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ARZNEISTOFFE

Talquetamab|Talvey®|86|2023

 
STOFFGRUPPE
86 Zytostatika, andere antineoplastische Mittel und Protektiva
WIRKSTOFF
Talquetamab
FERTIGARZNEIMITTEL
Talvey®
HERSTELLER

Johnson & Johnson

MARKTEINFÜHRUNG (D)
09/2023
DARREICHUNGSFORM

2 mg/ml Injektionslösung

40 mg/ml Injektionslösung

ATC-CODE
L01FX29
ORPHAN DRUG
Nein

Indikationen

Talvey ist zugelassen zur Monotherapie von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem und refraktärem multiplen Myelom, die zuvor bereits mindestens drei Therapien erhalten haben und deren Erkrankung unter der letzten Behandlung fortgeschritten ist. Zu den Vortherapien müssen ein Immunmodulator, ein Proteasom-Inhibitor und ein Anti-CD38-Antikörper gehören.

Wirkmechanismus

Talquetamab ist ein bispezifischer Antikörper. Er richtet sich gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren der Familie C, Gruppe 5, Mitglied D (GPRC5D) auf Myelomzellen einerseits und CD3-Rezeptoren auf T-Zellen andererseits. Bindet Talquetamab mit seinem einen Ende an GPRC5D und mit dem anderen an CD3, werden die beiden Zellen einander angenähert; die T-Zelle wird aktiviert und tötet die Myelomzelle ab. Außer auf Myelomzellen kommt GPRC5D nur in sehr geringem Umfang auf gesunden B-Zellen und B-Vorläuferzellen sowie auf Haarfollikel- und Hautzellen vor.

Anwendungsweise und -hinweise

Talquetamab wird einschleichend dosiert. Für die ersten beiden Titrationsschritte steht Talvey als Injektionslösung mit der Konzentration 2 mg/ml zur Verfügung, für die Erhaltensdosen dann mit 40 mg/ml. Beide Lösungen dürfen nicht gemischt werden, um eine gewünschte Dosis zu erhalten. Verwechslungen der beiden unterschiedlich hoch konzentrierten Lösungen müssen vermieden werden.

 

Die empfohlene Erhaltungsdosis beträgt 0,4 mg Talquetamab pro kg Körpergewicht (KG) einmal wöchentlich oder 0,8 mg Talquetamab pro kg KG einmal alle zwei Wochen. Die zweiwöchentliche Gabe kommt nur für Patienten in Betracht, die auf die wöchentliche Gabe adäquat ansprechen. Die Applikation erfolgt subkutan am Bauch oder an einer anderen geeigneten Stelle, die nicht tätowiert, vernarbt oder in irgendeiner Form nicht intakt ist. Wenn mehrere Injektionen erforderlich sind, sollen diese im Abstand von mindestens 2 cm zueinander erfolgen.

 

Eine Prämedikation mit einem Corticosteroid, einem Antihistaminikum und einem Antipyretikum, gegeben eine bis drei Stunden vor der Talquetamab-Injektion, ist während der Aufdosierungsphase Pflicht und kann auch während der Erhaltungsphase noch notwendig sein. Sie dient in erster Linie dazu, das Risiko für ein Zytokin-Freisetzungssyndrom zu verringern, das in Studien die häufigste und auch die häufigste schwerwiegende Nebenwirkung war.

 

Talquetamab darf bei Patienten mit aktiver schwerwiegender Infektion nicht angewendet werden. Vor und während der Therapie sind die Patienten engmaschig zu überwachen und gegebenenfalls (auch prophylaktisch) mit Antibiotika zu behandeln. Eine Impfung mit Lebendvirusimpfstoffen ist mindestens vier Wochen vor Beginn der Behandlung, währenddessen und mindestens vier Wochen danach zu unterlassen.

Wichtige Wechselwirkungen

Talquetamab verursacht die Freisetzung von Zytokinen. Diese können die Aktivität von CYP-Enzymen unterdrücken, was zu einer veränderten Exposition von CYP-Substraten führen kann. Das höchste Risiko für Arzneimittelwechselwirkungen wird ab Beginn der Step-up Phase bis zu neun Tage nach der ersten Behandlungsdosis und während und nach einem Zytokin-Freisetzungssyndrom erwartet. Patienten, die gleichzeitig Arzneimittel erhalten, die CYP-Substrate mit enger therapeutischer Breite sind, müssen daher diesbezüglich überwacht werden. Die Dosis gleichzeitig angewendeter CYP-Substrate (zum Beispiel CYP2C9, CYP2C19, CYP3A4/5, CYP2D6) soll bei Bedarf angepasst werden.

