Therapie individuell abstimmen |
Kopfschmerzen, Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit: Dies gehört zu den Symptomen einer Migräneattacke. Die Pein kann stunden- und sogar tagelang anhalten. / Foto: Adobe Stock/ArtBackground
Rund 15 Prozent der europäischen Bevölkerung leiden unter Migräne (1). Die Betroffenen müssen sich nicht nur mit den Schmerzen, sondern auch mit den Auswirkungen der Erkrankung auf Beruf und Privatleben auseinandersetzen (2). In der Altersgruppe der 15- bis 49-Jährigen ist Migräne weltweit auf dem ersten Platz aller Erkrankungen, gemessen am Ausmaß der Beeinträchtigung (3).
Die typischen Merkmale und Begleitsymptome eines Migräne-Kopfschmerzes sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Die Schmerzen werden bereits durch leichte körperliche Anstrengung und Alltagsaktivitäten schlimmer; daher zeigen Migränepatienten während einer Kopfschmerzattacke im Gegensatz zu Patienten mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp typischerweise eine starke Rückzugstendenz (4).
Charakteristik | Beschreibung |
---|---|
Kopfschmerz | mäßig bis schwerstechend, pulsierend, schon bei leichter Belastung an Intensität zunehmend |
Lokalisation | halbseitig, holocephal oder bifrontal betont |
Begleitsymptome | Übelkeit, ErbrechenLärm-, Licht-, GeruchsüberempfindlichkeitNackenschmerzen bei circa 50 Prozent |
Dauer (unbehandelt) | 4 bis 72 Stunden, Schmerzfreiheit zwischen den Attacken |
Vorbotensymptome | Gähnen, Stimmungsschwankungen, Heißhungerattacken |
Trigger | Menstruation, Stress, Stressabfall, Schlafmangel, Auslassen von Mahlzeiten, geringe Trinkmenge, Änderung der normalen Tagesrhythmik |
Aura | meist vor den Kopfschmerzen in Form eines Flimmerskotoms*, gelegentlich auch mit einseitigen Sensibilitäts- oder Sprachstörungenentwickelt sich typischerweise allmählich und hält 5 bis 60 Minuten an10 bis 15 Prozent der Patienten betroffen |
Langzeitverlauf | meist episodisch: weniger als 15 Kopfschmerztage/Monatchronisch (etwa 1 bis 2 Prozent): mindestens 15 Kopfschmerztage/Monat seit mindestens drei Monaten |
Ansprechen auf Triptane | häufig sehr gut, aber für die Diagnose kein obligates Kriterium |
Ein wichtiges Instrument zur Migränediagnose ist der Kopfschmerzkalender. Damit lassen sich Muster erkennen und der individuelle Leidensdruck abschätzen. Die dokumentierte Häufigkeit der Kopfschmerzen hilft bei der Entscheidung, ob eine Attackentherapie ausreicht oder ob zusätzlich eine vorbeugende Therapie (Prophylaxe) eingesetzt werden sollte, und dient anschließend der Kontrolle des Therapieerfolgs (5). Die identifizierten individuellen Triggerfaktoren bieten bereits einen Ansatz für die Prävention (6). Eine korrekte Dokumentation der Schmerzmitteleinnahme schützt zudem vor der Entstehung eines Kopfschmerzes durch Medikamentenübergebrauch (7, 8).
Idealerweise wird der Kopfschmerzkalender bereits einen Monat vor einer Konsultation beziehungsweise dem Therapiebeginn geführt; er sollte aber zu jedem Zeitpunkt empfohlen werden (7). Kein Patient, der regelmäßig an Kopfschmerzen leidet, sollte die Apotheke ohne einen Kopfschmerzkalender oder den Hinweis auf einen möglichen Bezugsort verlassen! Kalender in zwölf verschiedenen Sprachen können zum Beispiel auf der Website der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft in der Rubrik «Für Patienten» heruntergeladen werden. Eine weitere Option sind digitale Kopfschmerztagebücher wie die DMKG-App.
