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ARZNEISTOFFE

Inotuzumab Ozogamicin|Besponsa®|86|2017

STOFFGRUPPE
86 Zytostatika, andere antineoplastische Mittel und Protektiva
WIRKSTOFF
Inotuzumab Ozogamicin
FERTIGARZNEIMITTEL
Besponsa®
HERSTELLER

Pfizer

MARKTEINFÜHRUNG (D)
08/2017
DARREICHUNGSFORM

1 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung

ATC-CODE
L01FB01
ORPHAN DRUG
Ja

Indikationen

Besponsa ist zugelassen für Patienten mit rezidivierter oder refraktärer akuter lymphatischer Leukämie (ALL). Es darf nur bei Erwachsenen mit CD22-positiver B-Vorläufer-ALL eingesetzt werden. Bei Vorliegen eines Philadelphia-Chromosoms sollte eine vorhergehende erfolglose Behandlung mit mindestens einem Tyrosinkinase-Inhibitor erfolgt sein.

Wirkmechanismus

In Inotuzumab Ozogamicin ist der gegen den B-Zell-Rezeptor CD22 gerichtete monoklonale Antikörper Inotuzumab kovalent an Ozogamicin gebunden, ein Derivat der hochgradig zelltoxischen Substanz Calicheamicin. Bindet Inotuzumab Ozogamicin an CD22-exprimierende Tumorzellen, wird es zusammen mit dem Rezeptor internalisiert. Im Zellinneren wird durch Spaltung des Linkers Ozogamicin freigesetzt. Das führt zu DNA-Doppelstrangbrüchen und letztlich zur Apoptose der Zelle. Ozogamicin wäre für eine alleinige systemische Anwendung viel zu toxisch. Dadurch dass der Antikörper das Zellgift gezielt in die Tumorzellen einschleust, ist aber die Menge von Ozogamicin, mit der der Körper belastet wird, sehr gering.

Anwendungsweise und -hinweise

Besponsa wird in Zyklen gegeben, von denen der erste üblicherweise 21 und die darauffolgenden 28 Tage umfassen. Als Gesamtdosis für den ersten Zyklus werden 1,8 mg pro m2 Körperoberfläche empfohlen, die auf die Tage 1 (0,8 mg pro m2), 8 und 15 (je 0,5 mg pro m2) aufzuteilen sind. Für die Folgezyklen werden als Gesamtdosis je 1,5 mg pro m2 empfohlen, aufgeteilt auf drei Einzeldosen à 0,5 mg pro m2 an den Tagen 1, 8 und 15. Patienten mit bevorstehender hämatopoetischer Stammzelltransplantation (HSCT) sollten nur zwei, maximal drei Zyklen erhalten. Ist keine anschließende HSCT möglich, können insgesamt bis zu sechs Zyklen verabreicht werden.

 

Die intravenöse Infusion muss über den Zeitraum von einer Stunde gegeben werden. Vor jeder Gabe wird eine Prämedikation mit Corticosteroiden, Antipyretika und Antihistaminika angeraten; bei Patienten mit hoher Tumorlast werden zudem vor der Infusion Präparate zur Senkung des Harnsäurespiegels empfohlen sowie eine ausreichende Hydratation. Die Patienten sollten während und für mindestens eine Stunde nach Beendigung der Infusion überwacht werden. Eine vollständige Ausrüstung zur Wiederbelebung muss unmittelbar verfügbar sein.

Wichtige Wechselwirkungen

Bei Patienten, die Inotuzumab Ozogamicin erhielten, wurden verlängerte QT-Intervalle beobachtet. Eine gleichzeitige Anwendung von Inotuzumab Ozogamicin mit Arzneimitteln, die bekanntermaßen zu verlängerten QT-Intervallen führen oder eine Torsade-de-Pointes- Tachykardie induzieren können, sollte daher sorgfältig abgewogen beziehungsweise das QT-Intervall überwacht werden.

Nebenwirkungen

Eine der wichtigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen von Besponsa in der Zulassungsstudie war die venookklusive Lebererkrankung (VOD), die auch als sinusoidales Obstruktionssyndrom (SOS) bezeichnet  wird. Dabei kommt es infolge einer toxischen Schädigung von Leberkapillaren (Sinusoide) zu einem Verschluss kleiner Venen in der Leber. Das Blut staut sich, die Leber vergrößert sich und wird zunehmend zerstört. Beim Auftreten dieser potenziell tödlichen Komplikation muss die Therapie mit Besponsa endgültig beendet werden. Um das Risiko zu senken, dürfen Patienten mit schwer vorgeschädigter Leber gar nicht erst behandelt werden. Ein weiterer Risikofaktor für eine VOD, eine Chemotherapie, die zwei Alkylanzien enthält, ist vor und nach der Therapie mit Besponsa zu vermeiden.

