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Physio- und oft auch Ergotherapie gehören zum Therapiespektrum bei Multipler Sklerose immer dazu. Die medikamentösen Optionen haben in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. / Foto: Adobe Stock/herraez
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine autoimmun induzierte neurologische Entzündungserkrankung, von der gegenwärtig in Deutschland etwa 250.000 Menschen betroffen sind. Die Zahl der jährlich neu diagnostizierten Patienten wird mit etwa 10.000 angegeben. Die Erkrankung tritt meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf, wobei zunehmend über ältere Neuerkrankte berichtet wird. Frauen weisen eine höhere Inzidenz auf.
Charakteristisch für eine Autoimmunerkrankung: Die Pathologie liegt in einer Deregulierung des Immunsystems und einem immunologischen Angriff auf körpereigenes Gewebe begründet. In einer meist schubförmigen Verlaufsaktivität invadieren autoreaktive T- und B-Lymphozyten in das zentrale Nervensystem (Gehirn und Knochenmark) und induzieren eine Demyelinisierung der Nervenbahnen (Abbildung 1). Daraus resultieren entzündliche Prozesse und axonale Schäden (1), die sich während eines Krankheitsschubs in vielfältigen neurologischen Ausfallerscheinungen manifestieren.
Abbildung 1: Der Pathomechanismus bei MS ist durch die Invadierung von T- und B-Lymphozyten sowie Makrophagen über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn geprägt. Dort erfolgt eine weitere Aktivierung und Differenzierung der Lymphozyten, in deren Folge aktivierte Makrophagen die Axone der Nervenzellen angreifen. / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Die in einem akuten Schub entstehenden »multiplen« Entzündungsherde verheilen teilweise wieder unter Narbenbildung, »sklerosieren« also in einer Remissionsphase. Die Symptomatik der MS ist extrem vielfältig und hängt ab von der Intensität der Schädigung und deren Lokalisation im Gehirn. Die häufigsten Symptome umfassen Seh- und Sprachstörungen, Taubheitsempfindungen, Gangunsicherheiten sowie Lähmungen.
Autoimmune Erkrankungen gelten immer noch als unheilbar. Bei der MS besteht eine gewisse genetische Prädisposition. Im Fokus stehen die HLA-(Humane Lymphozyt Antigen-)DR15-Haplotyp-Modifikationen (2), die eine fehlerhafte Antigenpräsentation induzieren. Diese können zusammen mit externen Faktoren zur Fehlregulation des Immunsystems führen.
Die Symptomatik der MS ist extrem vielfältig. Am häufigsten sind Seh- und Sprachstörungen, Taubheitsempfinden, Gangunsicherheit und Lähmungen. / Foto: Adobe Stock/doucefleur
Seit vielen Jahren ist bekannt, dass virale Infektionen offensichtlich mit der Induktion der MS korrelieren. Daher hat kürzlich eine beweiskräftige Studie zum Zusammenhang der MS-Inzidenz mit einer früheren Infektion mit Epstein-Barr-Viren (EBV) große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Diese epidemiologischen Daten beweisen, dass eine Infektion mit EBV das Risiko, an MS zu erkranken, um das 32-Fache gegenüber EBV-negativen Probanden erhöht (3).
Mit zunehmenden Einblicken in die vielfältigen, auch immunologisch steuernden Funktionen der intestinalen Mikrobiota (Darmbakterienflora) werden auch Zusammenhänge mit der MS-Erkrankung deutlich. Fakt ist, dass die Patienten eine veränderte Zusammensetzung der Mikrobiota gegenüber Gesunden aufweisen, was zum Ungleichgewicht zwischen aktivierten T-Zellen (TH17) und immunsuppressiven Treg-Zellen beitragen kann. Studien belegen, dass durch die mikrobielle Imbalance bestimmte Regulatorstoffe, zum Beispiel Propionsäure, fehlen. Eine Patientenstudie mit therapeutisch immunmodulierten MS-Erkrankten zeigte eindrucksvoll, dass die orale Supplementierung von Natriumpropionat die Immunbalance und die Symptomatik positiv beeinflusst (4). Der genaue Mechanismus ist unbekannt.
Als ein weiterer externer Faktor erhöhter MS-Inzidenz ist Rauchen epidemiologisch klar belegt. Auch ein Mangel an Vitamin D wird seit vielen Jahren diskutiert, womit sich das Nord-Süd-Gefälle in der Erkrankungsstatistik der MS erklären lässt. Eine aktuelle deutsche Studie zeigt an zwei geografisch unterschiedlichen Patientenkohorten die Zusammenhänge von Sonneneinstrahlung und Vitamin-D-Spiegeln mit der Schwere der Krankheitsverläufe, dem Risiko für Rückfälle und der langfristigen Behinderungsprogression (5). Solche Befunde unterstützen eine kontrollierte Vitamin-D-Supplementierung (14.000 I.E. täglich). Die in den letzten Jahren diskutierte Ultrahochdosistherapie (mehr als 100.000 I.E. täglich) ist aufgrund vielfältiger Risiken zunehmend passé.