Die zu häufige Einnahme von Schmerz- und Migränemitteln kann zu einer allmählichen Frequenzsteigerung und Chronifizierung der Kopfschmerzen führen; man spricht vom Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch (MOH, Medication Overuse Headache) (9). Bis zu 500.000 Menschen in Deutschland sind davon betroffen (10).
Dem Apothekenteam kommt die wichtige Aufgabe zu, die Patienten über den Zusammenhang zwischen der häufigen Einnahme von Kopfschmerzmitteln und der Chronifizierung von Kopfschmerzen aufzuklären. (7). Es gilt:
Pragmatisch kann die Regel gelten, dass die Akutmedikation an maximal zehn Tagen im Monat und nicht länger als drei Tage in Folge eingenommen werden sollte. Da sehr viele Patienten sowohl Triptane als auch Analgetika oder NSAR einnehmen, gilt ohnehin die Einnahmegrenze von zehn Tagen (Kopfschmerz durch Übergebrauch unterschiedlicher Substanzgruppen, auch ohne dass die Einzelsubstanzen übergebraucht werden).
Betroffene sollten über die Prophylaxe, nicht medikamentöse vorbeugende Maßnahmen wie aerobes Ausdauertraining, Entspannungstherapien, Verhaltens- und Psychotherapie aufgeklärt werden (7). Ziel ist es, dass Patienten einen Überblick über ihren Analgetikakonsum erhalten. Ist eine Reduktion der Akutmedikation erforderlich, muss der Patient an einen Arzt verwiesen werden.
Das Vorgehen zur Behandlung von Migräneattacken ist in Abbildung 1 dargestellt. Zunächst kommen Analgetika oder NSAR in ausreichender Dosierung zum Einsatz. Sollten diese nicht ausreichend wirken, wird im weiteren Verlauf die Wirksamkeit von Triptanen auf die Migräneattacken geprüft. Die Einnahme sollte nicht so erfolgen, dass die Patienten in einzelnen Attacken zunächst ein NSAR einnehmen und dann ein Triptan. Vielmehr sollten Patienten, die wissen, dass NSAR überwiegend nicht wirksam sind, direkt ein Triptan zu Attackenbeginn einsetzen.
Abbildung 1: Akutmedikation zur Behandlung von Migräneattacken gemäß der Migräne-Leitlinie von 2020 (5) / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Empfohlene NSAR sind Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen sowie Metamizol. Außerdem gibt es mehrere positive Studien für den Einsatz der Kombination aus ASS, Paracetamol und Coffein (12). Prinzipiell können alle NSAR/Triptane eingesetzt werden, vorzugsweise galenische Formen mit einer raschen Wirkstofffreisetzung (5).
Antiemetika wie Metoclopramid und Domperidon können gegen die Übelkeit und zur Steigerung der Resorption zusätzlich eingenommen werden.
Ergotamin-haltige Substanzen werden nicht mehr empfohlen und sind kaum noch verfügbar. Nur bei lang andauernden Attacken in niedriger Frequenz ist die Gabe von 1 bis 2 mg Ergotamintartrat vertretbar. Kontraindikationen bei Ergotaminen sind manifeste Herz-Kreislauf-Erkrankungen, auch in der Vorgeschichte (12). Opioide sind aufgrund ihres Suchtpotenzials in dieser Indikation kontraindiziert (5, 7).
Zur Behandlung von mittelschweren bis schweren Migräneattacken werden vorwiegend Triptane eingesetzt (Abbildung 1, Tabelle 2) (5). Von den sieben verfügbaren Triptanen dürfen – bei bekannter ärztlicher Erstdiagnose – Almotriptan, Naratriptan und Sumatriptan 50 mg in oraler Form in der Selbstmedikation eingesetzt werden.
