Fingolimod|Gilenya®|51|2011 |
Novartis
0,5 mg Hartkapseln
Gilenya ist zugelassen zur Monotherapie von Erwachsenen mit hoch aktiver, schubförmig-remittierend verlaufender MS, die trotz Behandlung mit einem Beta-Interferon eine hohe Krankheitsaktivität haben oder bei denen die Erkrankung rasch fortschreitet und schwer verläuft. Wenn indiziert, können die Patienten in der Regel direkt von Interferonen oder Glatirameracetat auf Fingolimod umgestellt werden. Bei Natalizumab ist eine längere Wartezeit einzuplanen.
Fingolimod ist ein selektives Immunsuppressivum mit einem neuartigen Wirkmechanismus. Strukturell ähnelt Fingolimod dem physiologisch vorkommenden Sphingosin. Das phosphorylierte Molekül Sphingosin-1-Phosphat (S1P) gehört zu den Lipidmediatoren und hat zahlreiche Aufgaben im Körper. Es wirkt über S1P-Rezeptoren; das sind transmembranäre G-Protein-gekoppelte Oberflächenrezeptoren. Die Subtypen 1 bis 3 werden nahezu ubiquitär exprimiert, wobei S1P1 vor allem im Zentralnervensystem, auf Lymphozyten und im Endothel anzutreffen ist. S1P1-Rezeptoren vermitteln unter anderem die Auswanderung von Lymphozyten aus peripherem lymphatischen Gewebe, die Stärkung endothelialer Barrieren, sie sind an der Regelung des vaskulären Tonus und der Herzfrequenz beteiligt und in die Neurogenese involviert. In diese Prozesse greift Fingolimod, das in vivo rasch zur Wirkform phosphoryliert wird, ein. Es wirkt als funktioneller Antagonist an S1P1-Rezeptoren und blockiert so die Migration von Lymphozyten aus den Lymphknoten. Zudem führt eine dauerhafte Blockade der Rezeptoren zu deren Internalisierung, wodurch die Zelle unempfindlich für das »Auswanderungssignal« wird. Letztlich bleiben die T-Zellen in den Lymphknoten hängen. Dies wiederum reduziert die Infiltration pathogener Lymphozyten ins Zentralnervensystem, wo sie an neuronaler Entzündung und der Zerstörung von Nervengewebe beteiligt sind. Zusätzlich wird auch ein zentraler Angriff postuliert, denn Fingolimod kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Es wird dort direkt phosphoryliert. Bereits vier bis sechs Stunden nach der ersten Gabe von 0,5 mg Wirkstoff sinkt die Lymphozytenzahl im peripheren Blut auf etwa 75 Prozent des Ausgangswerts. Bei kontinuierlicher Einnahme sind nach zwei Wochen nur noch etwa 30 Prozent im Blut nachweisbar. Die Leukopenie betrifft nur die zirkulierenden T- und B-Lymphozyten. Da T-Zellen mit Effektor-Memory-Funktion, die für die Immunabwehr in periphren Geweben zuständig sind, normalerweise nicht zu den Lymphorganen wandern, werden sie nicht oder kaum herunterreguliert.
Patienten nehmen einmal täglich eine Kapsel Gilenya unabhängig von den Mahlzeiten ein. Da Fingolimod vorwiegend hepatisch ausgeschieden wird, muss die Dosis bei Niereninsuffizienz nicht angepasst werden.
Antineoplastische, immunsuppressive oder immunmodulatorische Arzneimittel sollten nicht gleichzeitig mit Fingolimod angewendet werden, da eine additive Wirkung auf das Immunsystem befürchtet werden muss.
Der Effekt von Impfungen kann durch die Therapie mit Fingolimod vermindert werden; Lebendimpfstoffe sollten wegen eines erhöhten Impfrisikos nicht gegeben werden.
Fingolimod wird vorwiegend über CYP4F2 metabolisiert. Eine Hemmung, etwa durch Ketoconazol, führt zu erhöhten Fingolimod-Spiegeln. Vorsicht ist auch geboten bei der gleichzeiten Anwendung von CYP3A4-Hemmern wie Proteaseinhibitoren oder CYP3A4-Induktoren wie Rifampicin. Insbesondere von der gleichzeitigen Anwendung von Echtem Johanniskraut rät die Fachinformation ab.
