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Insomnien

Endlich wieder durchschlafen

Wer weniger schläft, hat mehr nutzbare Zeit zur Verfügung. Meint man – doch diese Rechnung geht nicht auf. Ständiger Schlafmangel stellt eine körperliche und seelische Belastung dar. Bei Schlafstörungen ist daher eine Behandlung wichtig. Mittel der Wahl ist eine Verhaltenstherapie. Kurzzeitig können Hypnotika helfen.
Nicole Schuster
09.09.2021  11:00 Uhr

Schätzungen zufolge leiden 6 bis 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in den westlichen Ländern unter Schlafstörungen (1). Die Rate steigt auch unter jungen Menschen an. Eine im August 2020 veröffentlichte Analyse der Krankenkasse Barmer zeigt einen Anstieg in der Gruppe der 15- bis 19-Jährigen im Zeitraum von 2005 bis 2018 um 174 Prozent. Bei jungen Erwachsenen zwischen dem 20. und 24. Lebensjahr verzeichneten die Forscher eine Zunahme um 168 Prozent (2).

»Die Corona-Pandemie hat das Problem vermutlich noch verstärkt«, sagt Dr. Hans-Günter Weeß aus Landau, Leiter des Interdisziplinären Schlafzentrums am Pfalzklinikum Klingenmünster und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. »Es liegen zwar erst wenige und heterogene Daten vor, doch die Tendenz deutet auf eine weitere Zunahme von Insomnien hin.«

Insomnie ist der Fachausdruck für Ein- und Durchschlafstörungen, Früherwachen oder eine Kombination daraus (3, 4). Faktoren wie Stress, Schichtarbeit, Konsum von koffeinhaltigen Getränken oder übermäßig viel Alkohol, aber auch Schwangerschaft, einige Krankheiten und Medikamente (Tabelle 1) zählen zu den möglichen Ursachen. Gerade im Alter können auch Faktoren wie nächtlicher Harndrang den Schlaf stark beeinträchtigen.

Medikamentengruppe Beispiele Insomnie Hypersomnie
Antipsychotika Melperon, Pipamperon +
Hypnotika Benzodiazepine +
antriebssteigernde Antidepressiva Desipramin +
dämpfende Antidepressiva Doxepin +
Antiparkinson-Medikamente Levodopa + +
Antibiotika Chinolone +
H1-Antihistaminika Doxylamin, Diphenhydramin +
Antihypertensiva Betablocker, a2-Agonisten + +
Diuretika Hydrochlorothiazid, Furosemid, Torasemid Xipamid (vor allem in Verbindung mit einer Hyponatriämie) +
Lipidsenker Statine +
Hormonpräparate Thyroxin, Glucocorticoide, orale Kontrazeptiva +
Tabelle 1: Medikamente, die zu einer Insomnie oder Hypersomnie führen können (29)

Wenn Menschen trotz einer ausreichenden Schlafdauer tagsüber Probleme haben, wach zu bleiben, liegt eine übermäßige Tagesschläfrigkeit (Hypersomnie) vor. Ungewolltes Einschlafen in reizarmen Situationen, zum Beispiel beim Lesen, Fernsehen oder Autofahren, sind die Folge. Hypersomnie tritt oft bei gesunden Menschen auf, die schlecht oder zu wenig geschlafen haben. Körperliche Erkrankungen wie Tumore, neurologische Störungen wie Morbus Parkinson oder endokrinologische Störungen können zugrunde liegen. Aber auch Arzneimittel sind als potenzielle Auslöser zu bedenken (Tabelle 1) (5).

Verschiebungen des Schlaf-Wach-Rhythmus wie bei Non-24 (Nicht-24-Stunden-Schlaf-Wach-Rhythmusstörung), das Schlafapnoe-Syndrom, nächtliche Bewegungsstörungen (Restless-Legs-Syndrom) oder auffällige Verhaltensweisen beim Schlafen (Parasomnie), zum Beispiel Albträume, Schlafwandeln und Zähneknirschen (Bruxismus), können ebenfalls einem erholsamen Nachtschlaf entgegenstehen (6).