Die Triptane greifen als selektive Agonisten an den Serotonin-Rezeptoren 5-HT1B und 5-HT1D an, deren Dichte an den zerebralen Blutgefäßen besonders hoch, in der Peripherie und an den Koronargefäßen aber viel niedriger ist. Neben einer Verengung der bei einem Migräneanfall erweiterten zerebralen Blutgefäße hemmen die Triptane die Ausschüttung entzündlicher Peptide, zum Beispiel von Substanz P und Calcitonin-Gene-Related Peptide (CGRP), aus Neuronen im Zentralnervensystem, und blockieren die Ausbreitung von Schmerzreizen über die Hirnrinde (13, 14).
Wirkstoff | Dosierung peroral (mg) | Dosierung (mg) anderer Darreichungsformen |
---|---|---|
Almotriptan* | 12,5 | |
Eletriptan | 20 oder 40 | |
Naratriptan* | 2,5 | |
Rizatriptan | 5 oder 10 (Schmelz-)Tablette | |
Sumatriptan | 50* oder 100 | 10 oder 20 nasal3 und 6 subkutan |
Zolmitriptan | 2,5 oder 5 (Schmelz-)Tablette | 5 nasal |
Allerdings kontrahieren Triptane nicht ausschließlich intrakranielle Blutgefäße, sondern auch solche in der Peripherie, weshalb sie bei Patienten mit bestimmten Herz-Kreislauf-Erkrankungen kontraindiziert sind. Zu den Kontraindikationen zählen ischämische Herzerkrankungen, Myokardinfarkt oder Hirnschlag in der Anamnese, koronare Vasospasmen (Prinzmetal-Angina), unzureichend eingestellte Hypertonie, transitorisch-ischämische Attacken (TIA) oder periphere arterielle Verschlusserkrankung (pAVK) sowie schwere Nieren- und Leberinsuffizienz. Auch die gleichzeitige Gabe mit Ergotamin-Präparaten ist kontraindiziert (7, 14).
Werden Triptane mit anderen Wirkstoffen kombiniert, die die Serotonin-Konzentration erhöhen, zum Beispiel selektiven Serotonin-(Noradrenalin-)Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI/SSNRI), MAO-Hemmern, L-Tryptophan, Lithium und trizyklischen Antidepressiva, besteht theoretisch die Gefahr eines Serotonin-Syndroms. Im klinischen Alltag spielt dies bei üblichen Dosierungen keine Rolle und ist nur mit sehr wenigen Kasuistiken belegt (15). Ist eine entsprechende Kombination erforderlich, sollte der Patient vor allem bei Therapiebeginn oder Dosiserhöhungen ärztlich begleitet werden.
Triptane werden am besten so früh wie möglich bei einer Attacke eingenommen. / Foto: Adobe Stock/photophonie
Viele Triptane (außer Eletriptan, Frovatriptan und Naratriptan) werden unter anderem mithilfe der Monoaminooxidase-A (MAO-A) metabolisiert. Eine gleichzeitige Therapie mit MAO-Hemmern kann daher die Bioverfügbarkeit der Triptane erhöhen und gilt in der rezeptfreien Abgabe als kontraindiziert (14).
Die häufigsten gemeldeten unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) sind Übelkeit, Missempfindungen, Flush sowie Druck- oder Engegefühl auf der Brust. Letzteres tritt bei etwa 3 bis 5 Prozent der Triptan-Anwender auf. Die Brustschmerzen gehen jedoch nicht mit EKG-Veränderungen einher und sind vermutlich auf extrakardiale Ursachen wie Spasmen in Ösophagus oder Thorax oder eine Vasokonstriktion in der Lunge zurückzuführen. Bei Almotriptan und Sumatriptan besteht die Gefahr einer Kreuzallergie zu Sulfonamiden (14).
Triptane können zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Attacke wirken, das heißt, sie müssen nicht zwingend unmittelbar zu Beginn der Schmerzphase eingenommen werden (5). Allerdings wurde in vielen Studien gezeigt, dass die Wirkung zu Beginn der Attacke besser ist; dies wird auch im klinischen Alltag mit der Erfahrung der Patienten bestätigt. Das Phänomen lässt sich aus dem Wirkmechanismus gut nachvollziehen.