Nebenwirkungen

Die häufigsten Nebenwirkungen in Studien zu Talquetamab waren Zytokin-Freisetzungssyndrom, Geschmacksstörung, Hypogammaglobulinämie, Nagelerkrankungen, Muskel- und Skelettschmerzen, Anämie und Hauterkrankungen. Häufigste schwerwiegende Nebenwirkungen waren unter anderem Zytokin-Freisetzungssyndrom, Fieber und ein Immuneffektorzell-assoziiertes Neurotoxizitätssyndrom (ICANS). Letzteres kann mit mit Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen, Desorientierung, Somnolenz, Lethargie und Bradyphrenie einhergehen. Treten derartige neurologische Symptome auf, soll der Patient unverzüglich einen Arzt aufsuchen. Er darf dann kein Fahrzeug führen oder gefährliche Maschinen bedienen.

Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen

Bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Inhaltsstoffe ist das Arzneimittel kontraindiziert.

Studien

Die Grundlage der Zulassung von Talvey bildete die einarmige, offene Studie MonumenTAL-1, an der 339  Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplen Myelom teilnahmen. Die Teilnehmer waren mindestens dreifach vorbehandelt; unter den Vortherapien mussten ein Immunmodulator, ein Proteasom-Inhibitor und ein Anti-CD38-Antikörper gewesen sein. Bezüglich der Wirksamkeit von Talquetamab wurden nur Patienten ausgewertet, die zuvor keine T-Zell-Redirektionstherapie erhalten hatten. Dies waren 143 Patienten, die Talquetamab in der Dosierung 0,4 mg/kg KG wöchentlich erhielten, und 145 Patienten mit der Dosierung 0,8 mg/kg KG alle zwei Wochen.

 

Aus der erstgenannten Gruppe sprachen 106 Patienten (74 Prozent) auf die Therapie an. Bei 34 Patienten (24 Prozent) handelte es sich dabei um eine stringente komplette Remission, bei 14 (10 Prozent) um eine komplette Remission, bei 37 (26 Prozent) um ein sehr gutes partielles Ansprechen und bei 21 (15 Prozent) um ein partielles Ansprechen. In der Gruppe mit zweiwöchentlichem Dosisintervall lag die Gesamtansprechrate bei 72 Prozent (104 Patienten), wobei 43 Patienten (30 Prozent) eine stringente komplette Remission zeigten, 13 (9 Prozent) eine komplette Remission, 32 (22 Prozent) ein sehr gutes partielles Ansprechen und 16 (11 Prozent) ein partielles Ansprechen. Die mediane Dauer des Ansprechens betrug in der ersten Gruppe 9,5 Monate und war in der zweiten Gruppe nach 12,7 Monaten noch nicht abschätzbar.

Hintergrundinfos

Am multiplen Myelom, einer Tumorerkrankung aus der Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome, erkranken pro Jahr etwa sechs bis acht Personen pro 100.000 Einwohner. Nach anfänglichem Ansprechen auf eine Therapie verliert diese bei Patienten mit multiplem Myelom häufig ihre Wirksamkeit, sodass weitere Therapielinien notwendig werden. Wirkstoffgruppen, die dabei eingesetzt werden, sind etwa Immunmodulatoren, Proteasom-Inhibitoren und Anti-CD38-Antikörper. Zuletzt haben außerdem T-Zell-Redirektionstherapeutika, die auf das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA) auf Myelomzellen abzielen, die Therapieoptionen beim multiplen Myelom erweitert.

Besonderheiten

Talvey ist bei Temperaturen von 2–8 °C sowie vor Licht geschützt (Originalkarton) zu lagern. Vorbereitete Spritzen sollen sofort verwendet werden. Falls dies nicht möglich ist, können sie bis zu 24 Stunden bei Kühlschrank- oder Raumtemperatur (15–30 °C) gelagert werden.

Talvey ist verschreibungspflichtig.

Weitere Hinweise

Während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird die Anwendung von Talquetamab nicht empfohlen. In der Stillzeit sollen Frauen während der Behandlung und mindestens drei Monate nach der letzten Dosis nicht stillen.

Vorläufige Bewertung

Sprunginnovation

Letzte Aktualisierung: 27.06.2025

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