Pharmazeutische Zeitung online
Kardiotoxizität

Wenn Arzneimittel das Herz angreifen

Tumortherapeutika

Die weitaus größte Gruppe mit einer ausgeprägten Kardiotoxizität sind die in der Tumortherapie eingesetzten Substanzen. Die Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit onkologischen Erkrankungen haben sich in den vergangenen Jahren wesentlich erweitert. So ermöglichen neu eingeführte zielgerichtete Substanzen spezifischere Therapieansätze. Oft wird ihr Einsatz jedoch durch UAW wie eine Kardiotoxizität begrenzt.

Wie häufig und wie stark die Medikamente tatsächlich kardiotoxisch wirken, ist schwierig zu quantifizieren, da viele Patienten vor der Tumortherapie bereits Risikofaktoren für eine Koronare Herzkrankheit (KHK) aufweisen. Dazu zählen zum Beispiel Diabetes mellitus, Adipositas, Hypertonie und Lipidstoffwechselstörungen.

Einen detaillierten Überblick über die Kardiotoxizität einer Krebstherapie gibt ein Positionspapier der European Society of Cardiology (ESC) aus dem Jahr 2016, das im Wesentlichen auf die folgenden Substanzklassen verweist (7, 8, 9).

Anthrazykline

Die Anthrazykline Doxorubicin, Daunorubicin, Idarubicin, Epirubicin und das Anthrachinon Mitoxantron sind Klassiker in der Behandlung von Krebserkrankungen. Seit Langem ist bekannt, dass sie auch das Herz angreifen können. Schon während der Infusion kann das Herz aus dem Takt geraten. Eine verminderte Pumpfunktion der linken Herzkammer kann noch Jahrzehnte nach Therapieende auftreten, ebenso wie Thromboembolien oder ein Myokardinfarkt.

Gefürchtet sind diese Spätfolgen besonders nach einer Anthrazyklin-Behandlung in der Kindheit. Bis zu 30 Jahre später entwickeln laut einer 2014 publizierten Studie 8,3 Prozent der nun längst Erwachsenen eine Kardiomyopathie. Selbst kleine Schäden der Herzmuskelzellen können diese zu einem verstärkten Wachstum anregen, das zu irreversibel vergrößerten Herzkammern und -vorhöfen führen kann (10, 11).

Eine Zytostatika-assoziierte Kardiomyopathie sei eine Ausschlussdiagnose, erklärt Privatdozent Dr. Clemens Gießen-Jung vom Klinikum Großhadern der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität gegenüber der PZ. »Wenn die Pumpfunktion des Herzens gestört ist, jedoch eine Ischämie durch eine Koronarangiografie ausgeschlossen wurde und die Anamnese des Patienten auf eine Tumortherapie hinweist, ist dies ein starkes Indiz für einen kardiotoxischen Schaden durch die frühere Krebstherapie.« In der Transitionsmedizin, dem Übergang von der Kinderheilkunde in die Erwachsenenmedizin, werde es zunehmend wichtiger, nicht nur ein mögliches Rezidiv eines Tumors im Blick zu behalten, sondern auch die Spätfolgen einer Chemo- und/oder Radiotherapie, führt der Onkologe aus. »Während einer laufenden Behandlung sind regelmäßige kardiologische Kontrollen heute Standard, um auch asymptomatische Patienten frühzeitig entdecken zu können.«

Auch Daten aus der Zwillingsforschung belegen eine Kardiotoxizität einer früheren antineoplastischen Behandlung. Langzeitüberlebende einer Krebserkrankung in der Kindheit haben ein sechsfach höheres Risiko, ein Herzversagen zu erleiden als ihre nicht erkrankten Geschwister. Die kardiologische Nachsorge der Kinder und Jugendlichen sollte zwölf Monate nach Therapieende beginnen und lebenslang mindestens alle fünf Jahre erfolgen, heißt es in einem Konsensuspapier mehrerer Fachgesellschaften aus dem Jahr 2020 (12).

Das Risiko einer Kardiomyopathie hänge vor allem von der verabreichten Gesamtdosis der Anthrazykline ab, erläutert Gießen-Jung. Oberhalb einer definierten Schwellendosis sei mit einem sehr hohen Risiko eines irreversiblen Verlusts an Kardiomyozyten zu rechnen.

Fortschritte bei der Therapie brachte ein pharmazeutisch-technologischer Kniff: Durch »Verpacken« des Anthrazyklins in Liposomen und/oder eine Bindung an Polyethylenglykol (PEG) kann die Wirksamkeit verbessert werden. Liposomale Varianten würden in erster Linie bei entsprechender Risikokonstellation hinsichtlich der Grund- und/oder Begleiterkrankungen eingesetzt, berichtet der Onkologe.

Wie genau Anthrazykline dem Herzen schaden, ist noch nicht bis ins Detail verstanden. Vermutlich entstehen bei den durch Anthrazykline induzierten DNA-Strangbrüchen reaktive Sauerstoffspezies (ROS), die die Biosynthese der Kardiomyozyten behindern und eine Apoptose auslösen. Zudem hemmen Anthrazykline das Enzym Topoisomerase-2, das bei der DNA-Synthese für die korrekte Form der DNA sorgt (13). Die untergehenden Herzmuskelzellen lösen einen Stress- und Alarmzustand aus, der ein pathologisches Wachstum des Gewebes in Gang setzt und sich schließlich in einer Kardiomyopathie niederschlägt.

Mehr von Avoxa