Selbstmedikation bei Übelkeit und Erbrechen |
Carolin Lang |
22.03.2023 07:00 Uhr |
Übelkeit ist ein unspezifisches Symptom mit vielen möglichen Ursachen. / Foto: Adobe Stock/Mix and Match Studio
Übelkeit ist ein unspezifisches Symptom mit zahlreichen möglichen Ursachen: So können etwa ein Magen-Darm-Infekt, eine Überdosis Genussmittel oder der Verzehr verdorbener Nahrungsmittel das flaue Gefühl in der Magengegend hervorrufen. Übelkeit kann – genau wie Schweißausbrüche, Blässe und verstärkter Speichelfluss – ein Vorbote für Erbrechen sein. Der Brechreflex ist in erster Linie ein Schutzreflex, um aufgenommene Gefahrenstoffe aus dem Gastrointestinaltrakt (GIT) zu entfernen. Nicht immer ist es also sinnvoll, dagegen anzugehen.
Reguliert wird der Brechreflex durch das Brechzentrum im Hirnstamm – dem Ursprung allen Übels. Es erhält Signale nicht nur indirekt vom GIT, sondern auch von anderen Inputsystemen wie der Chemorezeptor-Triggerzone, dem Vestibularapparat oder dem limbischen System. So können mitunter auch Stress, Ekel oder Angst, emetogene Arzneimittel sowie ungewohnte Bewegungen Übelkeit verursachen. Ebenso kann eine Schwangerschaft oder Grunderkrankung wie ein Darmverschluss mit Übelkeit und Erbrechen einhergehen. Bei Letzterem steht die kausale Behandlung im Vordergrund.
Ungewohnte Bewegungen auf Reisen im Auto, Flugzeug oder auf dem Schiff können Kinetosen verursachen. Neben Übelkeit und Erbrechen sind Kaltschweißigkeit, Blässe und Kopfschmerzen typische Symptome. Es ist einfacher, einer Kinetose vorzubeugen, als sie zu behandeln. Als Antiemetika stehen dazu im OTC-Bereich die H1-Antihistaminika Diphenhydramin und Dimenhydrinat in verschiedenen Darreichungsformen zur Verfügung, darunter etwa Sublingualtabletten, Dragees, Retardkapseln, Kaugummis, Zäpfchen oder Sirup. Die prophylaktische Anwendung erfolgt in der Regel eine halbe bis ganze Stunde vor Reisebeginn und kann mit Schläfrigkeit und Benommenheit einhergehen – Stichwort Fahrtauglichkeit. Die Kombination mit Alkohol ist zu meiden. Es gilt, Kontraindikationen wie Engwinkelglaukom oder akutes Asthma sowie präparatespezifische Dosierungen, Interaktionen und Altersbeschränkungen zu beachten. Vorsicht: Bei Kleinkindern unter drei Jahren können Überdosierungen lebensbedrohlich sein.
Eine pflanzliche Alternative bieten Präparate mit Ingwer. Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur hat hier zur »Prävention der Reisekrankheit« bei Erwachsenen den well-etablished-use-Status vergeben.
Apothekenpersonal kann zudem nicht medikamentöse Tipps zur Vorbeugung von Kinetosen mitgeben:
Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft sind häufig: Die Inzidenz liegt bei etwa 70 bis 80 Prozent. Die Beschwerden sind morgens oft am stärksten, können aber über den Tag persistieren. In 60 Prozent der Fälle legt sich die Symptomatik am Ende des ersten Trimenons. Etwa eine von 100 schwangeren Frauen erlebt zudem eine besonders starke Form der Schwangerschaftsübelkeit (Hyperemesis gravidarum), die mit häufigem und heftigem Erbrechen einhergeht und meist eine stationäre Behandlung erfordert.
