Der Name ist Programm |
Wissenschaftliche Sprache muss klar sein. Die internationalen Freinamen für Wirkstoffe sind weltweit eindeutig. / Foto: Adobe Stock/megaflopp
Internationale Freinamen (international nonproprietary names, INN) sind seit 1950 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene einheitliche Namen, die weltweit die eindeutige Identifizierung von Wirkstoffen ermöglichen und so wesentlich zur Arzneimittelsicherheit beitragen (1). Die INN finden breite Anwendung in Arzneibüchern, der wissenschaftlichen Fachliteratur, bei Generika und (neben dem geschützten Markennamen) bei der Beschriftung von Fertigarzneimitteln (2). Die WHO veröffentlicht eine regelmäßig aktualisierte kumulative Liste aller INN (3).
INN sollen eindeutig in Aussprache und Schreibweise sein und Verwechslungen mit anderen Namen möglichst ausschließen. Ferner sollen sie durch Verwendung definierter Kennsilben (»common stems«) die Zugehörigkeit von Arzneistoffen zu einer bestimmten Klasse verwandter Substanzen erkennen lassen. Bei Salzen, Estern und anderen Verknüpfungen von Arzneistoffen soll sich der INN auf den wirksamen Grundkörper beziehen. Hieraus resultieren »modifizierte INN«, die später noch ein Thema sein werden.
Die Kennsilben, die pharmakologisch verwandte Gruppen von Wirkstoffen charakterisieren, können als Präfixe (am Wortanfang), Infixe (im Wort) und/oder als Suffixe (am Wortende) vorkommen (3). Verwendet werden diese Kennsilben für Arzneistoffe jeglicher Art und Herkunft, also für synthetische Stoffe, Naturstoffe und deren Derivate, Enzyme, monoklonale Antikörper und andere.
In diesem Artikel werden markante Beispiele erklärt und exemplarisch auch deren Strukturformeln gezeigt. Eine Zusammenstellung der Strukturformeln aller in diesem Artikel genannten niedermolekularen Arzneistoffe findet sich in einer Datei, die hier heruntergeladen werden kann.
Grundsätzlich unterscheidet man stereochemische Präfixe und Präfixe für Stoffklassen. Beispielhaft sind jeweils einige Arzneistoffe (INN) genannt.
Die erstgenannten Präfixe geben wertvolle Hinweise zur Stereochemie der Wirkstoffe. So zeigt das Präfix »Rac-« vor einem bestehenden INN, dass die Substanz in racemischer Form vorliegt (Beispiel: Racecadotril). Das Präfix »Es-« beschreibt das S-Enantiomer (Esomeprazol, Esketamin, Eszopiclon), während »Ar-« für das R-Enantiomer steht (Armodafinil, Arketamin – beide in Deutschland nicht am Markt). »Dex-« beschreibt die rechtsdrehende Form einer Substanz (Dexibuprofen, Dextromethorphan), »Lev(o)-« die linksdrehende (Levomethadon, Levofloxacin, Levothyroxin). Zu beachten ist hier, dass sich aus der mittels Polarimetrie ermittelten Drehrichtung kein direkter Rückschluss auf die absolute Konfiguration einer Substanz ziehen lässt.
Präfixe für Stoffklassen werden in INN relativ selten verwendet. So steht etwa die Kennsilbe »Cef-« für Cephalosporine (Cefuroxim, Cefotaxim), »Io-« für iodhaltige Röntgenkontrastmittel (Iopamidol, Iopansäure) und »Rifa-« für Antibiotika vom Rifamycin-Typ (Rifampicin, Rifabutin). Gut bekannt sind auch die Vorsilben »Sulfa-« für Antiinfektiva vom Sulfonamid-Typ (Sulfathiazol, Sulfamethoxazol) und »Vin-« für Vinca-Alkaloide (Vincristin, Vinblastin).
