Pharmazeutische Zeitung online
ARZNEISTOFFE

Tisagenlecleucel|Kymriah®|42|2018

STOFFGRUPPE
42 Gen- und Zelltherapeutika
WIRKSTOFF
Tisagenlecleucel
FERTIGARZNEIMITTEL
Kymriah®
HERSTELLER

Novartis

MARKTEINFÜHRUNG (D)
09/2018
DARREICHUNGSFORM

1,2 x 106 bis 6 x 108 Zellen Infusionsdispersion

ATC-CODE
L01XL04
ORPHAN DRUG
Ja

Indikationen

Kymriah ist zugelassen zur Behandlung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter bis zu 25 Jahren mit refraktärer oder rezidivierter akuter lymphatischer B-Zell-Leukämie (ALL) sowie von Erwachsenen mit rezidiviertem oder refraktärem diffus großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) nach zwei oder mehr Linien einer systemischen Therapie. Kymriah wird individuell angefertigt und in ein bis drei tiefgefrorenen Infusionsbeuteln ausgeliefert, die insgesamt 1,2 x 106 bis 6 x 108 CAR-positive lebensfähige T-Zellen enthalten.

Wirkmechanismus

Tisagenlecleucel ist ein gänzlich neuer Therapieansatz in der Onkologie: Bei Tisagenlecleucel handelt es sich um patienteneigene T-Zellen, die durch Genmodifikation so verändert wurden, dass sie einen chimären Antigenrezeptor (CAR) exprimieren. Dieser Rezeptor richtet sich gegen CD19, ein Oberflächenantigen bestimmter Leukämiezellen. Kommt eine den chimären Antigenrezeptor tragende T-Zelle mit CD19 in Kontakt, wird sie aktiviert; sie zerstört daraufhin die CD19 tragende B-Zelle und vermehrt sich. Dem Immunsystem des Patienten wird somit beigebracht, den Krebs zu bekämpfen.

Anwendungsweise und -hinweise

Dem Patienten werden zunächst per Leukapherese weiße Blutkörperchen entnommen und diese zur Bearbeitung an Novartis geschickt. In einer spezialisierten Einheit des Herstellers erfolgt dann die Extraktion der T-Zellen und deren Umprogrammierung mittels eines lentiviralen Vektors. Herstellung und Freigabe des Medikaments dauern im Allgemeinen drei bis vier Wochen. 2 bis 14 Tage vor der Anwendung von Kymriah soll der Patient eine Chemotherapie zur Konditionierung erhalten. Alle diese Schritte sind genau zu planen und im Voraus zeitlich aufeinander abzustimmen. Die Infusion selbst muss dann innerhalb von 30 Minuten erfolgen.

 

Kymriah darf nur an qualifizierten Behandlungszentren von speziell geschultem Personal verabreicht werden. Vor der Infusion muss sichergestellt sein, dass eine Notfallausrüstung sowie mindestens vier Dosen des Anti-Interleukin-6-Antikörpers Tocilizumab (RoActemra®) vorhanden sind. Der Grund für diese Vorsichtsmaßnahme ist, dass Tisagenlecleucel häufig ein Zytokin-Freisetzungssyndrom auslöst, eine massive Freisetzung von Zytokinen aus T-Zellen, die unter anderem zu Blutdruckabfall, Gehirnödem, Schock und Herzstillstand führen kann. Tocilizumab dämpft diese überschießende Immunantwort, ohne dass die CAR-T-Zellen darunter leiden. Corticosteroide können dagegen den Erfolg der Therapie beeinträchtigen, weshalb sie außer in lebensbedrohlichen Notfällen nicht angewendet werden sollen.

Nebenwirkungen

Tisagenlecleucel kann viele schwerwiegende Nebenwirkungen auslösen, allen voran ein Zytokin-Freisetzungssyndrom. Die Patienten müssen deshalb mindestens in den ersten zehn Tagen nach der Infusion engmaschig überwacht werden. Je nach Schwere sollen sie mit Antibiotika, Antipyretika, Sauerstoff, intravenöser Flüssigkeitszufuhr, Vasopressoren oder Tocilizumab behandelt werden. Die Fachinformation enthält hierzu detaillierte Anweisungen.

 

Auch Neurotoxizitäten sind häufig, die sich etwa durch Verwirrtheit, Delirium oder Krampfanfälle äußern können. Die Behandlung dieser Nebenwirkung erfolgt abhängig von der zugrundeliegenden Pathophysiologie.

 

Infolge der Therapie mit Tisagenlecleucel kann es außerdem zu einem dauerhaften Abfall der Gammaglobuline kommen. Um Infektionen vorzubeugen, sollten Patienten dann eine Ersatztherapie oder eine Antibiotikaprophylaxe erhalten.

Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen

Patienten mit aktiver Hepatitis-B-, Hepatitis-C- oder HIV-Infektion kommen für die Therapie mit Tisagenlecleucel nicht infrage.

Bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Inhaltsstoffe ist das Arzneimittel kontraindiziert.

Studien

In der Indikation ALL erhielten bislang 160 Patienten Kymriah im Rahmen von Studien, 75 davon in der Phase-II-Zulassungsstudie B2202. Von diesen erreichten 61 (81,3 Prozent) eine komplette Remission mit vollständiger beziehungsweise unvollständiger Wiederherstellung des Blutbildes. Das mediane Überleben war zum Zeitpunkt der Markteinführung (September 2018) noch nicht erreicht. Sechs Monate nach der Behandlung betrug die Überlebenswahrscheinlichkeit 90,3 Prozent, zwölf Monate danach 76,4 Prozent.

 

Für die Zulassung bei DLBCL war die Phase-II-Studie C2201 mit insgesamt 165 Patienten ausschlaggebend. Von den 93 auswertbaren Patienten, die eine Infusion erhalten hatten, sprachen 37 (39,8 Prozent) komplett auf die Therapie an und 11 (11,8 Prozent) teilweise. Nach sechs Monaten betrug die Wahrscheinlichkeit, rezidivfrei zu sein, 68,2 Prozent, nach zwölf Monaten 65,1 Prozent.

Hintergrundinfos

Mit Tisagenlecleucel behandelte Patienten dürfen später kein Blut und keine Organe spenden. Da sie lebenslang ein erhöhtes Krebsrisiko haben, sollten sie im weiteren Verlauf regelmäßig untersucht werden. Sollten sie später einmal einen HIV-Test machen, ist zu beachten, dass dieser falsch positiv ausfallen kann. Der Grund dafür ist eine mögliche Kreuzreaktion zwischen dem bei der Herstellung von Kymriah verwendeten Lentivirus und HIV.

Besonderheiten

Kymriah ist bei Temperaturen nicht über -120 °C aufzubewahren und zu transportieren, zum Beispiel in einem Gefäß zur Tieftemperaturlagerung (Dewar) in der Dampfphase von Flüssigstickstoff.

 

Es muss außerdem in der Original-Schutzhülle (Tyvek), die die Schutzkassette mit dem Infusionsbeutel enthält, aufbewahrt werden.

 

Kymriah ist verschreibungspflichtig.

Weitere Hinweise

Die Anwendung von Tisagenlecleucel während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird nicht empfohlen.

 

Ein Risiko für den gestillten Säugling kann nicht ausgeschlossen werden, da nicht bekannt ist, ob Tisagenlecleucel-Zellen in die Muttermilch übergehen. Stillende Frauen sollten über das mögliche Risiko für den gestillten Säugling aufgeklärt werden.

Letzte Aktualisierung: 15.01.2020