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RNA als Arzneistoff

Sirane auf dem Vormarsch

Anwendungsgebiete der Sirane

Aus dem Wirkmechanismus der siRNA-Moleküle lässt sich ableiten, dass all jene Erkrankungen, bei denen ein Protein als »Übeltäter« identifiziert wurde, zumindest in der Theorie über RNA-Interferenz therapiert werden könnten. Denn wenn das Protein nicht mehr (so stark) exprimiert wird, kann dies zur Linderung der Krankheit führen. Bisher sind fünf Sirane für vier Indikationen zugelassen (Tabelle und Abbildung). Alle werden parenteral verabreicht.

Patisiran und Vutrisiran

Die hereditäre Transthyretin-vermittelte Amyloidose (hATTR) ist eine autosomal dominant vererbte Erkrankung, deren Prävalenz in Europa bei 0,1 pro 10.000 liegt. Es gibt etwa 5000 bis 6000 Patienten. Die physiologische Aufgabe von Transthyretin (TTR) ist der Transport von Thyroxin und Retinol im Körper. Durch eine Mutation im TTR-Gen kommt es zur Bildung von Fibrillen und deren Ablagerung in verschiedenen Geweben. Charakterisiert ist die Erkrankung vor allem durch progressive sensorische und motorische Funktionsstörungen. Unbehandelt sterben die Patienten innerhalb von fünf bis 13 Jahren nach Diagnosestellung.

Die beiden für erwachsene Patienten zugelassenen siRNA-Moleküle Patisiran (Onpattro®), das seit 2018 verfügbar ist, und Vutrisiran (Amvuttra®), das Ende 2022 in den Markt eingeführt wurde, adressieren die TTR-mRNA und reduzieren die Menge an gebildetem Protein um 80 bis 96 Prozent. Damit steht allerdings auch weniger TTR für den Retinol-Transport zur Verfügung, weshalb beim Einsatz beider Arzneimittel eine Supplementation mit etwa 2500 IE Vitamin A pro Tag empfohlen wird.

Patisiran wird in einer Dosis von 300 µg pro kg Körpergewicht alle drei Wochen intravenös verabreicht. Demgegenüber muss Vutrisiran nur alle drei Monate in einer Dosis von 25 mg subkutan appliziert werden (Tabelle). Dies verdeutlicht die sehr großen pharmakokinetischen Effekte einer konsequenten RNA-Modifikation, wie sie bei Vutrisiran realisiert wurde.

Patisiran erreicht das Leberkompartiment, wo sich die Wirkung in der Hauptsache entfaltet, über Apolipoprotein E3, das sich an die LNP, in die die RNA verpackt ist, anlagert. Apolipoprotein E3 interagiert mit ApoE-bindenden Oberflächenrezeptoren auf Hepatozyten, wodurch dann die LNP in Endosomen der Hepatozyten internalisiert werden. Vutrisiran ist mit N-Acetyl-Galactosamin (GalNAc) gekoppelt.

Pharmakodynamisch unterscheiden sich die beiden Wirkstoffe kaum. Die zeitlich gemittelte prozentuale Reduktion der TTR-Talspiegel bis Monat 18 betrug 84,7 Prozent bei Vutrisiran und 80,6 Prozent bei Patisiran. Die häufigsten Nebenwirkungen unter Patisiran sind periphere Ödeme und infusionsbedingte Reaktionen. Patienten, die Vutrisiran erhalten, klagen gelegentlich über Schmerzen in einer Extremität (15 Prozent) und Arthralgie (11 Prozent).

Wirkstoff (Arzneimittel, Zulassung) Erkrankung Zielprotein Dosierung/Therapieschema
Formulierung als Lipidnanopartikel (DLin-MC3-DMA)
Patisiran vererbte Transthyretin-vermittelte Amyloidose (hATTR) Transthyretin (TTR) 0,3 mg/kg i.v. alle 3 Wochen mit Prämedikation mindestens 60 min vor der Infusion: i.v. Corticosteroid (z.B. 10 mg Dexamethason), 500 mg Paracetamol, i.v.
H1- und H2-Blocker (z.B. 50 mg Diphenhydramin und 50 mg Ranitidin)
Formulierung als N-Acetyl-Galactosamin (GalNAc)-Konjugat
Givosiran (Givlaari®, 2020) akute hepatische Porphyrie (AHP) Aminolävulinsäure-Synthase 1 (ALAS-1) 2,5 mg/kg s.c. einmal monatlich
Inclisiran (Leqvio®, 2020) primäre Hypercholesterinämie Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) 284 mg s.c. initial und nach 3 Monaten, danach alle 6 Monate
Lumasiran (Oxlumo®, 2020) primäre Hyperoxalurie Typ 1 (PH1) Glycolatoxidase (GO) Initialdosis (für 3 Monate):
6 mg/kg einmal monatlich (≤ 20 kg KG),
3 mg/kg einmal monatlich (> 20 kg)

Erhaltungsdosis (beginnend einen Monat nach letzter Initialdosis):
3 mg/kg einmal monatlich (< 10 kg),
6 mg/kg alle 3 Monate (10 kg bis < 20 kg),
3 mg/kg alle 3 Monate (≥ 20 kg)
Vutrisiran (Amvuttra®, 2022) Transthyretin-vermittelte Amyloidose (hATTR) Transthyretin (TTR) 25 mg s.c. alle 3 Monate
Tabelle: Übersicht über die zugelassenen Sirane

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