Etliche Kennsilben können sowohl als Präfixe, Infixe oder Suffixe verwendet werden. Anzutreffen sind diese vor allem bei Hormonen und Derivaten. Dazu einige Beispiele: Die Kennsilbe »andr« steht für androgene Steroide (Nandrolon). Mit »estr« sind Estrogene gemeint (Estradiol, Fosfestrol, Mestranol), mit »gest« Progesterone (Gestonoron, Megestrolacetat, Dienogest) und mit »prost« Prostaglandine (Alprostadil, Dinoprost). Die Silbe »cort« steht für Corticosteroide (Cortison, Fluocortin, Deflazacort) – eine Ausnahme sind Prednison-Derivate, die mit der Silbe »pred« gekennzeichnet werden (Prednisolon, Methylprednisolon).
Bei Infixen ist allerdings problematisch, dass diese nicht immer sicher im Wortlaut des INN zu identifizieren sind. Dies zeigt das Beispiel Megestrolacetat: Ist diese Substanz nun ein Gestagen (»-gest-«) oder doch ein Estrogen (»-estr-«)? Tatsächlich ist es ein Progesteron-Abkömmling.
Das Präfix »Nor-« bezieht sich weder auf die Stereochemie noch auf die Stoffklasse einer Verbindung, sondern steht allgemein für das niedrigere Homologe einer organischen Verbindung. Dies ist der Fall, wenn beispielsweise bei einem Amin eine N-Methylgruppe durch ein Wasserstoffatom ersetzt ist (Adrenalin und Noradrenalin). Bei den Gestagenen Norgestrel und Norethisteron zeigt das Präfix das Fehlen der Methylgruppe an C-19 des Steroidgrundkörpers an.
Die Kennsilbe »fos« (gelegentlich auch »phos«) weist auf das Vorhandensein einer phosphorhaltigen funktionellen Gruppe hin (Abbildung 1). Bekannteste Vertreter sind Phosphonsäuren (R-PO(OH)2, also mit C-P-Bindung) und ihre Derivate, auch »Phosphonate« genannt (zum Beispiel Bisphosphonate wie Natriumalendronat – obwohl ohne »fos« im INN), und die Ester der Phosphorsäure mit Alkoholen oder Phenolen (R-O-PO(OH)2, also mit C-O-P-Strukturelement), synonym »Phosphate« wie Betamethason-21-phosphat-Dinatrium. Auf die zahlreichen Pestizide auf Organophosphat-Basis mit »fos« soll hier nicht eingegangen werden.
Abbildung 1: Phosphorhaltige Arzneistoffe; die abspaltbaren Strukturelemente in Prodrugs sind rot hervorgehoben. / Foto: PZ
Als Präfix trifft man »Fos« an in dem Virustatikum Foscarnet und dem Antibiotikum Fosfomycin, beides Verbindungen mit Phosphonsäurestruktur, die in Form von wasserlöslichen Salzen parenteral appliziert werden. Im Gegensatz dazu stehen einige Prodrugs, in denen lipophile Grundsubstanzen mithilfe von Phosphorsäure in (im Körper rasch wieder zur Muttersubstanz gespaltene) Prodrugs überführt werden: als Phosphorsäureester HIV-Medikamente wie Fosamprenavir und (ganz neu) Fostemsavir, aber auch der bei der Immunthrombozytopenie eingesetzte Kinaseinhibitor Fostamatinib. Das Antiemetikum Fosaprepitant hingegen ist ein Phosphorsäure-Monoamid.
Noch exotischer ist Fosinopril, ein ACE-Hemmer mit Phosphinat-Partialstruktur (zwei C-P-Bindungen). Diese Verbindung ist auch ein Prodrug, allerdings vom Doppelester-Typ (zum Prinzip siehe weiter unten) – die phosphorhaltige funktionelle Gruppe gehört hier zur Wirkform (Abbildung 1).