Schwere Nebenwirkungen unter der Therapie mit Fingolimod waren Infektionen, Makulaödeme und ein vorübergehender atrioventrikulärer Block (zu Therapiebeginn). Am häufigsten traten Kopfschmerzen, Influenza, Diarrhö, Rückenschmerzen, Husten und ein Anstieg der Leberenzyme auf. Letzteres führte auch am häufigsten zum Therapieabbruch. Bei Gabe der (nicht zugelassenen) 1,25-mg-Dosierung kam es zweimal zu einer tödlichen Herpes-Infektion. Wenn der Patient noch keine Windpocken hatte und nicht gegen Varicella zoster geimpft ist, ist diese Impfung daher vor Therapiebeginn zu erwägen. Nach Absetzen von Gilenya ist die Immunkompetenz des Patienten nach vier bis sechs Wochen wieder so gut wie vor der Behandlung.
Patienten mit einem bestehenden Immundefizienzsyndrom, mit einem erhöhten Risiko für opportunistische Infektionen, immungeschwächte Patienten oder Patienten mit schweren aktiven Infektionen wie Hepatitis oder Tuberkulose dürfen Fingolimod nicht erhalten. Dasselbe gilt für Patienten mit aktiven malignen Erkrankungen. Bei schwerer Leberinsuffizienz darf das Medikament nicht gegeben werden, da der Wirkstoff hepatisch eliminiert wird.
Bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Inhaltsstoffe ist das Arzneimittel kontraindiziert.
Fingolimod wurde in zwei großen Phase-III-Studien gegen Placebo und Beta-Interferon (IFN) geprüft. In der randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten FREEDOMS-Studie bekamen 1272 Patienten zwei Jahre lang täglich entweder 0,5 oder 1,25 mg Fingolimod oder Placebo. In der 0,5-mg-Gruppe sank die jährliche Schubrate auf 0,18 gegenüber 0,4 unter Placebo. 70 Prozent der Patienten waren nach 24 Monaten schubfrei (versus 46 Prozent). Zur Progression einer Behinderung kam es bei 17 Prozent der Patienten im Fingolimod-Arm versus 24 Prozent unter Placebo. In der Magnetresonanztomografie waren unter Verum keine neuen oder vergrößerten T2-Läsionen erkennbar. Ein positives Ergebnis brachte auch die einjährige randomisierte doppelblinde TRANSFORMS-Studie, bei der die beiden Fingolimod-Dosen mit Interferon-beta-1a (einmal wöchentlich intramuskulär) verglichen wurden. Die jährliche Schubrate lag bei 0,16 (0,5 mg Fingolimod) versus 0,33, der Anteil schubfreier Patienten nach zwölf Monaten bei 83 versus 71 Prozent.
Zusammengefasst reduzierte Fingolimod die jährliche Schubrate signifikant besser als Placebo und das Interferon. Auch die Progression der Behinderung nahm ab. Bei Studienende waren unter Fingolimod jeweils mehr Patienten krankheitsfrei als im Vergleichsarm.
Fingolimod wurde mit dem PZ-Innovationspreis 2011 ausgezeichnet.
Gilenya ist bei Temperaturen nicht über 25 °C zu lagern. Das Arzneimittel sollte außerdem in der Originalverpackung aufbewahrt werden, um den Inhalt vor Feuchtigkeit zu schützen.
Gilenya unterliegt der Verschreibungspflicht.
Fingolimod
Die dreidimensionale Strukturformel können Sie mit einem kostenlosen Zusatzprogramm aus dem Internet, zum Beispiel Cortona von Parallelgraphics, ansehen (externer Link).
Europäischer öffentlicher Beurteilungsbericht (EPAR):
www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Summary_for_the_public/human/002202/WC500104530.pdf
Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels:
www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Product_Information/human/002202/WC500104528.pdf
Nutzenbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG):
www.iqwig.de/fingolimod-anhaltspunkt-fuer-vorteile-bei-kleiner.1406.html
Nutzenbewertungen für drei neue Arzneistoffe, Meldung vom 16.01.2012
Vor Beginn einer Therapie mit Gilenya muss ein negativer Schwangerschaftstest vorliegen. Bei Kinderwunsch ist Fingolimod mindestens zwei Monate vor der möglichen Empfängnis in Rücksprache mit dem Arzt abzusetzen. Während und bis zu zwei Monate nach Ende der Behandlung müssen Frauen eine Schwangerschaft zuverlässig verhüten.
Frauen sollten unter der Behandlung mit Gilenya außerdem nicht stillen, da Tierversuche gezeigt haben, dass die Fingolimod-Konzentrationen in der Muttermilch zwei- bis dreimal so hoch waren wie im mütterlichen Plasma. Präklinische Daten weisen darauf hin, das Fingolimod die Fertilität beeinträchtigen könnte.
Letzte Aktualisierung: 29.07.2019