Wirkt ein bestimmtes Präparat oder eine bestimmte Darreichungsform unzureichend, kann nach mindestens zwei Stunden (vier Stunden bei Naproxen) eine weitere Dosis eingesetzt werden (Abbildung 1), aber nicht mehr als zwei Tabletten in 24 Stunden. Wenn die erste Einnahme keine Erleichterung bringt, soll keine weitere Dosis für dieselbe Attacke eingesetzt werden. Oft lohnt sich der Wechsel auf ein anderes Präparat (7).
Achtung: Die Schwelle für die Entstehung von Kopfschmerzen durch Medikamentenübergebrauch liegt für Triptane bereits bei zehn Einnahmetagen pro Monat (5).
Die Zeit bis zum Wirkeintritt und die Wirkdauer variieren von Triptan zu Triptan. Sumatriptan subkutan appliziert wirkt am schnellsten. Verfügbar sind in Deutschland die 3- und die 6-mg-Dosis (Tabelle 2). Die 3-mg-Dosis zeichnet sich durch eine etwas geringere Wirksamkeit, aber erheblich bessere Verträglichkeit aus (16). Die subkutane Injektion ist besonders geeignet bei rasch entstehenden Attacken, heftiger Übelkeit mit Erbrechen, Attacken bei Erwachen aus dem Nachtschlaf und dann, wenn orale Triptane nicht ausreichend wirksam sind.
Bei den oralen Triptanen zeigen Eletriptan und Rizatriptan den schnellsten Wirkeintritt. Almotriptan und Eletriptan sind am besten verträglich. Naratriptan wirkt am längsten.
Die oralen Darreichungsformen von Almotriptan, Naratriptan und Sumatriptan (50 mg) dürfen bei mittelschweren und schweren Migräneattacken in der Selbstmedikation abgegeben werden; andere galenische Formen sind davon ausgenommen. Außerdem müssen eine ärztliche Erstdiagnose der Migräne vorliegen und Kontraindikationen und Interaktionen berücksichtigt werden. Folgende Empfehlungen lassen sich für die Selbstmedikation geben (17):
Für Migränepatienten mit kardiovaskulären Erkrankungen kommen zwei neue Substanzklassen infrage: »Ditane« und »Gepante«. Sie scheinen zwar weniger wirksam zu sein als Triptane (18), könnten jedoch für Patienten mit schwerer Migräne, bei denen Triptane kontraindiziert oder nicht wirksam sind, eine lang ersehnte Therapieoption darstellen (19).
Ditane wirken wie Triptane am Serotoninrezeptor, jedoch nicht an den Subtypen 5-HT1B und 5-HT1D, sondern selektiv an 5-HT1F. Ihr erster Vertreter ist Lasmiditan (Reyvow™), der in den USA bereits zugelassen ist. Für Europa ist die Zulassung beantragt. Im Unterschied zu den Triptanen wirkt Lasmiditan nicht gefäßverengend und kann daher auch bei kardiovaskulär vorerkrankten Migränepatienten eingesetzt werden. In klinischen Studien ist es ähnlich gut wirksam wie orale Triptane. Lasmiditan ist jedoch ZNS-gängig und kann zentrale Nebenwirkungen wie Benommenheit, Schläfrigkeit und Schwindel auslösen. Deshalb sieht die Fachinformation in den USA vor, dass man nach Einnahme acht Stunden lang kein Kraftfahrzeug führen darf, selbst wenn diese Nebenwirkungen nicht auftreten. Die Indikation für Lasmiditan wird sich vermutlich auf Migränepatienten beschränken, die Kontraindikation für Triptane aufweisen (19).
Der zweite neue Ansatz zur Therapie der Migräneattacke sind niedermolekulare Calcitonin-Gene-Related-Peptide-Rezeptorantagonisten. Im Gegensatz zu den monoklonalen Antikörpern gegen CGRP werden die Gepante oral eingenommen. In den USA sind sie zugelassen zur Akuttherapie (Rimegepant, Nurtec ODT®, und Ubrogepant, Ubrelvy®) oder auch zur Prophylaxe (Atogepant, Qulipta®, und Rimegepant).