Das »fos« als Infix findet sich in unterschiedlichen Wirkstoffen: im antiprotozoal wirksamen Phospholipid Miltefosin in Form eines unsymmetrischen Diesters der Phosphorsäure, in den vom Kampfgas N-Lost abgeleiteten Zytostatika Ifosfamid und Trofosfamid in Form eines Phosphorsäure-Monoester-Diamids und im Antibiotikum Ceftarolinfosamil wieder in Form eines Phosphorsäureamids, einem Prodrug zur Verbesserung der Wasserlöslichkeit (Abbildung 2).
Abbildung 2: Strukturen von Ifosfamid und Ceftarolinfosamil / Foto: PZ
Fazit: Aus der Kennsilbe »fos« lässt sich nur auf das Vorhandensein eines Phosphoratoms im Molekül schließen – mehr aber auch nicht!
Deutlich häufiger als Präfixe und Infixe verwendet man in den INN Suffixe. Eine umfassende Präsentation aller Suffixe würde den Rahmen dieses Artikels sprengen (3).
Es muss erwähnt werden, dass dieses Benennungsschema nicht immer konsequent eingehalten wird, vor allem nicht bei alten Wirkstoffen. So enthalten zum Beispiel Bifonazol und Clotrimazol noch nicht das für Azol-Antimykotika vorgesehene Suffix »conazol« und auch das altehrwürdige Naproxen endet nicht auf »profen«. Anders herum sollte man aus den Endsilben des anabolen Steroids Stanozolol nicht auf einen Betablocker (»olol«) schließen.
Das Suffix (gelegentlich auch Infix) »vir« wurde früher ganz allgemein für antivirale Wirkstoffe verwendet. Mit der rapiden Entwicklung spezifischer Virustatika, vor allem gegen HIV und Hepatitis C, hat diese Kennsilbe in den letzten Jahren eine zunehmende Verfeinerung erfahren. Konkrete Beispiele finden sich in Tabelle 1, in der ausgewählte Suffixe bekannter, bevorzugt neuer Wirkstoffklassen mit jeweils einigen Beispielen aufgelistet sind.
Suffix | Wirkstoffklasse | Beispiele (INN) |
---|---|---|
Neuere Diabetes-Wirkstoffe | ||
-glutid | GLP1-Mimetika | Liraglutid, Semaglutid |
-natid | GLP1-Analoga | Exenatid, Lixisenatid |
-gliptin | DPP4-Inhibitoren | Saxagliptin, Vildagliptin |
-flozin | SGLT2-Hemmer | Canagliflozin, Dapagliflozin |
Wirkstoffe mit hormoneller oder antihormoneller Aktivität | ||
-(ox)ifen | Antiestrogene, Estrogenrezeptor-Modulatoren | Tamoxifen, Raloxifen |
-rozol | nicht steroidale Aromatasehemmer | Anastrozol, Letrozol |
-lutamid | nicht steroidale Antiandrogene | Flutamid, Bicalutamid |
-relin | Releasing-Hormone, LH-RH-Agonisten | Buserelin, Goserelin |
-relix | LH-RH-Antagonisten | Abarelix, Cetrorelix, Degarelix |
Krebsmedikamente | ||
-tinib | Tyrosinkinase-Inhibitoren | Sunitinib, Dasatinib |
-rafenib | Raf-Kinase-Inhibitoren | Sorafenib, Vemurafenib |
-ciclib | Inhibitoren von Cyclin-abhängigen Kinasen | Palbociclib |
-taxel | Taxane | Paclitaxel, Docetaxel |
-parib | PARP-Inhibitoren | Niraparib, Rucaparib, Talazoparib |
-citabin | Antimetabolite, Cytidin-Analoga | Gemcitabin, Capecitabin |
-zomib | Proteasom-Inhibitoren | Bortezomib, Carfilzomib |
Antivirale Wirkstoffe | ||
-buvir | RNA-Polymerase (NS5B)-Inhibitoren | Dasabuvir, Sofosbuvir |
