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Phytopharmaka und Co.

Was ist präoperativ zu beachten?

Viele Patienten nehmen Phytopharmaka, Nahrungsergänzungsmittel und andere Präparate der komplementären und alternativen Medizin ein. Diese müssen erfasst, beurteilt und gegebenenfalls rechtzeitig abgesetzt werden, um unerwünschte Effekte vor und bei Operationen zu vermeiden.
Dorothea Strobach
29.08.2021  08:00 Uhr

Phytopharmaka, Nahrungsergänzungsmittel und andere Präparate der sogenannten komplementären und alternativen Medizin (complementary and alternative medicine, CAM) werden von vielen Patientinnen und Patienten als Selbstmedikation angewendet. Die Begriffe sind oft nicht genau abgegrenzt und werden in verschiedenen Ländern unterschiedlich interpretiert.

Weltweit nimmt die Verwendung entsprechender Präparate, im Folgenden unter CAM zusammengefasst, deutlich zu, da sie gegenüber sogenannten »konventionellen« Arzneimitteln von Patienten als »natürlicher«, besser verträglich und sicherer angesehen werden (8, 17, 20). Mehrere Studien haben gezeigt, dass 44 bis 80 Prozent der Patienten, die sich einer Operation unterziehen, präoperativ Präparate der CAM einsetzen (22–24).

Trotz des Nutzens, den pflanzliche Präparate oder Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamine oder Mineralstoffe haben können, sind Präparate der CAM im Umfeld von (geplanten) Operationen nicht pauschal als harmlos einzustufen. Da Patienten aber oft keine Risiken erwarten, teilen sie die Einnahme dem Arzt nicht mit. Sofern sie es doch tun, erwähnen sie es eher beim Hausarzt als im Krankenhaus, wie eine Untersuchung aus Israel zeigt: 70 Prozent nannten ihre CAM-Präparate dem Hausarzt, aber nur 34 Prozent dem Arzt im Krankenhaus (5). Dementsprechend können deren mögliche Wechselwirkungen oder unerwünschte Effekte bei der stationären Behandlung nicht berücksichtigt werden. Jedoch unterschätzen auch die Ärzte, dass die Kenntnis der Einnahme von Präparaten der CAM wichtig ist (20).

Potenzielle Risiken vor Operationen

Präparate der CAM können aus ganz verschiedenen Gründen Risiken bergen. Dazu zählen direkte Nebenwirkungen und toxische Effekte, Interaktionen mit der Arzneimitteltherapie oder medizinischen Maßnahmen, Verunreinigungen, zum Beispiel mit Schwermetallen, oder nicht deklarierte Inhaltsstoffe (17). Auch ihre erwünschte Wirkung, zum Beispiel eine verminderte Blutgerinnung oder die Blutdrucksenkung, kann perioperativ problematisch sein.

Wesentliche Risiken, die durch Präparate der CAM perioperativ von Bedeutung sein können, sind im Kasten aufgelistet. Dabei geht es sowohl um pharmakodynamische als auch pharmakokinetische Effekte. So spielt eine Beeinflussung der Blutgerinnung bei vielen Phytopharmaka eine Rolle, denn viele Pflanzen enthalten Vitamin K und können die Wirkung von Cumarinen abschwächen, zum Beispiel Kapuzinerkresse, Kelp-Extrakt (Braun- oder Grünalgenextrakt) oder Liebstöckel (13). Andere Präparate beeinflussen die Plättchenaggregation, darunter zum Beispiel Grüntee, Glucosamine, Chondroitin und Carnitin in höheren Dosen (12, 13, 34). Auch Kamille, die als Tee harmlos ist, kann bei Einnahme als Kapseln oder Tropfen die Thrombozytenaggregation hemmen; bei gleichzeitiger Einnahme von Cumarinen sind Blutungen beschrieben (25).

Bei der Frage, wann diese Präparate präoperativ abgesetzt werden sollten, kommen pharmakokinetische Überlegungen hinzu. Sind die Metabolisierung und Elimination unklar oder gibt es große interindividuelle Unterschiede, wird in der Regel pauschal ein Absetzen zwei bis drei Wochen vor der geplanten Operation empfohlen. Hinsichtlich des Blutungsrisikos betrifft dies zum Beispiel Aloe und Arnika oral, Teufelskralle, Knoblauch und Ingwer (8). Für Chondroitin und Glucosamin reicht wahrscheinlich ein Absetzen 48 Stunden präoperativ, da sie eine kürzere Eliminationshalbwertszeit haben (8).

Ein konkretes Beispiel für pharmakokinetische Interaktionen mit perioperativ eingesetzten Arzneistoffen ist der Goldsiegelwurz (Hydrastis canadiensis, Goldenseal). Der Pflanzenextrakt wirkt hemmend auf die Cytochrom-P-Isoenzyme 3A4 und 2D6, über die viele andere Arzneistoffe abgebaut werden (8, 37). So wurde der Abbau von Midazolam über CYP3A4 klinisch relevant vermindert, vergleichbar dem Effekt des bekannten CYP3A4-Inhibitors Clarithromycin (32). Außerdem kann es zu einer gesteigerten Natriumausscheidung kommen, die vor allem bei Patienten mit Diuretika-Einnahme Elektrolytstörungen begünstigt (6). Präparate mit Goldsiegelwurz sollten deshalb zwei Wochen vor Operationen abgesetzt werden (8).

Wie oft Interaktionen von CAM mit perioperativ eingesetzten Arzneimitteln von Bedeutung sind, zeigt eindrücklich eine Untersuchung aus Israel. In einer Studie mit chirurgischen Patienten nahmen 44 Prozent Präparate der CAM ein; für 18 Prozent dieser Mittel waren potenzielle Interaktionen mit Anästhetika und für 10 Prozent Wechselwirkungen mit der antithrombotischen Therapie beschrieben (23).

► Aufgrund der zahlreichen und ständig neuen Präparate kann es keine erschöpfende Übersicht über perioperative Risiken von Präparaten der CAM geben. Vielmehr ist es nötig, bei Fragen zu einem Präparat selbst nach den im Kasten dargestellten potenziellen Risiken zu recherchieren.

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