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Update MS-Therapie

Sechs neue Arzneistoffe bereichern seit 2020 die Therapieoptionen bei Multipler Sklerose (MS). Auch sie greifen in das Immunsystem ein und können zu Nebenwirkungen führen. Neben den Neurologen sind hier die Apotheker gefragt.
AutorKontaktKerstin A. Gräfe
Datum 30.05.2025  07:00 Uhr

»Multiple-Sklerose-Patienten können heutzutage dank einer hoch individualisierten Pharmakotherapie ein Leben mit wenig oder kaum sichtbaren Einschränkungen führen«, sagte Professor Dr. Gerd Bendas von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn in einem Vortrag der Webinarreihe DPhG@home. Dennoch bedeute die Diagnose MS auch heute noch für die Betroffenen einen tiefen Einschnitt, zumal die Autoimmunerkrankung nach wie vor unheilbar ist.

MS ist in Europa die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. In Deutschland seien schätzungsweise bis zu 280.000 Menschen betroffen, berichtete Bendas. Häufig erkrankten junge Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren, Frauen öfter als Männer.

Fehlleitung von Immunzellen

»Die Ursache für die Entstehung der Autoimmunerkrankung ist bis heute nur ansatzweise verstanden«, so der Apotheker. Bekannt sei, dass überaktivierte T- und B-Lymphozyten in das zentrale Nervensystem (Gehirn und Knochenmark) invadieren und dort paradoxerweise die Myelinscheiben der Axone angreifen. Daraus resultieren vielfältige (multiple) entzündliche Prozesse, die häufig schubförmig verlaufen. In den Ruhephasen versucht der Körper, diese Entzündungsareale wieder auszuheilen, was mit einer Vernarbung (Sklerodierung) einhergeht.

Die Erkrankung beginnt bei etwa 90 Prozent der Betroffenen mit einem schubförmigen Verlauf (Relapsing Remitting Multiple Sclerosis, RRMS). Dabei treten die Entzündungsschübe bis zu einer starken klinischen Sichtbarkeit auf, klingen danach aber auch wieder unter eine klinische Schwelle ab. »Diskutiert wird seit einigen Jahren, dass bei RRMS-Patienten auch schubunabhängig eine Progression stattfindet«, informierte Bendas. Man spreche dann von einer schwelenden MS (Progression Independent of Relapse Activity, PIRA).

Bei vielen Patienten gehe die RRMS innerhalb von etwa 10 bis 15 Jahren in eine sekundär progrediente MS (SPMS) über. Bei dieser Verlaufsform bleibt nach den Schüben eine Restaktivität der Krankheit bestehen. Etwa 10 Prozent der Patienten haben von Beginn an eine allmählich fortschreitende, primär progrediente MS (PPMS), das heißt von Beginn an eine langsame Verschlechterung ohne klare Schübe.

Therapiestrategie: Hit hard and early

»Ziel einer Pharmakotherapie ist, dass die Erkrankung faktisch nicht sichtbar ist«, sagte der Referent. Die verfügbaren immunmodulierenden oder -suppressiven Medikamente lassen sich drei Wirksamkeitskategorien zuordnen. Die Einteilung erfolgt dabei anhand der Schubratenreduktion aus den Zulassungsstudien. Diese beträgt bei Wirkstoffen der Kategorie 1 etwa 30 bis 50 Prozent, der Kategorie 2 circa 50 bis 60 Prozent und der Kategorie 3 mehr als 60 Prozent. »Hierbei handelt es sich aber nicht um ein starres Stufenschema«, betonte der Apotheker. Vielmehr gehe die Tendenz heute eindeutig in Richtung »Hit hard and early«. Welches Medikament letztlich gewählt wird, hänge von der Verlaufsform der MS, der Krankheitsaktivität, den Nebenwirkungen, den Patientenvorlieben, dem Alter und nicht zuletzt von den Begleiterkrankungen ab.

Zur Kategorie 1 gehören die seit Jahrzehnten eingesetzten β-Interferone und Glatirameracetat. »Allerdings sprechen 30 Prozent der MS-Patienten nicht ausreichend darauf an«, sagte Bendas. Für diese Patienten gebe es mit Teriflunomid (Aubagio®) und Dimethylfumarat (Tecfidera®) zwei weitere aussichtsreiche Therapieoptionen. Zudem bereichere mit Diroximelfumarat (Vumerity®) seit 2022 ein weiteres Basistherapeutikum das Segment der Immunmodulatoren. »Diroximelfumarat ist wie Dimethylfumarat ein Prodrug des aktiven Metaboliten Monomethylfumarat«, sagte Bendas. Im Vergleich zu Dimethylfumarat habe Diroximelfumarat weniger unerwünschte gastrointestinale Wirkungen.