-previr | Hepatitis-C-Virus(HCV-) Protease-Inhibitoren | Boceprevir, Faldaprevir |
-asvir | Hepatitis-C-Virus(HCV-)Protease-Inhibitoren | Ombitasvir, Daclatasvir |
-ciclovir | Nucleosid-Analoga mit »aufgeschnittenen« Zuckern | Aciclovir, Ganciclovir, Penciclovir |
-cavir | carbocyclische Nucleosid-Analoga | Abacavir, Entecavir |
-fovir | antivirale Phosphonsäurederivate (Nucleotid-Analoga) | Adefovir, Cidofovir, Tenofovir |
-tegravir | HIV-Integrase-Inhibitoren | Dolutegravir, Elvitegravir, Raltegravir |
Sonstige | ||
-prazol | Protonenpumpenhemmer | Pantoprazol, Omeprazol |
-pril | ACE-Hemmer | Ramipril, Enalapril |
-sartan | Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten | Losartan, Telmisartan |
-setron | 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten | Ondansetron, Tropisetron |
-triptan | 5-HT1-Rezeptor-Antagonisten | Sumatriptan, Rizatriptan |
-vastatin | HMG-CoA-Reduktase-Hemmer | Atorvastatin, Pravastatin, Simvastatin |
-xaban | Inhibitoren des Blutgerinnungsfaktors XA | Apixaban, Rivaroxaban |
Aus Gründen der Überschaubarkeit soll sich der INN eines Wirkstoffs möglichst nur auf die wirksame Komponente beziehen. Bei Salzen, Derivaten oder Prodrugs von Wirkstoffen wird deshalb nach präzisen Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation der bestehende INN durch weitere Namensbestandteile (direkt an den INN angehängt oder als separates Wort) ergänzt. Nachfolgend zwei wichtige Beispiele.
► Spezialfall 1 sind Doppelester-Prodrugs von Carbonsäuren und Phosphonsäuren. Eine Reihe von polaren Wirkstoffen (oft Carbonsäuren oder Phosphonsäuren) weist schlechte Absorptionsquoten bei oraler Gabe auf. Durch Überführung in Ester kann man ihre Lipophilie so weit steigern, dass eine orale Therapie praktikabel ist. Nach der Absorption werden diese Ester enzymatisch in die Wirkform zurückverwandelt.
Lässt sich mit einfachen Alkylestern die erforderliche balancierte Stabilität nicht erreichen, wendet man das Prinzip der Doppelester-Prodrugs an. Dieses Prinzip wird häufig bei Oralcephalosporinen genutzt, neuerdings auch bei antiviral aktiven Phosphonsäuren. Eine Carbonsäuregruppe kann hierzu nach zwei Grundprinzipien modifiziert werden: als α-Acyloxyalkylester oder als α-Alkoxycarbonyloxyalkylester (Abbildung 3). Beiden ist gemeinsam, dass sie exponiert eine leicht spaltbare Estergruppe enthalten; nach deren enzymatischer Hydrolyse kommt es zu einer nicht enzymatischen Kaskade weiterer Zerfallsreaktionen, die zur Freisetzung der Carbonsäure führen.
Abbildung 3: Grundprinzipien von Doppelester-Prodrugs von Carbonsäuren / Foto: PZ
Nun zur Nomenklatur: An den INN der Muttersubstanz wird ein griffiges Suffix angehängt (viele enden auf »xil« oder »xetil«), das eindeutig die zwei variablen Reste R1 und R2 der angefügten Gruppe charakterisiert (Abbildung 3). So wird dann aus der freien Carbonsäure Cefuroxim das Prodrug Cefuroximaxetil und aus dem Angiotensinrezeptor-Antagonisten Candesartan das Candesartancilexetil (Tabelle 2).