Schlafmangel hat Folgen

Ein gesunder Nachtschlaf besteht aus zwei Phasen: dem Non-REM-Schlaf (non rapid eye movement), also einer Schlafphase ohne schnelle Augenbewegungen, und dem REM-Schlaf (rapid eye movement), der durch schnelle Augenbewegungen gekennzeichnet ist. Während Träumen hauptsächlich im REM-Schlaf stattfindet, schüttet der Körper in der Phase des Non-REM-Schlafs Wachstumshormone aus der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) aus, was zur nächtlichen Regeneration des Körpers beitragen könnte. Pro Nachtschlaf werden vier bis fünf Schlafzyklen durchlaufen, die jeweils etwa 90 Minuten dauern.

Das Schlafbedürfnis ist individuell unterschiedlich und hängt auch vom Alter ab. Ältere Menschen brauchen in der Regel etwas weniger Schlaf als Jüngere.

Schlafen Menschen längere Zeit schlecht oder zu wenig, wirkt sich das massiv auf die Leistungsfähigkeit, Lebensqualität und Gesundheit aus. Schlafmangel beeinträchtigt die Gehirnfunktion, was Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprobleme zur Folge hat. Auch das Ess- und Risikoverhalten verändern sich und eine erhöhte Reizbarkeit stellt sich ein (7, 8). Insomnien erhöhen laut der S3-Leitlinie »Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Insomnie bei Erwachsenen« (Stand 2017) sogar das Risiko für chronische Erkrankungen wie Hypertonie, Herzerkrankungen und Diabetes. Zudem besteht ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen Insomnien und psychischen Erkrankungen wie Depression, Angststörungen und Substanzmissbrauch (9).

Noch recht wenig beachtet wird, dass auch das Lymphsystem wichtige Aufgaben im Schlaf erfüllt. Es transportiert überschüssige Flüssigkeit und nicht mehr benötigte Stoffe wie Proteine aus den Geweben und Organen ab. Auch aus dem Gehirn entfernt der Körper auf diese Weise Schadstoffe. Letztere Funktion scheint mit zunehmendem Alter abzunehmen, was möglicherweise erklären könnte, dass neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Alzheimer im Alter verstärkt zutage treten (7, 10).

Nicht alle Kinder schlafen gut

Schätzungen zufolge leiden bis zu 40 Prozent der Kinder im Vorschul- und Schulalter unter Schlafstörungen, Jungen häufiger als Mädchen. Es kann sich dabei um alters- und entwicklungsabhängige Phänomene handeln. Die Schlafprobleme treten dann spontan auf und verschwinden auch wieder.

Auch eine schlechte Schlafhygiene kann Ursache sein. Hier können Eltern gegensteuern und abends für entspannende Routinen sorgen. Von einer Selbstmedikation raten Experten ab. Allenfalls kann man Melatonin versuchen, für die Wirksamkeit liegen zumindest Hinweise vor. Auch eine Lichttherapie kann helfen (9, 27).

Bei manchen Kindern sind psychische Probleme oder körperliche Erkrankungen dafür verantwortlich, dass sie nicht mehr ein- oder durchschlafen können. Die Spannbreite an Auslösern reicht von psychosozialen Belastungen über psychische Störungen wie Depressionen, Angsterkrankungen oder hyperaktive Störungen bis hin zu körperlichen Beschwerden wie Reflux, Atemwegserkrankungen oder Schmerzen. Solche Ursachen müssen adäquat behandelt werden. In schweren Fällen stellen Eltern das Kind am besten einem Facharzt oder in einem Schlaflabor vor.

Zuerst ohne Medikamente

Um gut schlafen zu können, sollten bestimmte Verhaltensweisen befolgt werden, die man als Schlafhygiene bezeichnet. Das Apothekenteam kann raten, nach dem Mittagessen keine koffeinhaltigen Getränke wie Kaffee, Schwarztee oder Cola mehr zu trinken. Auch für einen guten Schlaf ist es sinnvoll, regelmäßig körperlich aktiv sein und den Alkoholkonsum zu reduzieren.

Eine entspannende Abendroutine, etwa ein warmes Bad nehmen oder in einem Buch lesen, tut gut. Erregend wirkt es hingegen auf viele Menschen, wenn sie sich vor dem Schlafengehen mit Medien wie Handy oder Tablet beschäftigen. Das Schlafzimmer sollte dunkel und frisch gelüftet sein, viele Menschen schlafen am besten bei Temperaturen nicht über 18 °C. Ein weiterer Tipp: feste Schlafzeiten auch am Wochenende einhalten.

Bei anhaltenden Beschwerden greift einer DAK-Studie zufolge die Hälfte der Betroffenen zur Selbstmedikation (11). Rezeptfreie chemisch-synthetische Hypnotika sollten allerdings nur eingenommen werden, wenn nicht-medikamentöse Maßnahmen nicht ausreichen, und dann auch nicht länger als zwei Wochen am Stück.

