Wenn Arzneimittel das Herz angreifen |
Arzneimittel können nicht nur den Elektrolyteinstrom in Ionenkanäle der Herzmuskelzellen und damit den Herzrhythmus beeinflussen, sondern auch das Blut zäher fließen lassen oder Entzündungsprozesse am Gefäßendothel anstoßen und so dem Herz-Kreislauf-System zusetzen. Auch häufig verwendete Schmerzmittel können diese unerwünschten Wirkungen auslösen (5).
Nicht steroidale antiinflammatorische Medikamente (Non-steroidal anti-inflammatory drugs, NSAID) hemmen meist unspezifisch sowohl das Enzym Cyclooxygenase-1 (COX-1) als auch dessen Isoform COX-2. Mit der Entwicklung von COX-2-Inhibitoren hatte man zwar einen gezielteren Eingriff in die Entzündungskaskade erreicht, doch deren unerwünschte kardiovaskuläre Effekte fielen schon bald nach ihrer Einführung auf und führten zu mehreren Marktrücknahmen.
Die COX-2-Hemmer sind zwar besser magenverträglich als nicht steroidale Antiphlogistika, aber sie fördern die Thrombozytenaggregation und Gefäßentzündungen. / Foto: Stock Adobe/Tatiana Shepeleva
Wie die als Coxibe bezeichneten Substanzen Herz und Gefäße attackieren, ist plausibel. Durch die selektive Blockade der COX-2 steht der COX-1 mehr Arachidonsäure zur Verfügung, sodass daraus mehr Prostaglandine gebildet werden, unter anderem Thromboxan A2, das eine Aggregation der Thrombozyten und eine Konstriktion der Gefäße begünstigt.
In geringerem Maß trifft dies auch auf die anderen NSAID zu, deren wichtigster Vertreter im OTC-Bereich Ibuprofen ist. Die Fachinformation von Ibuprofen-haltigen Arzneimitteln verweist auf das geringfügig erhöhte Risiko von arteriellen thrombotischen Ereignissen wie Herzinfarkt und Schlaganfall bei einer Tagesdosis über 2400 mg (6).
Das in einer Dosierung bis 75 mg apothekenpflichtige Diclofenac ist kontraindiziert bei Patienten mit Herzinsuffizienz (New York Heart Association, NYHA, Stadien II bis IV), ischämischer Herzerkrankung, peripherer Arterienerkrankung oder zerebrovaskulärer Erkrankung. Patienten mit Herzinsuffizienz oder einer ischämischen Erkrankung des kardiovaskulären Systems sollten ein NSAID deshalb nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung und in möglichst niedriger Dosierung erhalten. Dies zu vermitteln, erfordert im Apothekenalltag oft einiges an Fingerspitzengefühl.
»Wird ein NSAID gewünscht, frage ich immer nach, ob Herz und Blutdruck in Ordnung sind. Wenn das nicht sicher ist, empfehle ich meist Paracetamol. In jedem Fall rate ich dem Patienten, das Medikament nur kurzfristig und niedrig dosiert einzunehmen und möglichst bald den Arzt zu kontaktieren«, beschreibt Göbel das Procedere in seiner Apotheke. »Ich mache gute Erfahrungen damit, den Kunden oder Patienten ein mögliches Risiko genau zu erläutern. Die Entscheidung müssen sie letztendlich selbst treffen. Wenn sich die Menschen ernst genommen fühlen, entwickeln sie auch Vertrauen zu uns.«
Einzelne Fälle von Myokarditis (Herzmuskelentzündung) oder Perikarditis (Herzbeutelentzündung), vor allem nach einer Impfung mit mRNA-Vakzinen, wurden in den vergangenen Monaten aus mehreren Ländern berichtet. Nach den bislang vorliegenden Daten sind offenbar vor allem junge Männer zwischen 16 und 30 Jahren nach Gabe der zweiten Dosis betroffen, typischerweise innerhalb von 14 Tagen. Darüber informierten die Herstellerfirmen Biontech und Moderna in einem gemeinsamen Rote-Hand-Brief am 19. Juli 2021.
Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz der Europäischen Arzneimittelagentur (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee, PRAC) hat deshalb beschlossen, Myokarditis und Perikarditis in die Fach- und Gebrauchsinformationen beider mRNA-Impfstoffe aufzunehmen. Der PRAC kam zu dem Schluss, dass zwischen Impfungen mit Covid-19-mRNA-Impfstoffen und Myokarditis oder Perikarditis mindestens ein möglicher kausaler Zusammenhang bestehen könnte. Der Nutzen der Impfung überwiege auch weiterhin die Risiken, heißt es im Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom 15. Juli 2021.
Das PEI appelliert an Ärzte und medizinisches Fachpersonal, auf die Zeichen und Symptome von Myokarditis und Perikarditis zu achten und geimpfte Personen darauf hinzuweisen, bei Brustschmerzen, Kurzatmigkeit oder Palpitationen sofort medizinische Beratung und Hilfe einzuholen.
Die Melderate an unerwünschten Arzneimittelwirkungen betrug für alle Covid-19-Impfstoffe zusammen laut PEI-Bericht 1,4 pro 1000 Impfdosen, für Meldungen über schwerwiegende Reaktionen 0,1 pro 1000 Impfdosen gesamt.
Quellen: