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ARZNEISTOFFE

Fingolimod|Gilenya®|51|2011

 
STOFFGRUPPE
51 Immunmodulatoren
WIRKSTOFF
Fingolimod
FERTIGARZNEIMITTEL
Gilenya®
HERSTELLER

Novartis Pharma

ZIELSTRUKTUR
S1P-Rezeptor-Modulatoren
MARKTEINFÜHRUNG (D)
04/2011
DARREICHUNGSFORM

0,25 mg Hartkapseln

0,5 mg Hartkapseln

ATC-CODE
L04AA27
ORPHAN DRUG
Nein

Indikationen

Gilenya ist zugelassen zur Monotherapie von Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ab zehn Jahren mit hochaktiver schubförmig-remittierend verlaufender MS, die trotz Behandlung mit minderstens einer kranksheitsmodifizierenden Therapie eine hohe Krankheitsaktivität haben oder bei denen die Erkrankung rasch fortschreitet und schwer verläuft, definiert durch zwei oder mehr Schübe mit Behinderungsprogression in einem Jahr, und mit einer oder mehr Gadolinium anreichernden Läsionen im MRT des Gehirns oder mit einer signifikanten Erhöhung der T2-Läsionen im Vergleich zu einer kürzlich durchgeführten MRT. 

Wirkmechanismus

Fingolimod ist ein selektives Immunsuppressivum mit einem neuartigen Wirkmechanismus. Strukturell ähnelt Fingolimod dem physiologisch vorkommenden Sphingosin. Das phosphorylierte Molekül Sphingosin-1-Phosphat (S1P) gehört zu den Lipidmediatoren und hat zahlreiche Aufgaben im Körper. Es wirkt über S1P-Rezeptoren; das sind transmembranäre G-Protein-gekoppelte Oberflächenrezeptoren. Die Subtypen 1 bis 3 werden nahezu ubiquitär exprimiert, wobei S1P1 vor allem im Zentralnervensystem, auf Lymphozyten und im Endothel anzutreffen ist. S1P1-Rezeptoren vermitteln unter anderem die Auswanderung von Lymphozyten aus peripherem lymphatischen Gewebe, die Stärkung endothelialer Barrieren, sie sind an der Regelung des vaskulären Tonus und der Herzfrequenz beteiligt und in die Neurogenese involviert. In diese Prozesse greift Fingolimod, das in vivo rasch zur Wirkform phosphoryliert wird, ein. Es wirkt als funktioneller Antagonist an S1P1-Rezeptoren und blockiert so die Migration von Lymphozyten aus den Lymphknoten. Zudem führt eine dauerhafte Blockade der Rezeptoren zu deren Internalisierung, wodurch die Zelle unempfindlich für das »Auswanderungssignal« wird. Letztlich bleiben die T-Zellen in den Lymphknoten hängen. Dies wiederum reduziert die Infiltration pathogener Lymphozyten ins Zentralnervensystem, wo sie an neuronaler Entzündung und der Zerstörung von Nervengewebe beteiligt sind. Zusätzlich wird auch ein zentraler Angriff postuliert, denn Fingolimod kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Es wird dort direkt phosphoryliert. Bereits vier bis sechs Stunden nach der ersten Gabe von 0,5 mg Wirkstoff sinkt die Lymphozytenzahl im peripheren Blut auf etwa 75 Prozent des Ausgangswerts. Bei kontinuierlicher Einnahme sind nach zwei Wochen nur noch etwa 30 Prozent im Blut nachweisbar. Die Leukopenie betrifft nur die zirkulierenden T- und B-Lymphozyten. Da T-Zellen mit Effektor-Memory-Funktion, die für die Immunabwehr in periphren Geweben zuständig sind, normalerweise nicht zu den Lymphorganen wandern, werden sie nicht oder kaum herunterreguliert.

Anwendungsweise und -hinweise

Erwachsene Patienten nehmen einmal täglich eine Kapsel mit 0,5 mg Fingolimod ein. Die empfohlene Dosis für Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren richtet sich nach dem  Körpergewicht. Bei einem Körpergewicht über 40 kg beträgt die empfohlene Dosierung ebenfalls 0,5 mg täglich, bei einem Körpergewicht von 40 kg und darunter beträgt sie 0,25 mg Fingolimod.

 

Die Einnahme erfolgt unabhängig von den Mahlzeiten. Da Fingolimod vorwiegend hepatisch eliminiert wird, muss die Dosis bei Niereninsuffizienz nicht angepasst werden. Bei Patienten mit schwerer Leberinsuffizienz darf Fingolimod nicht angewendet werden. Bei leichter und mäßiger Lebergtionsstörung ist keine Dosisanpassung erforderlich; die Therapie sollte jedoch mit Vorsicht eingeleitet werden.

Wichtige Wechselwirkungen

Antineoplastische, immunsuppressive oder immunmodulatorische Arzneimittel sollten nicht gleichzeitig mit Fingolimod angewendet werden, da eine additive Wirkung auf das Immunsystem befürchtet werden muss.

 

Der Effekt von Impfungen kann durch die Therapie mit Fingolimod vermindert werden; Lebendimpfstoffe sollten wegen eines erhöhten Impfrisikos nicht gegeben werden.

 

Fingolimod wird vorwiegend über CYP4F2 metabolisiert. Eine Hemmung, etwa durch Ketoconazol, führt zu erhöhten Fingolimod-Spiegeln. Vorsicht ist auch geboten bei der gleichzeiten Anwendung von CYP3A4-Hemmern wie Proteaseinhibitoren oder CYP3A4-Induktoren wie Rifampicin. Insbesondere von der gleichzeitigen Anwendung von Echtem Johanniskraut rät die Fachinformation ab.

