Der Name ist Programm |
Aus Gründen der Überschaubarkeit soll sich der INN eines Wirkstoffs möglichst nur auf die wirksame Komponente beziehen. Bei Salzen, Derivaten oder Prodrugs von Wirkstoffen wird deshalb nach präzisen Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation der bestehende INN durch weitere Namensbestandteile (direkt an den INN angehängt oder als separates Wort) ergänzt. Nachfolgend zwei wichtige Beispiele.
► Spezialfall 1 sind Doppelester-Prodrugs von Carbonsäuren und Phosphonsäuren. Eine Reihe von polaren Wirkstoffen (oft Carbonsäuren oder Phosphonsäuren) weist schlechte Absorptionsquoten bei oraler Gabe auf. Durch Überführung in Ester kann man ihre Lipophilie so weit steigern, dass eine orale Therapie praktikabel ist. Nach der Absorption werden diese Ester enzymatisch in die Wirkform zurückverwandelt.
Lässt sich mit einfachen Alkylestern die erforderliche balancierte Stabilität nicht erreichen, wendet man das Prinzip der Doppelester-Prodrugs an. Dieses Prinzip wird häufig bei Oralcephalosporinen genutzt, neuerdings auch bei antiviral aktiven Phosphonsäuren. Eine Carbonsäuregruppe kann hierzu nach zwei Grundprinzipien modifiziert werden: als α-Acyloxyalkylester oder als α-Alkoxycarbonyloxyalkylester (Abbildung 3). Beiden ist gemeinsam, dass sie exponiert eine leicht spaltbare Estergruppe enthalten; nach deren enzymatischer Hydrolyse kommt es zu einer nicht enzymatischen Kaskade weiterer Zerfallsreaktionen, die zur Freisetzung der Carbonsäure führen.
Abbildung 3: Grundprinzipien von Doppelester-Prodrugs von Carbonsäuren / Foto: PZ
Nun zur Nomenklatur: An den INN der Muttersubstanz wird ein griffiges Suffix angehängt (viele enden auf »xil« oder »xetil«), das eindeutig die zwei variablen Reste R1 und R2 der angefügten Gruppe charakterisiert (Abbildung 3). So wird dann aus der freien Carbonsäure Cefuroxim das Prodrug Cefuroximaxetil und aus dem Angiotensinrezeptor-Antagonisten Candesartan das Candesartancilexetil (Tabelle 2).
Ähnlich ist es bei Phosphonsäuren. Bei den Virustatika Adefovir und Tenofovir wird die polare Phosphonsäuregruppe nach dem gleichen Prinzip in einen Phosphonsäure-Diester überführt (daher das zusätzliche »-di-«) (Tabelle 2). Im Körper werden beide Doppelestergruppen dieser Prodrugs wieder gespalten (Abbildung 4).
Abbildung 4: Die Doppelester-Prodrugs Cefuroximaxetil (Typ-I-Derivat einer Carbonsäure) und Tenofovirdisoproxil (Typ-II-Derivat einer Phosphonsäure) / Foto: PZ
Suffix | Typ | R1 | R2 | Beispiel (INN) |
---|---|---|---|---|
Carbonsäuren | ||||
-axetil | I | CH3 | CH3 | Cefuroximaxetil |
-proxetil | II | CH3 | Isopropyl | Cefpodoximproxetil |
-hexetil/-cilexetil | II | CH3 | Cyclohexyl | Cefotiamhexetil, Candesartancilexetil |
-isoproxil | II | H | Isopropyl | Allisartanisoproxil |
Phosphonsäuren | ||||
-dipivoxil | I | H | tert.-Butyl | Adefovirdipivoxil |
-disoproxil | II | H | Isopropyl | Tenofovirdisoproxil |
Sehr viele Diabetes-Patienten nutzen Analoginsuline. Die »Nachnamen« der Insuline weisen auf Molekülmodifikationen hin, die die Pharmakokinetik des Arzneistoffs verändern. / Foto: Fotolia/Dmitry Lobanov
► Spezialfall 2 sind »Insuline mit Nachnamen«, also die neuen Analoginsuline. Gentechnisch hergestellte Analoginsuline sind wie das Original aus zwei Peptidketten aufgebaut, unterscheiden sich vom Humaninsulin allerdings durch punktuell eingebaute Änderungen in der Peptidsequenz. Dies führt zu einer kürzeren (Insulin lispro, Insulin aspart, Insulin glulisin) oder auch längeren Wirkdauer (Insulin glargin, Insulin detemir). Wie aus den INN ersichtlich, wird hier an das Wort »Insulin« jeweils ein weiteres Wort angehängt, das gewisse Rückschlüsse auf die vorgenommene Modifikation zulässt: Der Zusatz »lispro« besagt zum Beispiel, dass in der B-Kette die Abfolge Prolin-Lysin durch Lysin-Prolin ersetzt ist; »aspart« kennzeichnet eine neu eingeführte Aspartinsäure.
Anders als bei den oben beschriebenen Prodrugs handelt es sich bei den Analoginsulinen aber nicht um bioreversibel derivatisierte Muttersubstanzen, sondern das Insulinmolekül selbst wurde in seiner Aminosäurensequenz verändert, um die erwünschten Stoffeigenschaften zu erreichen.