unerwünschte Ereignisse vom Grad 3 oder höher waren in Studien zu Selpercatinib erhöhte Werte der Alanin- und der Aspartat-Aminotransferasen sowie Hypertonie.

 

Unter Selpercatinib-Behandlung wurden Fälle von Tumorlysesyndrom (TLS) beobachtet. Risikofaktoren hierfür sind eine hohe Tumorlast, eine vorbestehende chronische Niereninsuffizienz, Oligurie, Dehydratation, Hypotonie und saurer Urin. Diese Patienten sollten daher engmaschig überwacht und wie klinisch indiziert behandelt werden. Außerdem sollte eine geeignete Prophylaxe einschließlich Flüssigkeitszufuhr in Betracht gezogen werden.

Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen

Bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Inhaltsstoffe ist das Arzneimittel kontraindiziert.

Studien

Relevant für die Zulassung beim NSCLC waren die Ergebnisse von 105 Studienteilnehmern, die zuvor neben einer platinbasierten Chemotherapie oft auch Checkpoint-Inhibitoren und/oder Multitarget-Kinasehemmer erhalten hatten. Die Behandlung mit zweimal täglich 160 mg Selpercatinib ermöglichte im primären Endpunkt eine objektive Ansprechrate von 64 Prozent, die unabhängig von der Zahl der Vortherapien oder der Art des RET-Fusionspartners war. Zudem erwies sich Selpercatinib auch bei Hirnmetastasen als wirksam.

 

Basis der Zulassung beim fortgeschrittenen RET-Fusions-positiven Schilddrüsenkarzinom waren 19 Patienten, die nach einer Radioiod-Therapie mit einer weiteren systemischen Therapie, ohne radioaktives Iod, behandelt worden waren, insbesondere mit den Wirkstoffen Sorafenib und/oder Lenvatinib. Hierbei konnte Selpercatinib eine objektive Ansprechrate von knapp 79 Prozent zeigen.

 

Die Zulassung beim fortgeschrittenen, RET-mutierten MTC beruhte auf 55 Patienten, die zuvor Cabozantinib und/oder Vandetanib erhalten hatten. Bei ihnen konnte Selpercatinib eine objektive Ansprechrate von 69 Prozent bewirken, die unabhängig von der Art der RET-Punktmutationen war.

Hintergrundinfos

RET (rearranged during transfection) ist ein Gen auf dem langen Arm des menschlichen Chromosoms 10. Es kodiert für eine Tyrosinkinase, die wesentlich an der embryonalen Entwicklung des gastrointestinalen Nervensystems und der Nieren beteiligt ist. Eine Funktion von RET nach der Geburt ist nicht nachgewiesen, aktivierende Alterationen des Gens spielen jedoch eine Rolle bei der Entstehung maligner Tumore wie Schilddrüsenkarzinomen und nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen (NSCLC). Sie sind auch bei einer Reihe anderer Tumoren wie Darm- und Brustkrebs nachweisbar.

 

Während die RET-Tyrosinkinase bei einer regulären Aktivierung wieder abgeschaltet werden kann, ist sie in Tumoren konstitutiv aktiv. Dies kann durch Fusionen der Tyrosinkinase-Domäne mit einem anderen Gen oder durch Punktmutationen bei der Kinase hervorgerufen werden. Die dauerhafte Aktivierung des Enzyms führt zur gesteigerten Zellproliferation und einer onkogenen Transformation der Zellen über nachgelagerte Signalwege.

 

Aktivierende Genfusionen der RET-Kinase liegen bei etwa 1 bis 2 Prozent aller NSCLC sowie bei etwa 10 Prozent aller papillären Schilddrüsenkarzinome vor. Onkogen wirkende Punktmutationen des Gens sind bei rund 60 Prozent der Patienten mit einem medullären Karzinom der Schilddrüse (MTC) nachweisbar, beim selteneren familiären MTC sogar bei 90 Prozent.

Besonderheiten

Bei der Lagerung von Retsevmo sind keine besonderen Bedingungen zu berücksichtigen.

Retsevmo ist verschreibungspflichtig.

Formeln

Selpercatinib

Selpercatinib

Die dreidimensionale Strukturformel können Sie mit einem kostenlosen Zusatzprogramm aus dem Internet, zum Beispiel Cortona von Parallelgraphics, ansehen (externer Link).

selpercatinib.wrl

Links

Europäischer öffentlicher Beurteilungsbericht (EPAR)

 

Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels

 

Nutzenbewertung des IQWiG vom 11.06.2021 (RET-Fusions-positives NSCLC)

 

Nutzenbewertung des IQWiG vom 11.06.2021 (RET-Fusions-positives Schilddrüsenkarzinom)

 

Nutzenbewertung des IQWiG vom 11.06.2021 (RET-mutiertes medulläres Schilddrüsenkarzinom)

 

Nutzenbewertung des IQWiG vom 28.09.2022 (RET-Fusions-positives NSCLC, Erstlinie)

 

Nutzenbewertung des IQWiG vom 22.12.2022 (RET-mutiertes medulläres Schilddrüsenkarzinom, Erstlinie)

Weitere Hinweise

Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung mit Selpercatinib und für mindestens eine Woche nach der letzten Dosis eine hochwirksame Verhütungsmethode anwenden. Männer mit Partnerinnen im gebärfähigen Alter sollen eine effektive Kontrazeption während der Behandlung und für mindestens eine Woche nach der letzten Dosis anwenden. Der Einsatz von Retsevmo in der Schwangerschaft wird nicht empfohlen und das Stillen sollte während der Behandlung und für mindestens eine Woche nach der letzten Dosis eingestellt werden.

Vorläufige Bewertung

Schrittinnovation

Letzte Aktualisierung: 11.07.2022

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