Variabler und zielgenauer |
Es werden drei Verlaufsformen unterschieden, wobei das sogenannte klinisch isolierte Syndrom (CIS) oft ein Anfangsstadium der Krankheit markiert. Bei etwa 80 Prozent der Neuerkrankten tritt eine schubförmig remittierende MS (relapsing remitting; RRMS) auf: Entzündungsschübe mit mindestens 24-stündiger Symptomatik klingen dann wieder (nahezu) vollständig ab. Verschlechtern sich die Ausfallerscheinungen und damit die Beschwerden der Patienten über sechs Monate kontinuierlich, wird dies als sekundär progrediente MS (SPMS) bezeichnet. Viele Patienten erleiden nach längerer Erkrankungszeit einen Übergang von der RRMS zur SPMS.
Bei 10 bis 15 Prozent der Patienten verstärkt sich die Krankheitsintensität kontinuierlich ohne ausgesprochene Schubaktivität; dies wird als primär progrediente Verlaufsform (PPMS) bezeichnet.
Die therapeutisch verwendeten Arzneistoffe wirken mit verschiedensten Ansatzpunkten immunmodulierend oder immunsuppressiv. Im Februar 2021 wurde die von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie aktualisierte und erweiterte S2k-Leitlinie zur Therapie und Diagnostik der MS veröffentlicht (6). Ziel dieser konsensbasierten Leitlinie ist eine stärker individualisierte und evidenzbasierte Behandlung.
Neu gegenüber dem bis dato geltenden starren Stufenschema ist eine Festlegung von drei Wirksamkeitskategorien, denen die verlaufsmodifizierenden MS-Wirkstoffe zugeordnet werden. Die Zuordnung basiert auf der in klinischen Studien bewiesenen Reduktion der entzündlichen Schubraten (Tabelle). Diese beträgt bei Wirkstoffen der Kategorie 1 etwa 30 bis 50 Prozent und der Kategorie 2 circa 50 bis 60 Prozent versus Placebo, während bei Wirkstoffen der Kategorie 3 von einer über-60-prozentigen Reduktion versus Placebo oder 40 Prozent gegenüber Kategorie-1-Arzneistoffen ausgegangen wird.
Kategorie | Relative Reduktion der Schubrate (verglichen mit Placebo) | Wirkstoffe |
---|---|---|
1 | 30 bis 50 Prozent | Beta-Interferon, PEG-InterferonDimethylfumaratGlatirameroideTeriflunomid |
2 | 50 bis 60 Prozent | CladribinS1P-Rezeptor-Modulatoren: Fingolimod, Ozanimod, Ponesimod |
3 | > 60 Prozent oder> 40 Prozent verglichen mit Kategorie 1 | AlemtuzumabCD20-Antikörper: Ocrelizumab, Rituximab (off Label)Natalizumab |
Diese Einteilung lässt mehr Freiheitsgrade. Obwohl bei Therapiebeginn meist Wirkstoffe der Kategorie 1 genutzt werden, kann der Arzt bei einer erwartet schweren Verlaufsform auch direkt mit höheren Kategorien behandeln. Höhere Kategorie und damit stärkere Wirksamkeit können, müssen aber nicht mit stärkeren Nebenwirkungen einhergehen.
Unverändert bleibt die Therapie akuter Schübe durch die intravenöse Gabe von Methylprednisolon (500 bis 1000 mg täglich) für drei bis fünf Tage. Die Leitlinie eröffnet für jede Kategorie Beispiele möglicher Wechsel- oder Ausstiegsszenarien. Ein in der PZ 49/2021 erschienener Titelbeitrag adressiert dies explizit (7), daher werden diese Aspekte hier nicht näher erläutert. Die Leitlinie klärt zudem, inwieweit eine initial stärkere Therapie langfristig zu einer reduzierten Behinderungsprogression führt (8).