Das Apothekenteam kann bei Schwangerschaftsübelkeit anraten, individuelle Trigger wie sehr fettiges, scharfes Essen oder bestimmte Gerüche zu meiden. Zudem empfiehlt es sich, mehrere kleine, kohlenhydrat- und proteinreiche Mahlzeiten über den Tag zu verteilen und ausreichend zu trinken. Ingwer und Pyridoxin (Vitamin B6) können Übelkeit, nicht jedoch Erbrechen reduzieren.
In Deutschland ist in der Indikation nur die Kombination aus Doxylamin und Pyridoxin (Rx!) zugelassen. Laut Embryotox, dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Berliner Charité, gehört das H1-Antihistaminikum mit Meclozin (in Deutschland nicht im Handel) zu den Therapieoptionen der Wahl. Mögliche Off-label-Alternativen sind etwa Dimenhydrinat oder Diphenhydramin. Gegen Ende der Schwangerschaft sollten H1-Antihistaminika nicht mehr angewendet werden, da sie wehenfördernd wirken könnten.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) rät Schwangeren, Beschwerden sowie medikamentöse Maßnahmen mit dem Arzt zu besprechen. Insbesondere, wenn Übelkeit und Erbrechen erst nach der 20. Schwangerschaftswoche auftreten, sei ein Arztbesuch ratsam, um eine zugrundeliegende Erkrankung auszuschließen.
Übelkeit – nausea | Erbrechen – vomiting | Erbrochenes – vomit | Reiseübelkeit – travel sickness | Schwangerschaft – pregnancy | Gastroenteritis – gastroenteritis | Nahrungsmittelunverträglichkeit – food intolerance | Ingwer – ginger | Schläfrigkeit – sleepiness | Durchfall – diarrhea | Fieber – fever | Flüssigkeits- und Elektrolytersatz – fluid and electrolyte replacement
Treten Übelkeit und Erbrechen innerhalb weniger Stunden nach der Nahrungszufuhr auf, kann das auf einen »verdorbenen Magen« hindeuten. Dann kommt es meist nur einmalig zum Erbrechen, wodurch sich die Symptomatik bessert. Der Verlauf ist in der Regel selbstlimitierend. Tritt zeitgleich Durchfall auf, deutet dies auf einen Magen-Darm-Infekt hin. Auch dieser heilt in der Regel innerhalb weniger Tage von alleine aus. Als wichtigste therapeutische Maßnahme gilt der Flüssigkeits- und Elektrolytersatz. Dazu stehen in der Selbstmedikation Pulver zum Herstellen einer Glucose-Elektrolyt-Lösung zur Verfügung.
Bei Übelkeit und Erbrechen unterschiedlicher Genese können im OTC-Bereich kurzzeitig H1-Antihistaminika eingesetzt werden, allerdings bei verdorbenem Magen nicht in der Akutphase. Unspezifisch wirksam gegen Übelkeit sind auch pflanzliche Prokinetika wie Pfefferminzöl oder Gänsefingerkraut. Insbesondere beim Reizmagen, der sich neben Übelkeit häufig auch durch Appetitlosigkeit, Sodbrennen und Völlegefühl äußert, kommen sie zum Einsatz.
Damit Pharmaziepraktikanten das Thema Übelkeit und Erbrechen angepasst an die Produkte ihrer PJ-Apotheke noch einmal aufarbeiten können, steht ein interaktives Arbeitsblatt als PDF zum Download zur Verfügung. Es kann auch als Anlass genutzt werden, das Thema mit den Kolleginnen und Kollegen in der Apotheke durchzusprechen. Bisherige Themen der Serie waren: Schlafstörungen, Sodbrennen, Hämorrhoidalleiden, Lippenherpes, Obstipation, Heuschnupfen, Fußpilz, Nagelpilz, Sonnenschutz, Vaginalmykosen, Durchfall, Selbstmedikation im Alter, Husten, Blasenentzündung, Kopfläuse, Rauchentwöhnung, pharmazeutische Reiseberatung, Migräne, Regelschmerzen und Halsschmerzen. Eine Übersicht ist auf der entsprechenden Themenseite zu finden.