Selbstmedikation bei Migräne |
Carolin Lang |
06.10.2022 11:00 Uhr |
Frauen haben häufiger Migräne als Männer. / Foto: Adobe Stock/luismolinero
Die Migräne gehört zu den häufigsten Kopfschmerzerkrankungen in Deutschland; etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung sind betroffen. Die höchste Prävalenz besteht zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr, wobei Frauen in dieser Lebensphase bis zu dreimal häufiger betroffen sind als Männer. Migräne ist eine primäre Kopfschmerzerkrankung, was bedeutet, dass sie ein eigenständiges Krankheitsbild und nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen ist.
Sie äußert sich bei Erwachsenen in Attacken heftiger, häufig einseitiger pulsierend-pochender Kopfschmerzen, die bei körperlicher Betätigung zunehmen. Bei einem Drittel der Patienten treten die Kopfschmerzen beidseitig auf. Einzelne Attacken dauern unbehandelt zwischen vier und 72 Stunden. Sie sind fast immer von Appetitlosigkeit, häufig auch von Übelkeit, Erbrechen sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit begleitet.
Bis zu 25 Prozent der Migränebetroffenen leiden unter Migräne mit Aura. Dabei kommt es in der Regel vor Eintritt der Kopfschmerzen zu Symptomen wie Sehstörungen (zum Beispiel Lichtblitze, Flimmersehen oder Sehfeldausfälle), einseitigen Sensibilitätsstörungen (zum Beispiel Kribbeln oder Taubheitsgefühle) oder Sprachstörungen. Am häufigsten sind Auren visueller Art. Typischerweise entwickeln sich die Symptome langsam über Minuten und bilden sich dann innerhalb einer Stunde wieder zurück. Eine Migräneaura kann auch isoliert ohne Kopfschmerzen auftreten.
Verschiedenste individuelle Auslöser können eine Migräneattacke begünstigen. Dazu gehören zum Beispiel Stress, ein veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus, bestimmte Nahrungs- oder Genussmittel, eine geringe Trinkmenge oder hormonelle Schwankungen. Trigger zu identifizieren, bietet einen Ansatz zur Prävention. Ein Kopfschmerztagebuch kann dabei helfen. Neben dem klassischen Papierkalender, den beispielsweise die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft auf ihrer Webseite in mehreren Sprachen zum Herunterladen zur Verfügung stellt, gibt es mittlerweile auch zahlreiche digitale Kopfschmerztagebücher.
Äußert ein Kopfschmerzpatient im Beratungsgespräch bestimmte Warnsymptome, ist er an einen Arzt zu verweisen. Dazu gehören mitunter Kopfschmerzen, die
Zur akuten Behandlung von Migräneattacken kommen im Rahmen der Selbstmedikation zunächst Analgetika beziehungsweise nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) infrage. Laut der aktuellen S1-Leitlinie »Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne« ist die Wirkung für Acetylsalicylsäure (ASS) und Ibuprofen am besten belegt, doch haben sich unter anderem auch Diclofenac, Naproxen und Kombinationspräparate mit ASS, Paracetamol und Koffein als wirksam erwiesen. Liegen Kontraindikationen für NSAR vor, kann auf Paracetamol ausgewichen werden. Galenische Formulierungen mit rascher Wirkstofffreisetzung wie Brausetabletten sind laut Leitlinie zu bevorzugen.
Migräne – migraine | Aura – aura | Kopfschmerz – headache | einseitig – one-sided | pulsierend – pulsating | körperliche Aktivität – physical activity | Übelkeit– nausea | Licht-/Geräuschempfindlichkeit– light/noise sensitivity | Sehfeldausfälle– visual field failures | kribbeln – to prickle | Sprachstörung – speech disorder | Schmerzmittel– painkiller | Kopfschmerztagebuch – headache journal | Herz-Kreislauf-Erkrankung – cardiovascular disease
Unter der Voraussetzung einer ärztlichen Erstdiagnose stehen außerdem die Triptane Almotriptan, Naratriptan und Sumatriptan als orale Darreichungsformen im Rahmen der Selbstmedikation zur Verfügung. Die 5-HT1B/1D-Agonisten gehören zu den Therapeutika der ersten Wahl bei mittelschweren und schweren Migräneattacken, die nicht oder nicht ausreichend auf eine Therapie mit Analgetika ansprechen. Triptane können zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Migräneattacke wirken. Die Wirksamkeit ist allerdings höher, wenn sie frühzeitig eingenommen werden. Bei Migräne mit Aura sollten Patienten erst nach Abklingen der Aura und mit Einsetzen des Kopfschmerzes ein Triptan einnehmen.