Ähnlich ist es bei Phosphonsäuren. Bei den Virustatika Adefovir und Tenofovir wird die polare Phosphonsäuregruppe nach dem gleichen Prinzip in einen Phosphonsäure-Diester überführt (daher das zusätzliche »-di-«) (Tabelle 2). Im Körper werden beide Doppelestergruppen dieser Prodrugs wieder gespalten (Abbildung 4).
Abbildung 4: Die Doppelester-Prodrugs Cefuroximaxetil (Typ-I-Derivat einer Carbonsäure) und Tenofovirdisoproxil (Typ-II-Derivat einer Phosphonsäure) / Foto: PZ
Suffix | Typ | R1 | R2 | Beispiel (INN) |
---|---|---|---|---|
Carbonsäuren | ||||
-axetil | I | CH3 | CH3 | Cefuroximaxetil |
-proxetil | II | CH3 | Isopropyl | Cefpodoximproxetil |
-hexetil/-cilexetil | II | CH3 | Cyclohexyl | Cefotiamhexetil, Candesartancilexetil |
-isoproxil | II | H | Isopropyl | Allisartanisoproxil |
Phosphonsäuren | ||||
-dipivoxil | I | H | tert.-Butyl | Adefovirdipivoxil |
-disoproxil | II | H | Isopropyl | Tenofovirdisoproxil |
Sehr viele Diabetes-Patienten nutzen Analoginsuline. Die »Nachnamen« der Insuline weisen auf Molekülmodifikationen hin, die die Pharmakokinetik des Arzneistoffs verändern. / Foto: Fotolia/Dmitry Lobanov
► Spezialfall 2 sind »Insuline mit Nachnamen«, also die neuen Analoginsuline. Gentechnisch hergestellte Analoginsuline sind wie das Original aus zwei Peptidketten aufgebaut, unterscheiden sich vom Humaninsulin allerdings durch punktuell eingebaute Änderungen in der Peptidsequenz. Dies führt zu einer kürzeren (Insulin lispro, Insulin aspart, Insulin glulisin) oder auch längeren Wirkdauer (Insulin glargin, Insulin detemir). Wie aus den INN ersichtlich, wird hier an das Wort »Insulin« jeweils ein weiteres Wort angehängt, das gewisse Rückschlüsse auf die vorgenommene Modifikation zulässt: Der Zusatz »lispro« besagt zum Beispiel, dass in der B-Kette die Abfolge Prolin-Lysin durch Lysin-Prolin ersetzt ist; »aspart« kennzeichnet eine neu eingeführte Aspartinsäure.
Anders als bei den oben beschriebenen Prodrugs handelt es sich bei den Analoginsulinen aber nicht um bioreversibel derivatisierte Muttersubstanzen, sondern das Insulinmolekül selbst wurde in seiner Aminosäurensequenz verändert, um die erwünschten Stoffeigenschaften zu erreichen.
Die WHO-Regeln zur Bildung von INN gelten auch für hochmolekulare Wirkstoffe. Auch für diese sind typische Kennsilben festgelegt. So haben Enzyme das allgemeine Suffix »ase« (das oft noch verfeinert wird, zum Beispiel zu »plase« wie bei Alteplase und Tenecteplase).
Bei den monoklonalen Antikörpern wurde die allgemeine Kennsilbe »mab« (für monoclonal antibody) durch Infixe noch verfeinert (2). So wurden die INN baukastenartig aus einem frei wählbaren Präfix, einem Infix, das das Target beziehungsweise die Krankheit definiert, einem weiteren Infix zur Herkunft des Antikörpers und dem Suffix »mab« aufgebaut. Einige Beispiele: Demzufolge ist Trastuzumab ein zur Tumortherapie (»tu«) eingesetzter humanisierter (»zu«) monoklonaler Antikörper (»mab«) und Infliximab ein immunmodulatorisch aktiver (»li«) chimärer (»xi«) Antikörper.