Pflanzliches und Antihistaminika

Weeß empfiehlt, bei leichten Beschwerden zunächst ein Phytopräparat zu wählen. »Bei hoch konzentriertem Baldrianextrakt ist die Wirkung in Studien bestätigt. Man nimmt an, dass Inhaltsstoffe über das GABAerge System wirken.« Phytopharmaka, etwa mit Hopfenzapfen, Melissenblättern, Lavendelblüten, Passionsblumenkraut oder anderen Heilpflanzen einzeln oder in Kombinationen, können ebenfalls helfen, wie die entsprechenden Monographien des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) der Europäischen Arzneimittelagentur bestätigen. 

Der Nutzen von homöopathischen und anthroposophischen Mitteln ist dagegen nicht belegt.

Die Wirkung der pflanzlichen Präparate setzt in der Regel erst nach einigen Tagen oder Wochen ein. Die Patienten brauchen also Geduld (12).

Oft kommen auch Antihistaminika zum Einsatz (Tabelle 2). In Deutschland sind apotheken-, aber nicht rezeptpflichtig Diphenhydramin und Doxylamin erhältlich, andere nur gegen Rezept (Hydroxyzin, Promethazin). Die Autoren der S3-Leitlinie bewerten die Studienlage als unzureichend, insbesondere lägen keine hochwertigen randomisierten kontrollierten Studien (randomized controlled trial, RCT) vor. Sie merken zudem an, dass die Substanzen gemäß bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen einen allenfalls mäßigen Effekt bei deutlich verzögertem Wirkeintritt hätten und sich rasch eine Toleranz entwickeln könne (9). »Sie können allenfalls bei leichten Schlafstörungen helfen«, bestätigt Weeß.

Wirkstoff empfohlene Dosierung laut Leitlinie (mg) HWZ (h) Anwendungsgebiet(e)
Diphenhydramin 25 bis 50 3 bis 9 Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen
Doxylamin 25 bis 50 3 bis 6 Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen
Hydroxyzin (Rx) 37,5 bis 75 7 bis 20 Angst- und Spannungszustände, Ein- und Durchschlafstörungen, Urtikaria, potentes Antihistaminikum auch bei Pruritus
Promethazin (Rx) 25 bis 50 (laut Leitlinie kann bis 100 mg aufdosiert werden) 10 bis 12 Unruhe- und Erregungszustände bei psychiatrischen Grunderkrankungen, wenn therapeutische Alternativen nicht erfolgreich waren.
Bei Übelkeit, Erbrechen und Schlafstörungen bei Erwachsenen
Tabelle 2: Antihistaminika zur Behandlung von Schlafstörungen (9); Rx: verschreibungspflichtig

Zudem sind Nebenwirkungen wie Sehstörungen, Schwindel, Herzrhythmusstörungen und nicht zuletzt eine erhöhte Sturzgefahr zu beachten. Wegen dieser Risiken empfahl der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht (SVA) im Januar 2020, Doxylamin und Diphenhydramin bei Patienten über 65 Jahre der Rezeptpflicht unterstellen (13).

Zu beachten ist weiterhin, dass Diphenhydramin und Doxylamin etwa acht Stunden lang im Körper wirken. Nehmen Patienten sie zu spät am Abend oder erst in der Nacht ein, erleben sie am nächsten Morgen einen Hangover mit Müdigkeit und eingeschränkter Reaktionsfähigkeit etwa im Straßenverkehr (12).

Den Arztbesuch nicht aufschieben

Eine chronische Insomnie liegt vor, wenn ein Patient in einem Zeitraum von mehr als einem Monat in mehr als drei Nächten pro Woche schlecht schläft. »Spätestens dann, wenn sich Menschen durch den schlechten Schlaf tagsüber beeinträchtigt fühlen und ihre Lebensqualität sinkt, sollten sie sich Hilfe suchen«, rät der Schlafforscher. Mittel der Wahl sei die kognitive Verhaltenstherapie. Allerdings sind die Therapieplätze rar, die Wartezeiten lang und viele Patienten scheuen den Weg zum Psychotherapeuten.

Arzneimittel erscheinen oft als einfachere Lösung. Einer DAK-Studie zufolge lassen sich 43 Prozent der Betroffenen ein Schlafmittel auf Rezept verordnen. Jede fünfte Verschreibung erfolgt auf Privatrezepten, die somit in den Statistiken der gesetzlichen Krankenkassen nicht erfasst werden (11).