Nebenwirkungen

Schwere Nebenwirkungen unter der Therapie mit Fingolimod waren Infektionen, Makulaödeme und ein vorübergehender atrioventrikulärer Block (zu Therapiebeginn). Am häufigsten traten Kopfschmerzen, Influenza, Diarrhö, Rückenschmerzen, Husten und ein Anstieg der Leberenzyme auf. Letzteres führte auch am häufigsten zum Therapieabbruch. Bei Gabe der (nicht zugelassenen) 1,25-mg-Dosierung kam es zweimal zu einer tödlichen Herpes-Infektion. Wenn der Patient noch keine Windpocken hatte und nicht gegen Varicella zoster geimpft ist, ist diese Impfung daher vor Therapiebeginn zu erwägen. Nach Absetzen von Gilenya ist die Immunkompetenz des Patienten nach vier bis sechs Wochen wieder so gut wie vor der Behandlung.

Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen

Patienten mit einem bestehenden Immundefizienzsyndrom, mit einem erhöhten Risiko für opportunistische Infektionen, immungeschwächte Patienten oder Patienten mit schweren aktiven Infektionen wie Hepatitis oder Tuberkulose dürfen Fingolimod nicht erhalten. Dasselbe gilt für Patienten mit aktiven malignen Erkrankungen. Bei schwerer Leberinsuffizienz darf das Medikament nicht gegeben werden, da der Wirkstoff hepatisch eliminiert wird. Kontraindiziert ist Fingolimod außerdem bei Patienten mit vermuteter oder bestätigter Progressiver Multifokaler Leukenzephalopathie (PML) sowie bei Patienten, die in den letzten sechs Monaten einen Myokardinfarkt (MI), eine instabile Angina pectoris, einen Schlaganfall oder eine transitorische ischämische Attacke (TIA), eine dekompensierte Herzinsuffizienz (stationäre Behandlung erforderlich) oder eine Herzinsuffizienz der New York Heart Association (NYHA) Klasse III/IV hatten. Patienten mit schweren Herzrhythmusstörungen, die eine Behandlung mit Antiarrhythmika der Klasse Ia oder Klasse III erfordern, Patienten mit einem AV-Block 2. Grades Mobitz Typ II oder einem AV-Block 3. Grades oder Sick-Sinus-Syndrom, wenn sie keinen Herzschrittmacher tragen und Patienten mit einem bestehenden QTc- Intervall ≥ 500 ms dürfen ebenfalls nicht mit Gilenya behandelt werden. Während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die keine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden, ist es ebenfalls kontraindiziert.

Bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Inhaltsstoffe ist das Arzneimittel kontraindiziert.

Studien

Fingolimod wurde in zwei großen Phase-III-Studien gegen Placebo und Beta-Interferon (IFN) geprüft. In der randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten FREEDOMS-Studie bekamen 1272 Patienten zwei Jahre lang täglich entweder 0,5 oder 1,25 mg Fingolimod oder Placebo. In der 0,5-mg-Gruppe sank die jährliche Schubrate auf 0,18 gegenüber 0,4 unter Placebo. 70 Prozent der Patienten waren nach 24 Monaten schubfrei (versus 46 Prozent). Zur Progression einer Behinderung kam es bei 17 Prozent der Patienten im Fingolimod-Arm versus 24 Prozent unter Placebo. In der Magnetresonanztomografie waren unter Verum keine neuen oder vergrößerten T2-Läsionen erkennbar. Ein positives Ergebnis brachte auch die einjährige randomisierte doppelblinde TRANSFORMS-Studie, bei der die beiden Fingolimod-Dosen mit Interferon-beta-1a (einmal wöchentlich intramuskulär) verglichen wurden. Die jährliche Schubrate lag bei 0,16 (0,5 mg Fingolimod) versus 0,33, der Anteil schubfreier Patienten nach zwölf Monaten bei 83 versus 71 Prozent.

 

Zusammengefasst reduzierte Fingolimod die jährliche Schubrate signifikant besser als Placebo und das Interferon. Auch die Progression der Behinderung nahm ab. Bei Studienende waren unter Fingolimod jeweils mehr Patienten krankheitsfrei als im Vergleichsarm.

Hintergrundinfos

Fingolimod wurde mit dem PZ-Innovationspreis 2011 ausgezeichnet.

Besonderheiten

Gilenya ist bei Temperaturen nicht über 25 °C zu lagern. Das Arzneimittel sollte außerdem in der Originalverpackung aufbewahrt werden, um den Inhalt vor Feuchtigkeit zu schützen.
Gilenya unterliegt der Verschreibungspflicht.

Formeln

Fingolimod

Fingolimod

Die dreidimensionale Strukturformel können Sie mit einem kostenlosen Zusatzprogramm aus dem Internet, zum Beispiel Cortona von Parallelgraphics, ansehen (externer Link).

Fingolimod.wrl

Weitere Hinweise

Vor Beginn einer Therapie mit Gilenya muss ein negativer Schwangerschaftstest vorliegen. Bei Kinderwunsch ist Fingolimod mindestens zwei Monate vor der möglichen Empfängnis in Rücksprache mit dem Arzt abzusetzen. Während und bis zu zwei Monate nach Ende der Behandlung müssen Frauen eine Schwangerschaft zuverlässig verhüten.

 

Frauen sollten unter der Behandlung mit Gilenya außerdem nicht stillen, da Tierversuche gezeigt haben, dass die Fingolimod-Konzentrationen in der Muttermilch zwei- bis dreimal so hoch waren wie im mütterlichen Plasma. Präklinische Daten weisen darauf hin, das Fingolimod die Fertilität beeinträchtigen könnte.

Letzte Aktualisierung: 30.05.2025

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