Diese Nomenklatur wurde 2017 überarbeitet (1, 3). Die INN setzen sich nun nur noch aus drei Teilen zusammen: Das Präfix ist weiterhin frei wählbar. Das Infix steht für das Target des Antikörpers und hierfür gibt es neu festgelegte Silben. Das Suffix »mab« bleibt (Tabelle 3). Bislang sind erst wenige Antikörper mit der neuen Nomenklatur zugelassen und die INN der sich am Markt befindenden Antikörper werden nicht angepasst. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die neuen INN etablieren: Im März 2021 hat die EMA bereits eine Empfehlung für die Kombination aus Bamlanivimab und Etesevimab für den Einsatz bei Covid-19-Patienten (daher das Infix »-vi-«) abgegeben.
Infix | Target |
---|---|
-ami- | Serum-Amyloid A |
-ba- | Bakterien |
-ci- | kardiovaskulär |
-fung- | Pilze |
-gros- | Skelettmuskulatur-Wachstumsfaktoren |
-ki- | Interleukine |
-li- | Immunsystem |
-ne- | Nervensystem |
-os- | Knochen |
-tu- | Tumore |
-toxa- | Toxin |
-vet- | veterinärmedizinischer Gebrauch |
-vi- | Viren |
Kurz soll auch auf neuartige Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (Chemoimmunkonjugate) eingegangen werden. Diese in der Regel zur Krebstherapie eingesetzten Wirkstoffe enthalten einen monoklonalen Antikörper, dessen vorwiegende Aufgabe es ist, Oberflächenstrukturen von bestimmten Tumoren zu erkennen und den eigentlichen Wirkstoff spezifisch in die Tumorzellen zu bringen. Über einen »Linker« (Abstandshalter) ist ein starkes Zellgift kovalent an den Antikörper gebunden. Nach Internalisierung in die Tumorzelle durch Endozytose wird der Linker gespalten (enzymatisch oder pH-gesteuert in den sauren Endosomen) und das Zellgift am gewünschten Ort freigesetzt. Der Antikörper wird abgebaut.
Bei Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten verbindet ein Mittelstück als Abstandshalter ein starkes Zellgift mit einem Antikörper. Nach Aufnahme in die Tumorzelle wird der »Linker« gespalten und die Puzzleteile werden frei. / Foto: Adobe Stock/Maxim Chuev
Die INN derartiger Konjugate setzen sich zusammen aus dem INN des monoklonalen Antikörpers und einem zweiten Wort, das als reines Kunstwort den Linker und das Zellgift charakterisiert. Daraus resultieren INN wie Brentuximab vedotin, Enfortumab vedotin, Polatuzumab vedotin-piiq (angehängte vierbuchstabige Kürzel wie »piiq« sind eine Eigenheit der FDA in den USA) beziehungsweise Trastuzumab deruxtecan und Gemtuzumab ozogamicin.
Ähnliche Wortungetüme findet man auch bei Gentherapeutika. Deren INN bestehen ebenfalls aus zwei Wörtern, jedes beginnend mit einem frei wählbaren Präfix. Das Wort für die Genkomponente enthält ein Infix, das das Gen charakterisiert, und das Suffix »gen(e)«. Das zweite Wort – für den Vektor – enthält ein Infix, das den verwendeten Vektor beschreibt und je nach Vektorklasse ein Suffix (»vec« für virale Vektoren, »bac« für bakterielle Vektoren, »plasmid« für Plasmide als Vektoren) (3). Hieraus resultieren INN wie Onasemnogen-Abeparvovec und Miralimogene Ensolisbac.
Anorganische und organische Säuren (Carbonsäuren, Sulfonsäuren) können mit basischen Wirkstoffen Salze bilden, die durch entsprechende modifizierte INN beschrieben werden. Allerdings können die gleichen Säuren auch mit Alkoholen oder Phenolen Ester bilden, wodurch beide Moleküle kovalent miteinander verbunden sind. Dies führt zu ähnlich lautenden modifizierten INN. Problematisch ist, dass aus dem INN häufig nicht eindeutig abzulesen ist, ob die Säure nun als Salz oder als Ester vorliegt.