Der Schlafmediziner gibt zu bedenken: »Alle Hypnotika wirken nur rein symptomatisch. Das Problem an sich, in der Regel zu viel Stress und das Unvermögen, abends abzuschalten, lösen sie nicht.«

Benzodiazepine: wirksam, aber risikoreich

Die Anwendung von Benzodiazepinen und Benzodiazepinrezeptor-Agonisten ist umstritten. Die Arzneistoffe binden an Untereinheiten des Gamma-Aminobuttersäure-A-Rezeptors (GABAA-Rezeptor) am ligandengesteuerten Chlorid-Kanal und erhöhen die durch GABA hervorgerufene Chlorid-Leitfähigkeit. Dies hemmt die neuronale Transmission und führt den Schlaf herbei.

In Deutschland sind zur Behandlung einer Insomnie für eine Dauer von drei bis vier Wochen unter anderem zugelassen: Flunitrazepam (cave: Betäubungsmittel), Flurazepam, Lormetazepam, Nitrazepam, Temazepam, Triazolam sowie die Benzodiazepinrezeptor-Agonisten Zolpidem und Zopiclon. Eine weitere Z-Substanz, Zaleplon, ist noch in den USA verfügbar.

Seit April 2021 steht auch Eszopiclon, das (S)-Enantiomer von Zopiclon, hierzulande zur Verfügung (empfohlene Dosis 1 bis 3 mg). »Die Z-Substanz wird als genauso wirksam wie Benzodiazepine vermarktet, soll aber ein günstigeres Nebenwirkungsprofil haben«, berichtet Weeß. Der Hersteller wirbt damit, dass das Abhängigkeitspotenzial geringer sei, was daran liegen könnte, dass das (S)-Enantiomer möglicherweise eine geringere Affinität zur α1-Untereinheit des GABAA-Rezeptors als das Zopiclon-Racemat hat (14). Eszopiclon ist für vier Wochen erstattungsfähig, kann aber bei chronischen Schlafstörungen bis zu sechs Monate verordnet werden, wobei die Verschreibung die restlichen fünf Monate auf Privatrezept erfolgt.

So kurz wie möglich

Probleme bei einer Therapie mit Benzodiazepinen und Benzodiazepinrezeptor-Agonisten sind Abhängigkeit, Toleranzentwicklung und die Rebound-Insomnie nach Absetzen (Tabelle 3).

Substanzen mit längerer Halbwertszeit können im Körper kumulieren, was zu einer Wirkverstärkung und ‑verlängerung führt. Patienten erleben dadurch einen Hangover-Effekt am nächsten Morgen. Das beeinträchtigt unter anderem ihre Fähigkeit, am Straßenverkehr teilzunehmen. Bei Dauereinnahme können sich Gedächtnisfunktionen und Affekt verschlechtern. Für ältere Menschen sind die Medikamente besonders kritisch. Zum einen können sie paradoxe Reaktionen entwickeln, zum Beispiel eine Zunahme von Aggressivität, zum anderen ist eine erhöhte Sturzgefahr durch Muskelrelaxation möglich (15–17) (zu Nutzen und Risiken von Benzodiazepinen siehe den Beitrag »Benzodiazepine«).

Die Verordnungsdauer ist begrenzt. Bei Patienten mit langfristig bestehenden Schlafstörungen kann bei hohem Leidensdruck eine weitere Verordnung auf Privatrezept erfolgen. Diese »Abhängigkeit auf Rezept« bezeichnet Weeß als »problematisch, aber in einigen Fällen wegen mangelnder Alternativen nachvollziehbar«.

Grundsätzlich sollte die Verordnung stets nur mit strenger Indikationsstellung erfolgen. Das Mittel sollte in möglichst niedriger, aber ausreichender Dosierung angewendet werden. Am besten bespricht der Arzt die Therapiedauer bereits vor Behandlungsbeginn mit dem Patienten und überprüft in kurzen Zeitabständen, ob das Medikament noch erforderlich ist. Zum Absetzen sollte die Dosis möglichst frühzeitig reduziert werden (Tabelle 3) (16, 17).