Anfang Mai hat die EU-Kommission Rimegepant (Vydura®) für Erwachsene in Europa zugelassen. Die im Mund zerfallende Tablette kann sowohl zur Behandlung akuter Migräneattacken mit oder ohne Aura als auch zur Prophylaxe bei episodischer Migräne (mindestens vier Attacken/Monat) eingesetzt werden. Zur Akuttherapie nehmen Erwachsene einmal täglich 75 mg Rimegepant. Zur Vorbeugung beträgt die Dosierung 75 mg alle zwei Tage.
In der Akuttherapie der Migräne sind die Gepante deutlich weniger effektiv als die Triptane. Ihr Vorteil scheint darin zu bestehen, dass sie gemäß der tierexperimentellen Daten kein Risiko für einen Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch aufweisen (18).
Foto: Adobe Stock/New Africa
In der Schwangerschaft bessert sich die Migräne bei etwa 50 bis 80 Prozent der Frauen oder bleibt sogar ganz aus. Dieser Effekt zeigt sich besonders in den letzten beiden Schwangerschaftsdritteln. Bei etwa 8 Prozent nehmen die Kopfschmerzen jedoch zu. Nach der Geburt des Kindes treten die Attacken oft erneut auf. Stillen hat vermutlich einen schützenden Effekt auf die Kopfschmerzhäufigkeit postpartal (5, 20, 21).
Vor oder zu Beginn der Schwangerschaft sollte die Migräneprophylaxe und -therapie mit einem Facharzt festgelegt werden. Wichtig in der Beratung: Pflanzliche Arzneimittel oder nicht rezeptpflichtige Medikamente können gegebenenfalls den Fetus genauso gefährden wie chemisch-synthetische Mittel.
Zur Akutbehandlung dienen Acetylsalicylsäure (ASS) oder Ibuprofen, aber nicht im dritten Trimenon (5, 22, 23). Bei Kontraindikationen gegen diese Stoffe wird Paracetamol gegeben (5). Haben Frauen vor der Schwangerschaft ein Triptan gebraucht, ist Sumatriptan (gute Datenlage, siehe Embryotox) die Substanz der Wahl. Alle Arzneistoffe sind nur kurzfristig einzusetzen.
Als Prophylaxe helfen Entspannungsübungen, Magnesium (zweimal 300 mg täglich) und Medikamente (Metoprolol, Amitriptylin). Dies muss individuell mit dem behandelnden Arzt besprochen werden.
Ein Status migränosus kann nach Ausschluss eines symptomatischen Kopfschmerzes auch in der Schwangerschaft mit Steroiden behandelt werden.
Aerobes Ausdauertraining dient auch der Migräneprophylaxe. / Foto: Adobe Stock/Idanupong
Bei hohem Leidensdruck, eingeschränkter Lebensqualität, steigender Zahl der Kopfschmerztage oder bei Gefahr der Entwicklung eines MOH ist eine Prophylaxe indiziert. Die Indikation kann auch von der Anzahl und Schwere der Migräneanfälle abhängig gemacht werden: bei mehr als drei Anfällen im Monat, bei schweren oder lang andauernden Anfällen oder bei lang andauernden oder gehäuften Auren. Die Unverträglichkeit von Akuttherapeutika ist ein weiterer Grund, ebenso der Patientenwunsch nach einer Vorbeugung (2, 7, 24).
Die Migräneprophylaxe kann die Belastung der Patienten deutlich reduzieren (2). Letztlich ist die Beeinträchtigung der Lebensqualität im Alltag der entscheidende Parameter zur Indikationsstellung, dies setzt das differenzierte Gespräch mit dem Patienten voraus.
