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ARZNEISTOFFE

Etranacogen Dezaparvovec|Hemgenix®|42|2023

 
STOFFGRUPPE
42 Gen- und Zelltherapeutika
WIRKSTOFF
Etranacogen Dezaparvovec
FERTIGARZNEIMITTEL
Hemgenix®
HERSTELLER

CSL Behring

MARKTEINFÜHRUNG (D)
05/2023
DARREICHUNGSFORM

1 x 1013 Genomkopien/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung

ATC-CODE
noch nicht zugewiesen
ORPHAN DRUG
Ja

Indikationen

Hemgenix ist zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit schwerer oder mittelschwerer Hämophilie B ohne Faktor-IX-Inhibitoren in der Vorgeschichte.

Wirkmechanismus

Hemgenix exprimiert den menschlichen Gerinnungsfaktor IX. Das Gentherapeutikum nutzt einen nicht vermehrungsfähigen, gentechnisch veränderten Vektor auf Basis eines Adeno-assoziierten Virus Serotyp 5 (rAAV5). Dieser trägt eine Kodon-optimierte cDNA der menschlichen FIX-Variante R338L (FIX-Padua), die durch einen leberspezifischen Promotor (LP1) gesteuert wird. Die FIX-Padua-Variante ist sechs- bis achtmal aktiver als der in der Allgemeinbevölkerung normalerweise vorkommende Wildtyp. Nach erfolgreicher Transduktion in die Hepatozyten kommt es zu einer effektiven endogenen FIX-Produktion, was für kontinuierlichen und anhaltenden Schutz vor Blutungen sorgen kann. Modellrechnungen sagen für mehr als die Hälfte der Patienten mit einem milden Phänotyp ein prophylaxefreies Leben für eine Dauer von mehr als 25 Jahren nach Infusion voraus.

Anwendungsweise und -hinweise

Hemgenix wird einmalig als intravenöse Infusion angewendet. Vor der Verabreichung sollte auf bereits vorhandene neutralisierende Anti-AAV5-Antikörpertiter getestet werden. Die empfohlene Dosis sind einmalig 2 x 1013 Genomkopien pro kg Körpergewicht. Da bis zum Eintritt der therapeutischen Wirkung mehrere Wochen vergehen können, kann eine hämostatische Unterstützung mit exogenem humanem Faktor IX in den ersten Wochen nach der Infusion erforderlich sein. Nach der Verabreichung wird eine Überwachung der Faktor-IX-Aktivität (zum Beispiel wöchentlich für drei Monate) empfohlen, um ein Ansprechen zu verfolgen.

 

Während oder kurz nach der Hemgenix-Infusion sind Infusionsreaktionen, einschließlich Überempfindlichkeitsreaktionen und Anaphylaxie, möglich. Die Patienten sollten während der gesamten Infusionsdauer und mindestens drei Stunden nach Beendigung der Infusion engmaschig auf Infusionsreaktionen überwacht werden. Nach klinischem Ermessen kann eine Behandlung mit einem Corticosteroid oder Antihistaminikum in Betracht gezogen werden. Hinsichtlich Letzterer gilt es, Wechselwirkungen im Blick zu haben. So können Wirkstoffe, die CYP3A4 induzieren oder inhibieren, die Wirksamkeit des Corticosteroid-Behandlungsschemas verringern oder Nebenwirkungen verstärken.

Wichtige Wechselwirkungen

Infolge einer Vektorintegration besteht ein potenziell erhöhtes Malignitätsrisiko. Es wird empfohlen, dass Patienten mit vorbestehenden Risikofaktoren für ein hepatozelluläres Karzinom (zum Beispiel Leberfibrose, Hepatitis-C- oder -B-Erkrankung, nicht-alkoholische Fettlebererkrankung) sich regelmäßigen Ultraschalluntersuchungen der Leber unterziehen und für mindestens fünf Jahre nach der Verabreichung von Hemgenix regelmäßig auf erhöhte α-Fetoprotein-Werte (AFP) untersucht werden.