Substanzgruppe Vorteile Nachteile Hinweise
Benzodiazepine schnell und zuverlässig wirksam,
lösen Ängste und Anspannungen
Gefahr von Abhängigkeit, zahlreiche UAW, vor allem für Ältere kritisch, Rebound-Effekt, Toleranzentwicklung, Entzugssymptome beim Absetzen »5k-Regel« beachten:
• nur bei klarer Indikation
• kleinste mögliche Dosis
• kürzester möglicher Zeitraum
• kein abruptes Absetzen
• Kontraindikationen beachten
Z-Substanzen vergleichbar wirksam wie klassische Benzodiazepin-Hypnotika,
kürzere Halbwertszeit und damit weniger Überhang am nächsten Morgen
ähnlich großes Abhängigkeitspotenzial wie Benzodiazepine, ähnliches Nebenwirkungsprofil »5k-Regel« beachten:
• nur bei klarer Indikation
• kleinste mögliche Dosis
• kürzester möglicher Zeitraum
• kein abruptes Absetzen
• Kontraindikationen beachten
sedierende Antidepressiva keine Gefahr von Sucht oder Abhängigkeit, verringern nächtliche Wachperioden kardiovaskuläre, urogenitale oder gastrointestinale UAW möglich, unerwünschte Gewichtszunahme besonders geeignet bei komorbiden Insomnien
Antipsychotika keine Gefahr von Sucht oder Abhängigkeit substanzspezifische Risiken und komplexes Nebenwirkungsprofil beachten vor allem zur Sedierung/Schlafunterstützung bei älteren Patienten oder bei psychiatrischer Komorbidität geeignet
Antihistaminika teilweise nicht rezeptpflichtig lange Halbwertszeit kann zu Hangover-Effekt führen, anticholinerge Nebenwirkungen, Gewöhnungseffekt nach wenigen Wochen, helfen allenfalls bei leichten Schlafstörungen in der Selbstmedikation nicht länger als zwei Wochen einsetzen
Phytopharmaka keine Gefahr von Abhängigkeit, wenig Nebenwirkungen helfen allenfalls bei leichten Schlafstörungen, kaum evidenzbasierte Wirknachweise Wirkung tritt erst nach einigen Tagen oder Wochen ein
Tabelle 3: Schlafmittel mit Anwendungshinweisen, Vor- und Nachteilen

Sedierende Antipsychotika und Antidepressiva

Bei älteren Menschen mit chronischen Schlafstörungen können Antipsychotika eine Option sein. Eine Zulassung für die Behandlung von Schlafstörungen gibt es für Melperon, Pipamperon und Promethazin (Tabelle 4). Einige Antipsychotika werden zur Sedierung und Schlafunterstützung bei Patienten mit psychiatrischer Komorbidität eingesetzt, haben aber keine Zulassung bei isolierten Schlafstörungen. Dazu gehören zum Beispiel Quetiapin, Olanzapin und Prothipendyl.

Wirkstoff empfohlene Dosierung laut Leitlinie (mg) HWZ (h) Anwendungsgebiete
Melperon 25 bis 100 4 bis 8 Schlafstörungen, Verwirrtheitszustände, Dämpfung von psychomotorischer Unruhe und Erregungszuständen, insbesondere bei:
• Patienten der Geriatrie und Psychiatrie,
• Psychosen, Oligophrenie, organisch bedingter Demenz, Psychoneurosen,
• Alkohol-Krankheit
Pipamperon 40 bis 120 17 bis 22 Schlafstörungen, insbesondere bei geriatrischen Patienten, psychomotorische Erregungszustände
Promethazin siehe Tabelle 2
Tabelle 4: Antipsychotika gegen Schlafstörungen (9)

Weitere Möglichkeiten sind sedierende Antidepressiva, die sich insbesondere bei Patienten mit komorbider Depression eignen. Die Dosierung wird beim Off-Label-Einsatz üblicherweise niedriger gewählt als gegen Depressionen, laut S3-Leitlinie 25 bis 100 mg Amitriptylin, 25 bis 100 mg Trazodon, 5 bis 100 mg Trimipramin, 3,75 bis 7,5 mg Mirtazapin und bei Doxepin 3 bis 100 mg.

Grundsätzlich haben Antidepressiva einige Vorteile: kein Abhängigkeitspotenzial, kaum Toleranzentwicklung und keine Rebound-Insomnie (Tabelle 3). Problematisch sind die anticholinergen Eigenschaften, wodurch sich unter anderem die QT-Zeit im EKG verlängern kann. Zudem können die Substanzen die REM-Schlafphasen unterdrücken und die kognitive Regeneration beeinträchtigen (18).