»Imode« als großer Fortschritt

Neuzugänge gab es zudem in der Kategorie 2. »Hier haben wir mit den selektiveren Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptormodulatoren eine massive Verbesserung der Therapie erzielt.« Im Gegensatz zu dem ältesten Vertreter dieser Wirkstoffklasse Fingolimod (Gilenya®), der mit den S1PR-Subtypen 1 bis 5 interagiert, reagieren die neuen »Imode« spezifischer mit den Subtypen S1PR1 (Ponesimod, Ponvory®) beziehungsweise S1PR1 und S1PR5 (Ozanimod, Zeposia® und Siponimod, Mayzent®).

Auch unter diesen Wirkstoffen müsse wie bei Fingolimod auf das kardiovaskuläre System geachtet werden, insbesondere auf Wechselwirkungen mit anderen kardioselektiven Arzneistoffen. Siponimod werde hauptsächlich über CYP2C9 metabolisiert, was eine Genotypisierung der Patienten und gegebenenfalls eine Dosisanpassung erfordere. Bei Ozanimod gilt es, Wechselwirkungen mit CYP2C8-Induktoren sowie MAO-Hemmern zu beachten. Zudem sollten die Patienten darauf hingewiesen werden, sich während der Therapie nicht ungeschützt der Sonne auszusetzen.

Ebenfalls in der Kategorie 2 angesiedelt ist der Antimetabolit Cladribin (Mavenclad®), der in die DNA-Replikation und dementsprechend in die Lymphozyten-Proliferation eingreift. »Die Anwendung gilt als selektive Immun-Rekonstitutions-Therapie«, sagte der Referent. Sowohl die T- als auch die B-Zellen werden vorübergehend herunterreguliert. Anschließend erholt sich die Lymphozyten-Population wieder, allerdings mit einer nachhaltig veränderten Zusammensetzung. »Das Immunsystem wird faktisch langfristig umgeshiftet«.

Antikörper markieren B-Zellen

Kategorie 3 bestreiten mit Ocrelizumab (Ocrevus®) und Rituximab (off Label) sowie den beiden neueren Antikörpern Ofatumumab (Kesimpta®) und Ublituximab (Briumvi®) inzwischen vier Anti-CD20-Antikörper. »Der Immunangriff auf die markierten B-Zellen bringt eine mehr oder minder vollständige Elimination der B-Zell-Population, die dann aber aus den nicht betroffenen B-Vorläuferzellen sich selbst wieder sehr gut regenerieren kann«, informierte Bendas. Die Einführung von Ocrelizumab sei 2018 eine kleine Sensation gewesen, da es der erste Arzneistoff zur Behandlung der PPMS war. Mit Ofatumumab sei seit 2021 erstmals ein Antikörper in der MS-Therapie verfügbar, den die Patienten selbst applizieren können.

Nicht nur eine B-Zell- sondern auch T-Zell-Depletion erreiche man mit dem Anti-CD52-Antikörper Alemtuzumab (Lemtrada®). »Die Therapie ist so effizient, dass eine jährliche Stoßtherapie ausreicht«, so der Referent. Ein anderes Prinzip werde seit nunmehr 20 Jahren mit dem »sehr wertvollen Arzneistoff« Natalizumab (Tysabri®) beschritten. Der IgG4-Antikörper bindet an das Adhäsionsmolekül α4-Integrin auf Immunzellen und verhindert dadurch deren Einwanderung in das Entzündungsgebiet.

Abschließend gab Bendas einen Ausblick. Als »sehr aussichtsreichen Kandidaten« bezeichnete er den Antikörper Frexadimab von der Firma Sanofi, der sich aktuell in Phase II der klinischen Prüfung befindet. Der Antikörper ist gegen das Oberflächenprotein CD40L (CD154) gerichtet, das bei MS-Patienten oft überexprimiert ist.

Ebenfalls in Phase II ist der Wirkstoff PIPE-307, ein oral verfügbarer, ZNS-gängiger selektiver M1-Rezeptorantagonist. Von ihm erhofft man sich eine Remyelinisierung der geschädigten Areale. Erwartungsfroh sehe man auch den Ergebnissen von Studien mit verschiedenen Brutonkinase-Hemmern wie Evobrutinib (Merck), Remibrutinib (Novartis), Tolebrutinib (Sanofi) und Fenebrutinib (Roche) entgegen, die sich in Phase III befinden.

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