Neues und Bewährtes bei Migräne |
Migräne ist eine der häufigsten Kopfschmerzformen. Die höchste Prävalenz besteht zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr. In dieser Lebensphase sind Frauen bis zu dreimal häufiger betroffen als Männer. / © Getty Images/fizkes
Migränekopfschmerzen treten typischerweise attackenartig auf, sind pulsierend oder pochend und betreffen in zwei Drittel der Fälle ausschließlich eine Kopfhälfte. Während einer Episode kann die Intensität des Schmerzes schwanken. Zudem leiden die Betroffenen häufig unter Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen oder einer Aura, die sich in neurologisch bedingte Seh-, Sprach-, Bewegungs- und Sensibilitätsstörungen äußern.
Wie eine Migräneattacke im Detail entsteht, ist noch nicht abschließend geklärt. Eine wichtige Rolle spielen der Neurotransmitter Serotonin sowie das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP), die durch gesteigerte Expression eine Vasodilatation der Blutgefäße in der äußeren Hirnhautschicht hervorrufen. Das führt zu einer kurzfristigen Einschränkung der Gehirnaktivität, die im Zusammenspiel mit Entzündungsmediatoren den typischen Migränekopfschmerz auslöst. Die Beteiligung des zentralen Nervensystems ist insbesondere für die neurologischen und gastrointestinalen Symptome verantwortlich.
Wie ein Migränekopfschmerz am besten behandelt wird, wurde nun in der aktualisierten S1-Leitlinie »Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne« von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) neu bewertet. Zudem hat die Deutsche Hirnstiftung erstmals eine patientenverständliche Version der Leitlinie erstellt, um Betroffene über Therapiestandards zu informieren.
Zur Behandlung einer leichten bis mittelschweren Migräneattacke werden nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) eingesetzt, wobei die Wirkung für Ibuprofen und Acetylsalicylsäure am besten nachgewiesen ist. Letztere hat sich bei vielen Betroffenen auch als Kombinationspräparat mit Paracetamol und Koffein bewährt. Bei der Abgabe in der Apotheke sollten schnellfreisetzende Darreichungsformen wie Brause- oder Schmelztabletten bevorzugt werden, um eine effiziente Wirksamkeit zu erzielen. Bei einer vorliegenden Kontraindikation kann auf verschreibungspflichtige Wirkstoffe wie Metamizol, Phenazon oder eine Celecoxib-Trinklösung ausgewichen werden. Bei Kindern ist Ibuprofen das Mittel der Wahl, gefolgt von Paracetamol.
Für die Behandlung akuter Migräneattacken gelten Triptane weiterhin als Standard. Triptane gehören zu den 5-HT1B/1D-Agonisten und wirken in den Blutgefäßen im Kopfbereich einer Vasodilatation entgegen. In der Selbstmedikation können Präparate mit Naratriptan, Rizatriptan, Almotriptan und Sumatriptan abgegeben werden, wobei das Vorliegen einer Migräne im Voraus ärztlich festgestellt werden muss.
Am wirksamsten sind Sumatriptan als subkutane Darreichungsform und Eletriptan sowie Rizatriptan als orale Behandlungsoptionen. Darüber hinaus war eine Fixkombination von Sumatriptan und Naproxen der Einzelgabe beider Medikamente überlegen. Für Kinder ab dem zwölften Lebensjahr kann ein Nasenspray mit Sumatriptan oder Zolmitriptan vom Arzt verordnet werden. Sumatriptan und Rizatriptan sind auch während der Schwangerschaft akzeptabel.
Eine begleitende Übelkeit sollte mit den Antiemetika Metoclopramid oder Domperidon behandelt werden. Die Wirkstoffe zeigen einen prokinetischen Effekt, was die Aufnahme des Analgetikums verbessert. Metoclopramid kann auch während der Schwangerschaft eingesetzt werden.
Personen mit einer bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankung, einem Herzinfarkt in der Vergangenheit, einer ungünstig eingestellten Hypertonie oder einer Nieren- oder Leberinsuffizienz sollten kein Triptan einnehmen. Alternativ kann Lasmiditan, ein Agonist am 5-HT1F -Rezeptor, eingesetzt werden, da es keinen vasokonstriktorischen Effekt an den peripheren Blutgefäßen des kardiovaskulären Systems auslöst. Als Nebenwirkungen können aufgrund der Überwindung der Blut-Hirn-Schranke Müdigkeit oder Schwindel auftreten.
Eine weitere Alternative ist Rimegepant, ein oraler CGRP-Antagonist aus der Gruppe der Gepante. Der Wirkstoff ist zur Anwendung bei akuten Beschwerden und als Migräneprophylaxe bestimmt. Atogepant ist hingegen ausschließlich bei episodischer und chronischer Migräne zur Prophylaxe zugelassen.
Neben den Gepanten werden zur Prophylaxe auch Propranolol, Metoprolol, Flunarizin, Valproinsäure, Topiramat und Amitriptylin sowie Onabotulinumtoxin A eingesetzt. Weiterhin können die monoklonalen Antikörper gegen CGRP wie Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab oder gegen den CGRP-Rezeptor wie Erenumab verordnet werden, die zudem ein günstiges Nebenwirkungsprofil aufweisen. Erenumab konnte in Studien eine bessere Verträglichkeit und Wirksamkeit als Topiramat vorweisen. Da die Antikörper noch recht neu sind, sollten sie derzeit nur zurückhaltend bei vaskulären Vorerkrankungen sowie entzündlichen Darmerkrankungen und COPD eingesetzt werden und nicht bei Schwangeren und Stillenden.
Bei leichten Beschwerden sowie bei Kindern und Schwangeren sollten zuerst nicht medikamentöse Ansätze in erwogen werden. Dazu gehören das Kühlen von Stirn und Schläfen, ausreichend Schlaf, Wärmeanwendungen im Nacken sowie Minzöl zur Schläfenmassage. Außerdem zeigen die Remote Electrical Neuromodulation (REN), eine äußerliche Stimulation des Nervus trigeminus (etwa mit dem Gerät Cefaly®) sowie ein Vasokonstriktionstraining eine gute Wirksamkeit im akuten Migräneanfall. Für Akupunktur gibt es ebenso Hinweise auf eine mögliche Wirkung.
Zur Prophylaxe können psychologische Verfahren wie beispielsweise Entspannungstechniken und Verhaltenstherapie eingesetzt werden. Auch Ausdauer- und Kraftsport sind vorbeugend wirksam. Möglicherweise hat eine zucker- und fettarme Ernährung zusätzlich einen positiven Einfluss auf die Migräneattacken. Spezielle Gesundheits-Apps wie SinCephalea® dienen der Kontrolle eingeleiteter Maßnahmen und als Informationsquelle für den Umgang mit der Erkrankung.