Die FORTA-Liste (Fit fOR The Aged) stuft Mirtazapin und Doxepin, aber auch die Antipsychotika Pipamperon und Melperon bei Insomnie und Schlafstörungen in die Gruppe C »ungünstige Nutzen-Risiko-Relation bei älteren Patienten« ein, konstatiert aber immerhin für Mirtazapin, dass die Substanz bereits in niedriger Dosierung gut schlafanstoßend wirke und zudem appetitsteigernd und antidepressiv wirksam sei. Diese Effekte können bei einigen geriatrischen Patienten günstig sein (19).

Da die Arzneistoffe eher langsam anfluten, kann das Apothekenteam den Patienten raten, die Medikation bereits zwei Stunden vor dem Zubettgehen einzunehmen, um den Hangover-Effekt zu reduzieren Die Wirkung tritt meist nach einer bis zwei Wochen ein. Die Substanzen sind beim Absetzen auszuschleichen.

Was bringt das Schlafhormon?

Immer mehr Kunden in der Apotheke fragen gezielt nach Mundsprays oder Tabletten mit Melatonin. Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, das zum großen Teil in der Epiphyse (Zirbeldrüse) des Zwischenhirns aus Serotonin gebildet wird. Licht unterdrückt die Melatonin-Synthese, Dunkelheit regt sie hingegen an. Das Hormon gilt als wichtiger Taktgeber für den Wach-Schlaf-Rhythmus (20).

Bei den freiverkäuflichen Melatonin-Präparaten handelt es sich nicht um Arzneimittel, für deren Zulassung klinische Studien erforderlich sind, sondern um Nahrungsergänzungsmittel (NEM). Hier ist die Tageshöchstmenge in der Regel auf 0,5 bis 1 mg begrenzt. Üblicherweise wird empfohlen, die benötigte Dosis 30 bis 60 Minuten vor dem Schlafengehen einzunehmen. Viele Patienten dosieren allerdings höher und auch einige Hersteller fordern zur individuellen Dosisfindung auf.

In Deutschland ist ein verschreibungspflichtiges 2-mg-Retardpräparat als Arzneimittel zur kurzfristigen Behandlung der primären Insomnie bei Patienten ab 55 Jahren zugelassen (Circadin®). Die Anwendung ist auf drei Monate begrenzt (9).

Autoren eines Reviews untersuchten die Wirkung von Melatonin zur generellen Behandlung von Schlafstörungen. Es gebe zwar Hinweise, dass Melatonin bei älteren Personen die Einschlafzeit verkürzen und die Schlafqualität verbessern könne, jedoch fehlten große RCT. Die Datenlage erlaube eine vorsichtige Empfehlung, Melatonin einzunehmen, um einem Jetlag vorzubeugen oder diesen zu behandeln. Wie sicher die Mittel bei einer längerdauernden Anwendung sind, sei unklar (21).

App zum Schlafen

Eine neue nicht-medikamentöse Option bietet das zertifizierte Medizinprodukt »somnio«. Die digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) ist als erste Schlaf-App als Kassenleistung erhältlich. Sie wird von einem Arzt oder Psychotherapeuten verschrieben. Mit der App absolviert der Patient seine personalisierten Schlaftrainings für einen Verordnungszeitraum von 90 Tagen (22).

Eine weitere nebenwirkungsarme Option, vor allem für ältere Menschen, ist die Lichttherapie. Behandlungen mit medizinischen Speziallampen bieten zum Beispiel spezialisierte Arztpraxen oder Schlafambulanzen an. Bei Tageslichtlampen für den Hausgebrauch ist auf eine ausreichende Beleuchtungsstärke (10.000 Lux) zu achten.

Für Patienten mit extremen Schlafproblemen ist ein Besuch im Schlaflabor empfehlenswert. Bei der Polysomnografie werden unter anderem die Hirnströme (EEG: Elektroenzephalogramm), die Augenbewegungen (EOG: Elektrookulogramm), die Muskelaktivität (EMG: Elektromyogramm), die Atemanstrengung, die Herzaktivität (EKG: Elektrokardiogramm) und der Sauerstoffgehalt im Blut erfasst, während der Betroffene schläft. Anschließend bespricht der Arzt mit dem Patienten das Testergebnis und wie die weitere Behandlung aussehen könnte.

Eine Liste mit akkreditierten schlafmedizinischen Zentren in Deutschland stellt die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) zur Verfügung (23, 24).

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