Bei der Abgabe von Schmerz- und Migränemitteln sollte das Apothekenpersonal stets darauf hinweisen, dass eine zu häufige Einnahme zu Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch (MOH, Medication Overuse Headache) führen kann. Daher sollten Monoanalgetika nicht an mehr als 15 Tagen pro Monat und Kombinationspräparate sowie Triptane nicht an mehr als zehn Tagen pro Monat angewendet werden.
Für die Wahl eines geeigneten Triptans ist die individuelle Migränecharakteristik maßgeblich. Bei eher starken Attacken mit dem Wunsch nach schneller Wirkung sind Almotriptan oder Sumatriptan vorteilhaft. Naratriptan hingegen eignet sich eher für längere Attacken, die vielleicht nicht ganz so stark sind, und bei Wiederkehrkopfschmerz – also wenn der Kopfschmerz bei länger andauernden Attacken nach Ende der erfolgreichen Wirkung eines Migränemedikaments wieder auftritt. Bei wiederkehrenden Kopfschmerzen kann bei wirksamer Erstdosis frühestens zwei Stunden danach eine zweite Dosis desselben Triptans eingenommen werden, bei Naratriptan müssen mindestens vier Stunden Abstand zur Erstdosis eingehalten werden.
Triptan | Wirkungseintritt (p.o.) | Halbwertszeit |
---|---|---|
Sumatriptan | 45 bis 60 Minuten | 2 Stunden |
Almotriptan | 45 bis 60 Minuten | 3,5 Stunden |
Naratriptan | 4 Stunden | 6 Stunden |
Unter anderem bei schwerwiegenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Triptane wegen ihrer vasokonstriktorischen Wirkung kontraindiziert. Da Sumatriptan und Almotriptan über das MAO-System metabolisiert werden, lassen MAO-Hemmer ihre Plasmaspiegel steigen; sie sollten nicht kombiniert werden. Werden Triptane mit Wirkstoffen kombiniert, die die Serotonin-Konzentration erhöhen, steigt die Gefahr eines Serotonin-Syndroms.
Als nicht verschreibungspflichtige Optionen zur Migräneprophylaxe führt die S1-Leitlinie ASS (100–300mg), Magnesium (2×300mg), Magnesium (2×300mg) in Kombination mit Vitamin B2 (2×200mg) und Coenzym Q10 (2×75mg) an, doch ist die wissenschaftliche Evidenz hier nur gering. Nicht medikamentöse Maßnahmen wie regelmäßiger aerober Ausdauersport, Entspannungsverfahren, kognitive Verhaltenstherapie oder Biofeedbacktherapie sind laut Leitlinie empfehlenswert.
Damit Pharmaziepraktikanten das Thema Migräne angepasst an die Produkte ihrer PJ-Apotheke noch einmal aufarbeiten können, steht im Serviceteil der PZ-Ausgabe Nummer 40 ein interaktives Arbeitsblatt zur Verfügung. Es kann auch als Anlass genutzt werden, das Thema mit den Kolleginnen und Kollegen in der Apotheke durchzusprechen. Gerne können Sie auch das PDF zum Download nutzen. Bisherige Themen der Serie waren: Schlafstörungen, Sodbrennen, Hämorrhoidalleiden, Lippenherpes, Obstipation, Heuschnupfen, Fußpilz, Nagelpilz, Sonnenschutz, Vaginalmykosen, Durchfall, Selbstmedikation im Alter, Husten, Blasenentzündung, Kopfläuse, Rauchentwöhnung und pharmazeutische Reiseberatung. Eine Übersicht ist auf der entsprechenden Themenseite zu finden.