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ARZNEISTOFFE

Valoctocogen Roxaparvovec|Roctavian®|42|2022

STOFFGRUPPE
42 Gen- und Zelltherapeutika
WIRKSTOFF
Valoctocogen Roxaparvovec
FERTIGARZNEIMITTEL
Roctavian®
HERSTELLER

Biomarin

MARKTEINFÜHRUNG (D)
09/2022
DARREICHUNGSFORM

2x1013 Vektorgenome/ml Infusionslösung

ATC-CODE
noch nicht zugewiesen
ORPHAN DRUG
Ja

Indikationen

Roctavian ist zugelassen zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schwerer Hämophilie A (kongenitalem Faktor-VIII-Mangel) ohne Faktor-VIII-Inhibitoren in der Vorgeschichte und ohne nachweisbare Antikörper gegen Adeno-assoziiertes Virus Serotyp 5 (AAV5).

Wirkmechanismus

Valoctocogen Roxaparvovec besteht aus einem nicht replizierenden AAV5-Vektor, der die cDNA des humanen FVIII-Gens ohne dessen B-Domäne enthält. Innerhalb der Zelle formt das Transgen ein stabiles Episom, das außerhalb des Genoms vorliegt. Aufgrund des Tropismus des Vektors und des leberspezifischen Promotors erfolgt die FVIII-Produktion hauptsächlich in Hepatozyten. Der exprimierte Gerinnungsfaktor ersetzt den fehlenden Faktor, der für eine effektive Hämostase notwendig ist. Da die Expression des transferierten Gens mit der Zeit nachzulassen scheint, müssen weitere Studien klären, wie lange der Effekt anhält.

Anwendungsweise und -hinweise

Roctavian wird einmalig verabreicht. Das geschieht per intravenöser Infusion. Die Dosis richtet sich nach dem Körpergewicht des Patienten. Die empfohlene Dosierung sind 6 x 1013 Vektorgenome pro Kilogramm Körpergewicht.

 

Grundsätzlich wird Roctavian nicht bei Vorliegen einer Lebererkrankung empfohlen, da die Wirksamkeit letztlich auf der Bildung des Gerinnungsfaktors in den Hepatozyten beruht. Vor der Therapie und in regelmäßigen Abständen nach der Anwendung von Roctavian wird daher die Leberfunktion überprüft.

 

Der Einsatz hepatotoxischer Arzneimittel muss kritisch hinterfragt werden. Die Patienten sollen außerdem für mindestens ein Jahr nach Verabreichung von Roctavian auf Alkoholkonsum verzichten und ihn nachfolgend begrenzen. Die Anwendung von Isotretinoin wird nicht empfohlen, da es die Faktor-VIII-Expression beeinträchtigen kann.

Wichtige Wechselwirkungen

Der Einsatz hepatotoxischer Arzneimittel muss kritisch hinterfragt werden. Die Patienten sollen außerdem für mindestens ein Jahr nach Verabreichung von Roctavian auf Alkoholkonsum verzichten und ihn nachfolgend begrenzen. Die Anwendung von Isotretinoin wird nicht empfohlen, da es die Faktor-VIII-Expression beeinträchtigen kann.

Nebenwirkungen

Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen von Roctavian zählen erhöhte Leberenzymwerte, Übelkeit und Kopfschmerzen.

Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen

Kontraindiziert ist Roctavian bei Personen, die an einer aktiven akuten oder chronischen Infektion leiden, die nicht durch Arzneimittel kontrolliert wird, oder die eine signifikante Leberfibrose oder -zirrhose haben.

Bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Inhaltsstoffe ist das Arzneimittel kontraindiziert.