Zu den nicht medikamentösen Möglichkeiten gehören (5):
Die zur medikamentösen Prophylaxe eingesetzten Wirkstoffklassen sind in Tabelle 3 dargestellt (5). Bis auf die neue Klasse der CGRP- und CGRP-Rezeptor-Antikörper wurden alle Wirkstoffe ursprünglich für eine andere Indikation entwickelt. Das Problem dieser Prophylaktika sind die UAW und die häufig niedrige Compliance (25).
Wirkstoff | Tagesdosis (mg) |
---|---|
Antidepressiva | |
Amitriptylin | 50 bis 75 |
Opipramol* | 50 bis 150 |
Antikonvulsiva | |
Topiramat | 25 bis 100 |
Betablocker und blutdrucksenkende Medikamente | |
Metoprolol | 50 bis 200 |
Propranolol | 40 bis 240 |
Candesartan* (off Label) | 8 bis 16 |
Lisinopril* (off Label) | 20 |
CGRP-Antikörper (zur Injektion) | |
Erenumab | 70 oder 140 subkutan alle vier Wochen |
Eptinezumab | 100 oder 300 intravenös alle drei Monate |
Fremanezumab | 225 monatlich oder dreimal 225 subkutan alle drei Monate |
Galcanezumab | initial zweimal 120 (am selben Tag) subkutan, dann 120 monatlich |
Calciumantagonisten | |
Flunarizin | 5 bis 10 an jedem 2. Tag nach Eintritt der Wirkung (Fachinformation) |
Weitere Stoffe | |
Magnesium* | zweimal 300 |
Coenzym Q10* | dreimal 100 |
Riboflavin* (Vitamin B2) | zweimal 200 |
Onabotulinumtoxin A (wenn zwei Prophylaxen nicht wirksam waren) | 155 oder 195 E i.m. |
Am besten belegt ist die Wirkung der Betablocker Metoprolol und Propranolol, des Calciumantagonisten Flunarizin, des Antikonvulsivums Topiramat und des trizyklischen Antidepressivums Amitriptylin. Bei chronischer Migräne mit oder ohne Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln sind Topiramat und Onabotulinumtoxin A wirksam (5). Bei der Prophylaxe mit Topiramat ist auf Interaktionen mit hormonellen Kontrazeptiva zu achten. Topiramat ist teratogen und darf nur unter sicherer Antikonzeption verabreicht werden (5, 7). Im Allgemeinen sollte kritisch diskutiert werden, ob das Antiepileptikum für Frauen mit Kinderwunsch geeignet ist.
Für die medikamentöse Prophylaxe wird folgendes Vorgehen empfohlen (2):
Die Auswahl eines Prophylaktikums sollte sich an Attackenhäufigkeit (episodisch versus chronisch), Komorbiditäten sowie individuellen Bedürfnissen und Lebensumständen der Patienten orientieren (4, 7, 24). So sind beispielsweise Betablocker bei Menschen mit Hypertonie oder tachykarder Arrhythmie besonders geeignet, bei schwerem Asthma oder Hypotonie jedoch kontraindiziert (4, 7). Betablocker können eine Psoriasis verschlechtern und sollten bei diesen Patienten nicht zur Prophylaxe eingesetzt werden (5).
Für die Migräneprophylaxe bei Patienten mit einer Depression oder Schlafstörung eignet sich besonders Amitriptylin, wobei die Dosis dann im antidepressiv wirksamen Bereich liegen muss (75 bis 150 mg/d) (5). Zur Migräneprophylaxe allein sind niedrigere Dosierungen häufig besser verträglich und bereits wirksam. Flunarizin und Topiramat können Depressionen begünstigen. Eine bestehende Depression stellt daher eine relative Kontraindikation für diese Wirkstoffe dar.
Topiramat kann eine Gewichtsabnahme bewirken, während beispielsweise Amitriptylin und Flunarizin zur Gewichtszunahme führen (5, 7). Patienten mit metabolischem Syndrom sollten also bevorzugt Topiramat erhalten. Dieses wird bei Epilepsiepatienten zur Migräneprophylaxe empfohlen, ebenso bei Patienten mit isolierten Auren.