 

Weitere schwere Nebenwirkungen betreffen die Blutbildung. Vor jeder Besponsa-Dosis muss deshalb ein großes Blutbild gemacht werden. Auch eine QT-Zeit-Verlängerung ist möglich, weshalb regelmäßige EKG- und Elektrolytspiegel-Kontrollen empfohlen werden. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehörten in Studien Thrombozyto-, Neutro- und Leukopenie, Infektion und Anstieg der Leberwerte. Die häufigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen waren Infektion, febrile Neutropenie, Blutung, Bauchschmerzen, Fieber, VOD/SOS und Fatigue.

Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen

Besponsa ist kontraindiziert bei Patienten mit vorhergehender bestätigter schwerer oder bestehender venookklusiver Lebererkrankung/Sinusoidal Obstruction Syndrome (VOD/SOS) sowie bei Patienten mit schwerer bestehender Lebererkrankung (zum Beispiel Leberzirrhose, nodulär regenerative Hyperplasie der Leber, aktive Hepatitis).

Bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Inhaltsstoffe ist das Arzneimittel kontraindiziert.

Studien

Ausschlaggebend für die Zulassung von Besponsa waren die Ergebnisse der Phase-III-Studie INO-VATE ALL, an der 326 Patienten mit rezidivierter oder refraktärer ALL teilgenommen hatten. Sie erhielten randomisiert entweder Besponsa oder Chemotherapie. Von den 218 Patienten, die im Rahmen einer Intention-to-treat-Analyse ausgewertet werden konnten, erreichten in der Besponsa-Gruppe signifikant mehr den primären Endpunkt komplette Remission (80,7 versus 29,4 Prozent). Für die Auswertung des zweiten primären Endpunkts Gesamtüberleben konnten die Daten aller 326 Patienten herangezogen werden. Auch hier erwies sich Besponsa im Vergleich zur Chemotherapie als überlegen mit einem medianen Gesamtüberleben von 7,7 versus 6,7 Monaten.

Hintergrundinfos

Bei der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) sind Vorläuferzellen von Lymphozyten bösartig entartet, was zu einer rasch fortschreitenden Störung der Blutbildung führt. Die Folgen sind allgemeine Schwäche, Blutungs- und Infektionsneigung. Unbehandelt führt die ALL innerhalb von Wochen bis wenigen Monaten zum Tod. Bei Kindern ist sie mit 80 Prozent die häufigste Leukämieform. Bei Erwachsenen ist die ALL seltener: Sie erkranken generell häufiger an chronischen Leukämien als an akuten, und unter den akuten Leukämien überwiegt im Erwachsenenalter die myeloische Form.

 

Die Behandlung besteht aus einer Kombinations-Chemotherapie und gegebenenfalls Bestrahlung, bei Vorliegen eines sogenannten Philadelphia-Chromosoms wird zusätzlich ein Tyrosinkinase-Hemmer wie Imatinib gegeben. Spricht der Patient auf die initiale Therapie nicht an oder ist sie wirkungslos, ist die Prognose schlecht. Bei Erwachsenen beträgt das Gesamtüberleben mit rezidivierter oder refraktärer ALL durchschnittlich drei bis sechs Monate. Bisheriger Therapiestandard in dieser Situation ist eine erneute intensive Polychemotherapie, mit der jedoch nur bei weniger als der Hälfte der Patienten eine Remission erreicht werden kann.

 

Ozogamicin, die zelltoxische Komponente in Besponsa, ist an einen anderen Antikörper gekoppelt bereits vorübergehend in den USA auf dem Markt gewesen. Gemtuzumab Ozogamicin (Mylotarg®) richtete sich gegen CD33-positive Krebszellen von Patienten mit akuter myeloischer Leukämie. Die Zulassung im Jahr 2000 beruhte auf vielversprechenden Studiendaten auf der Basis von Surrogatparametern. Nachdem jedoch eine weitere Studie ergeben hatte, dass Patienten unter Mylotarg plus herkömmlicher Chemotherapie keinen Nutzen gegenüber der Standardtherapie hatten, nahm Hersteller Pfizer das Präparat 2010 auf Anraten der Zulassungsbehörde FDA vom Markt. Aufgefallen war insbesondere die Lebertoxizität des Medikaments. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte 2008 einen Zulassungsantrag von Mylotarg aufgrund des negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses abgelehnt.

Besonderheiten

Besponsa ist im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C und in der Originalverpackung aufzubewahren.

Zur Rekonstitution mit Wasser für Injektionszwecke und Verdünnung in isotoner Kochsalzlösung enthält die Fachinformation detaillierte Anweisungen. Wichtig ist, dass das Medikament während der Rekonstitution, Verdünnung und Anwendung vor ultraviolettem Licht geschützt wird. Zwischen der Rekonstitution und dem Ende der Anwendung sollten höchstens acht Stunden liegen.

Besponsa ist verschreibungspflichtig.

Weitere Hinweise

Da Inotuzumab Ozogamicin reproduktionstoxisch ist, müssen Frauen während der Therapie und für mindestens acht Monate nach Verabreichung der letzten Dosis, Männer bis fünf Monate danach sicher verhüten. Frauen dürfen während der Therapie und bis mindestens zwei Monate danach nicht stillen.

Packshot

Letzte Aktualisierung: 30.04.2019

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