 

Wie bei anderen AAV5-Vektor basierten Therapien kann es zu einem Anstieg der Lebertransaminasen (Transaminitis) kommen. Um das Risiko für eine mögliche Hepatotoxizität zu minimieren, sollte vor Behandlungsbeginn die Lebergesundheit überprüft werden. Zudem sollten die Transaminasen engmaschig überwacht werden, zum Beispiel einmal pro Woche für mindestens drei Monate. Die gleichzeitige Einnahme von hepatotoxischen Wirkstoffen sollte vermieden werden. Bei erhöhten ALT-Werten oberhalb der oberen Normgrenze oder bei Verdopplung gegenüber dem ALT-Ausgangswert des Patienten innerhalb der ersten drei Monate nach der Verabreichung sollte eine Corticosteroid-Behandlung in Betracht gezogen werden.

 

Vor der Verabreichung von Hemgenix sollte der Impfstatus des Patienten überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Während einer immunmodulierenden Therapie sollten Patienten keine Lebendimpfstoffe erhalten.

Nebenwirkungen

Zu den häufigen Nebenwirkungen gehören Kopfschmerzen, grippeähnliche Symptome sowie infusionsbedingte Reaktionen. Neun von 54 Teilnehmern (16,7 Prozent) entwickelten eine behandlungsbedürftige Erhöhung der ALT.

Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen

Kontraindiziert ist die Gentherapie bei Patienten mit akuten oder nicht kontrollierten chronischen Leberinfektionen sowie bei Patienten mit bekannter fortgeschrittener Leberfibrose oder -zirrhose.

Bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Inhaltsstoffe ist das Arzneimittel kontraindiziert.

Studien

Die Zulassung basiert auf der offenen, einarmigen Phase-III-Studie HOPE-B an 54 erwachsenen Patienten mit mittelschwerer und schwerer Hämophilie B. In einer sechsmonatigen Einleitungsphase, in der die Probanden weiterhin ihre Standardtherapie verwendeten, wurde die jährliche Blutungsrate (ABR) als Referenzwert ermittelt. Danach erhielten die Studienteilnehmer eine einmalige Infu­sion Etranacogen Dezaparvovec. Der primäre Endpunkt war die 52-wöchige ABR nach Erreichen einer stabilen FIX-Transgenexpression, gemessen von Monat 7 bis 18 nach Infusion.

 

Von der laufenden Studie liegen die 24-Monatsdaten vor. Im Vergleich zur Einleitungsphase verringerten sich demnach die bereinigte ABR signifikant um 64 Prozent, die Rate behandelter Blutungen um 73 Prozent und die Rate an Gelenkblutungen um 80 Prozent. 96 Prozent der Patienten konnten die Faktor-IX-Prophylaxe beenden.

Hintergrundinfos

Hämophilie B ist eine seltene, x-chromosomal vererbte Blutgerinnungsstörung. Verursacht wird sie durch Mutationen im F9-Gen, das für den Gerinnungsfaktor IX (FIX) kodiert. Infolge des Mangels oder Funktionsverlusts von FIX ist die Blutgerinnungsfähigkeit vermindert, was zu Einblutungen in Gelenke, Muskeln und innere Organe, einschließlich des Gehirns, führen kann. Die derzeitige Behandlung von mittelschwerer bis schwerer Hämophilie B besteht in lebenslangen prophylaktischen Infusionen von FIX. Doch auch unter langwirksamen rekombinanten FIX-Produkten können weiterhin Durchbruchblutungen auftreten. Komplikationen sind langfristig oft nicht zu vermeiden.

Besonderheiten

Hemgenix ist bei Temperaturen von 2–8 °C (Kühlschrank) sowie vor Licht geschützt (Originalverpackung) zu lagern. Es darf nicht einfrieren.

Hemgenix ist verschreibungspflichtig.

Weitere Hinweise

In klinischen Studien wurde nach Verabreichung von Hemgenix vorübergehend transgene DNA im Sperma und im Blut nachgewissen. Zeugungsfähige Patienten und ihre Partnerinnen im gebärfähigen Alter müssen für zwölf Monate mit einer Barrieremethode verhüten. Die Gentherapie sollte während der Schwangerschaft nicht angewendet werden und wird nicht für Frauen im gebärfähigen Alter empfohlen. Sie darf während der Stillzeit nicht angewendet werden.

 

Um das Risiko einer horizontalen Übertragung (Übertragung auf Dritte) zu minimieren, darf der Patient weder Blut noch Samen oder Organe, Gewebe oder Zellen für Transplantationen spenden.

Vorläufige Bewertung

Sprunginnovation

Letzte Aktualisierung: 31.05.2023