In Tabelle 4 sind Beispiele von Salzen und Estern gegenübergestellt. Um nur einige zu nennen: Chloroquinphosphat ist ein Salz des Chloroquins, Betamethason-21-phosphat-Dinatrium (siehe Abbildung 1) hingegen das Dinatriumsalz eines Phosphorsäureesters an 21-OH von Betamethason. Ähnlich verhält es sich bei dem Salz Pilocarpinnitrat und dem Salpetersäureester Isosorbidmononitrat sowie dem Salz Atropinsulfat und dem Schwefelsäuremonooester Natriumpicosulfat.
Säure | Beispiele für Salze (INN) | Beispiele für Ester (INN) |
---|---|---|
Schwefelsäure | Atropinsulfat | Natriumpicosulfat, Natriumdodecylsulfat |
Salpetersäure | Pilocarpinnitrat | Isosorbidmononitrat, Glyceroltrinitrat |
Phosphorsäure | Chloroquinphosphat | Betamethason-21-phosphat-Dinatrium |
Essigsäure | Goserelinacetat, Leuprorelinacetat, Glatirameracetat | Betamethasonacetat, Megestrolacetat |
Salicylsäure | Physostigminsalicylat | Hydroxyethylsalicylat |
Bernsteinsäure | Doxylaminhydrogensuccinat, Metoprololsuccinat | Methylprednisolon-21-hemisuccinat-Natrium, Erythromycinethylsuccinat |
Zitronensäure | Tamoxifencitrat, Fentanylcitrat | Ixazomibcitrat |
Auch für organische Säuren gibt es Beispiele. Doxylaminhydrogensuccinat ist ein Salz der Dicarbonsäure Bernsteinsäure; Methylprednisolon-21-hemisuccinat-Natrium ist hingegen das Natriumsalz eines Monoesters dieser Carbonsäure und Erythromycinethylsuccinat gar ein gemischter Bernsteinsäurediester. Ixazomibcitrat ist ein cyclischer Ester einer Boronsäure mit der Zitronensäure (Abbildung 5).
Abbildung 5: Beispiele für esterartige Derivate / Foto: PZ
Eine Reihe von kurzen Endsilben deutet lediglich auf das Vorhandensein funktioneller Gruppen hin und gestattet keine Zuordnung zu einer bestimmten pharmakologischen Wirkstoffklasse. Hierzu gehören »ol« (Alkohol, Phenol), »amin« (Amin), »amid« (Carbonsäure-, Sulfonsäure-, Phosphorsäureamide) oder »in«, das in der Naturstoffchemie den Alkaloiden vorbehalten ist, zum Beispiel in Morphin und Reserpin. Hier sollte man sich vor Überinterpretationen hüten.
Franz Bracher absolvierte das Studium der Pharmazie und eine Promotion im Fach Pharmazeutische Chemie an der LMU München. Nach Etappen an den Universitäten Genf (Postdoktorand), Marburg (Habilitation) und Braunschweig (C3-Professur) kehrte er 1997 an die LMU München zurück, wo er bis heute einen Lehrstuhl für Pharmazeutische Chemie innehat. Er ist aktiv in diversen Gremien wie der Deutschen Arzneibuchkommission, der DAC-Kommission, dem Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) und in diversen Funktionen für die Bayerische Landesapothekerkammer. Ferner ist Professor Bracher Mitherausgeber des Arzneibuch-Kommentars und derzeit Direktor des Departments für Pharmazie der LMU München.
Ferdinand Breu und Isabel Hammerl studieren Pharmazie an der LMU München und haben in ihrem Wahlpflichtpraktikum nach dem 7. Semester an einer Aktualisierung des »Trivialnamen-Skripts« von Professor Bracher gearbeitet. Wesentliche Teile dieser Arbeit sind in den vorliegenden Artikel eingeflossen.