Der Name ist Programm |
Wissenschaftliche Sprache muss klar sein. Die internationalen Freinamen für Wirkstoffe sind weltweit eindeutig. / Foto: Adobe Stock/megaflopp
Internationale Freinamen (international nonproprietary names, INN) sind seit 1950 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene einheitliche Namen, die weltweit die eindeutige Identifizierung von Wirkstoffen ermöglichen und so wesentlich zur Arzneimittelsicherheit beitragen (1). Die INN finden breite Anwendung in Arzneibüchern, der wissenschaftlichen Fachliteratur, bei Generika und (neben dem geschützten Markennamen) bei der Beschriftung von Fertigarzneimitteln (2). Die WHO veröffentlicht eine regelmäßig aktualisierte kumulative Liste aller INN (3).
INN sollen eindeutig in Aussprache und Schreibweise sein und Verwechslungen mit anderen Namen möglichst ausschließen. Ferner sollen sie durch Verwendung definierter Kennsilben (»common stems«) die Zugehörigkeit von Arzneistoffen zu einer bestimmten Klasse verwandter Substanzen erkennen lassen. Bei Salzen, Estern und anderen Verknüpfungen von Arzneistoffen soll sich der INN auf den wirksamen Grundkörper beziehen. Hieraus resultieren »modifizierte INN«, die später noch ein Thema sein werden.
Die Kennsilben, die pharmakologisch verwandte Gruppen von Wirkstoffen charakterisieren, können als Präfixe (am Wortanfang), Infixe (im Wort) und/oder als Suffixe (am Wortende) vorkommen (3). Verwendet werden diese Kennsilben für Arzneistoffe jeglicher Art und Herkunft, also für synthetische Stoffe, Naturstoffe und deren Derivate, Enzyme, monoklonale Antikörper und andere.
In diesem Artikel werden markante Beispiele erklärt und exemplarisch auch deren Strukturformeln gezeigt. Eine Zusammenstellung der Strukturformeln aller in diesem Artikel genannten niedermolekularen Arzneistoffe findet sich in einer Datei, die hier heruntergeladen werden kann.
Grundsätzlich unterscheidet man stereochemische Präfixe und Präfixe für Stoffklassen. Beispielhaft sind jeweils einige Arzneistoffe (INN) genannt.
Die erstgenannten Präfixe geben wertvolle Hinweise zur Stereochemie der Wirkstoffe. So zeigt das Präfix »Rac-« vor einem bestehenden INN, dass die Substanz in racemischer Form vorliegt (Beispiel: Racecadotril). Das Präfix »Es-« beschreibt das S-Enantiomer (Esomeprazol, Esketamin, Eszopiclon), während »Ar-« für das R-Enantiomer steht (Armodafinil, Arketamin – beide in Deutschland nicht am Markt). »Dex-« beschreibt die rechtsdrehende Form einer Substanz (Dexibuprofen, Dextromethorphan), »Lev(o)-« die linksdrehende (Levomethadon, Levofloxacin, Levothyroxin). Zu beachten ist hier, dass sich aus der mittels Polarimetrie ermittelten Drehrichtung kein direkter Rückschluss auf die absolute Konfiguration einer Substanz ziehen lässt.
Präfixe für Stoffklassen werden in INN relativ selten verwendet. So steht etwa die Kennsilbe »Cef-« für Cephalosporine (Cefuroxim, Cefotaxim), »Io-« für iodhaltige Röntgenkontrastmittel (Iopamidol, Iopansäure) und »Rifa-« für Antibiotika vom Rifamycin-Typ (Rifampicin, Rifabutin). Gut bekannt sind auch die Vorsilben »Sulfa-« für Antiinfektiva vom Sulfonamid-Typ (Sulfathiazol, Sulfamethoxazol) und »Vin-« für Vinca-Alkaloide (Vincristin, Vinblastin).
Etliche Kennsilben können sowohl als Präfixe, Infixe oder Suffixe verwendet werden. Anzutreffen sind diese vor allem bei Hormonen und Derivaten. Dazu einige Beispiele: Die Kennsilbe »andr« steht für androgene Steroide (Nandrolon). Mit »estr« sind Estrogene gemeint (Estradiol, Fosfestrol, Mestranol), mit »gest« Progesterone (Gestonoron, Megestrolacetat, Dienogest) und mit »prost« Prostaglandine (Alprostadil, Dinoprost). Die Silbe »cort« steht für Corticosteroide (Cortison, Fluocortin, Deflazacort) – eine Ausnahme sind Prednison-Derivate, die mit der Silbe »pred« gekennzeichnet werden (Prednisolon, Methylprednisolon).
Bei Infixen ist allerdings problematisch, dass diese nicht immer sicher im Wortlaut des INN zu identifizieren sind. Dies zeigt das Beispiel Megestrolacetat: Ist diese Substanz nun ein Gestagen (»-gest-«) oder doch ein Estrogen (»-estr-«)? Tatsächlich ist es ein Progesteron-Abkömmling.
Das Präfix »Nor-« bezieht sich weder auf die Stereochemie noch auf die Stoffklasse einer Verbindung, sondern steht allgemein für das niedrigere Homologe einer organischen Verbindung. Dies ist der Fall, wenn beispielsweise bei einem Amin eine N-Methylgruppe durch ein Wasserstoffatom ersetzt ist (Adrenalin und Noradrenalin). Bei den Gestagenen Norgestrel und Norethisteron zeigt das Präfix das Fehlen der Methylgruppe an C-19 des Steroidgrundkörpers an.