Studien

Um die Wirksamkeit und Sicherheit von Valoctocogen Roxaparvovec zu evaluieren, erhielten 134 Männer mit schwerer Hämophilie eine einmalige Infusion von 6 x 1013 Vektorgenomen pro Kilogramm Körpergewicht. Alle Probanden waren mindestens 18 Jahre alt, erhielten seit mindestens einem Jahr FVIII-Konzentrate zur Prophylaxe und hatten keine Hemmkörper gegen FVIII gebildet. Als primärer Endpunkt wurde die Veränderung der FVIII-Aktivität 49 bis 52 Wochen nach Infusion im Vergleich zum Studienbeginn festgelegt. Sekundäre Endpunkte waren die Veränderungen des annualisierten Bedarfs an FVIII-Konzentrat sowie der Anzahl der Blutungsereignisse, gemessen ab der fünften Woche nach Behandlung. Als weiterer Endpunkt wurde die FVIII-Aktivität in der Untergruppe derer ausgewertet, bei denen die Intervention mindestens zwei Jahre zurücklag.

 

Die durchschnittliche FVIII-Aktivität lag in den Wochen 49 bis 52 nach Behandlung um 42 IE pro dl höher als bei Studienbeginn, was einen signifikanten Anstieg darstellte. Bei 38 Prozent der Probanden betrug die Veränderung mindestens 40 IE pro dl, bei 50 Prozent der Teilnehmer zwischen 5 und 40 IE pro dl, was einer milden Hämophilie entspricht, und bei 12 Prozent weniger als 5 IE pro dl. Nach der vierten Woche war der durchschnittliche annualisierte Bedarf an FVIII-Konzentrat signifikant um 99 Prozent gesunken. Die durchschnittliche Häufigkeit der Blutungsereignisse nahm ebenfalls signifikant um 84 Prozent ab. In der Subgruppe der Probanden, die ihre Infusion mindestens zwei Jahre vor Datenauswertung erhalten hatten, war die FVIII-Aktivität nach einem Jahr um durchschnittlich 42 IE pro dl erhöht, nach zwei Jahren noch um durchschnittlich 24 IE pro dl.

Hintergrundinfos

Hämophilie A ist fünf- bis siebenmal häufiger als Hämophilie B. In Deutschland sind rund 4000 Menschen betroffen. Da die Erkrankung X-chromosomal vererbt wird, sind die Patienten in der Regel männlichen Geschlechts. Hämophilie A führt zu einer mangelnden Aktivität des Blutgerinnungsfaktors VIII. Dieser beschleunigt die Aktivierung von Faktor X in der Blutgerinnungskaskade um das 100.000-Fache. Es ist also leicht nachvollziehbar, dass fehlende Faktor-VIII-Aktivität mit Blutgerinnungsstörungen einhergeht. Die Faktor-VIII-Aktivität korreliert dabei mit dem Blutungsrisiko.

 

Von einer schweren Hämophilie A spricht man, wenn die FVIII-Aktivität bei <1 IE pro dl liegt. Betroffene leiden dann unter häufigen Blutungsepisoden und auch spontanen Blutungen. Faktor-VIII-Präparate haben die Behandlung der Hämophilie A in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert, insbesondere Präparate mit verlängerter Halbwertszeit. Die Einführung des bispezifischen Antikörpers Emicizumab war ein wichtiger weiterer Therapiefortschritt. Allerdings haben auch die neuen Medikamente ihre Grenzen. Insbesondere Entzündungen der Gelenkinnenhaut und die stark belastenden Gelenkblutungen können sie nicht verhindern. Es gibt also Bedarf an neuen Therapieoptionen.

Besonderheiten

Roctavian ist bei unter - 60 °C zu lagern und zu transportieren. Es muss Original-Umkarton aufbewahrt werden, um das Arzneimittel vor Licht zu schützen. Es muss außerdem aufrecht stehend gelagert werden. Nach dem Auftauen darf es nicht wieder eingefroren werden.

Roctavian ist verschreibungspflichtig.

Weitere Hinweise

In klinischen Studien wurde nach der Verabreichung von Roctavian vorübergehend transgene DNA im Sperma nachgewiesen. Über einen Zeitraum von sechs Monaten nach der Infusion müssen zeugungsfähige Patienten und ihre Partnerinnen im gebärfähigen Alter mithilfe einer Doppelbarrieremethode eine Schwangerschaft verhüten oder verschieben; Männer dürfen keinen Samen spenden.

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Sprunginnovation

Letzte Aktualisierung: 04.10.2022