Die monoklonalen Antikörper gegen CGRP beziehungsweise den CGRP-Rezeptor stellen die erste gezielt und spezifisch für Migräne entwickelte Prophylaxe dar (4). Sie richten sich spezifisch gegen das migräneauslösende Neuropeptid CGRP oder dessen Rezeptor und greifen damit in einen für die Pathophysiologie der Migräne zentralen Mechanismus ein (Abbildung 2) (28). CGRP ist ein starker Vasodilatator und hat etliche weitere Funktionen im Herz-Kreislauf-System. Zudem spielt es eine Rolle in der Übertragung von Schmerz- und Sinnesreizen, im Immunsystem, im Gastrointestinaltrakt sowie in der Schwangerschaft (4).
Abbildung 2: Wirkmechanismus der monoklonalen Antikörper gegen CGRP (links) oder gegen den CGRP-Rezeptor / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Die Antikörper weisen nicht zuletzt aufgrund der Unpassierbarkeit der Blut-Hirn-Schranke ein günstiges Nebenwirkungsprofil auf. In klinischen Studien lagen die UAW auf Placeboniveau. Im klinischen Alltag hat sich mittlerweile gezeigt, dass in seltenen Fällen eine Hypertonie auftreten oder sich verschlechtern kann (6). Da die Peptide zu Aminosäuren abgebaut werden und dabei hepatische und renale Eliminationswege umgehen, interagieren sie nicht mit anderen Medikamenten (26). Sie müssen nicht auftitriert werden und weisen einen raschen Wirkeintritt auf. Allerdings müssen die monoklonalen Antikörper subkutan verabreicht werden (26).
Folgende Präparate sind aktuell in Deutschland zugelassen:
Die Zulassung besteht für die Migräneprophylaxe bei Erwachsenen mit mindestens vier Migränetagen/Monat. Eine Verordnung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist nur möglich, wenn mindestens vier Substanzen aus den vier verfügbaren, zugelassenen pharmakologischen Gruppen wie Betablocker (Metoprolol oder Propranolol), Flunarizin, Topiramat oder Amitriptylin nicht wirksam waren, nicht vertragen wurden oder wenn gegen deren Einnahme Kontraindikationen oder Warnhinweise bestehen.
Patienten mit chronischer Migräne dürfen zusätzlich nicht auf eine Therapie mit Onabotulinumtoxin A angesprochen haben (27).
Die beste Migräneprophylaxe liegt in einem gesunden aktiven Lebensstil mit regelmäßigem Sport und Stressreduktion und dem geeigneten Umgang mit den individuellen Triggerfaktoren. Aufgrund der genetischen Komponente und weiteren unbeeinflussbaren Faktoren können Migräneattacken nicht gänzlich verhindert werden. Es ist deshalb wichtig, Patienten optimal zu unterstützen. Bei der Beratung von Patienten mit häufigen Anfällen sollte das Apothekenteam stets auch über die Gefahr eines Kopfschmerzes durch Medikamentenübergebrauch aufklären und den Schmerzmittelverbrauch im Blick behalten. Zur Erstdiagnose und für die Betreuung und Behandlung von komplexeren Fällen müssen die Betroffenen an Kopfschmerzspezialisten verwiesen werden (29).
Colette Marie Andrée studierte Chemie und Pharmazie an der Universität Basel und wurde dort promoviert. Nach mehrjähriger Tätigkeit in der Pharmazieindustrie arbeitete sie als Projektleiterin am National Center of Public Health (Öffentliche Gesundheit). Bis 2019 war sie Vizepräsidentin der Sektion »Chronische Erkrankungen« der European Public Health Association (EUPHA). Andrée ist als Koordinatorin und Dozentin am Departement Pharmazeutische Wissenschaften, Abteilung Public Health, der Universität Basel tätig und Geschäftsführerin der Schweizer Info- und Beratungsstelle Migraine Action in Bottmingen sowie Mitglied der Therapiekommission Schweizerische Kopfwehgesellschaft.