mRNA als neues Impfstoffprinzip |
Inzwischen wird an vielen weiteren Indikationen für mRNA-Impfstoffe geforscht, zum Beispiel in der Tumorbekämpfung. / Foto: Adobe Stock/tonefotografia
Seit jeher besteht das Wirkprinzip von Impfstoffen darin, dass man einer Person harmlose antigene Proteine eines humanpathogenen Erregers injiziert und mit einer entsprechenden Immunreaktion eine Immunität gegen den Wilderreger induziert. Für die Herstellung traditioneller Impfstoffe muss in der Regel ein pathogener Erreger im industriellen Maßstab gezüchtet werden, um ihn als lebend-attenuierten Impfstoff oder nach Inaktivierung und Reinigung von antigenen Proteinen als Totimpfstoff einzusetzen. Diese Herstellverfahren erfordern Produktionsstätten mit hohen Sicherheitsstandards und komplexe zellbasierte Produktionsverfahren, die weltweit nur an wenigen Standorten etabliert sind.
In einer Pandemie-Situation werden große Impfstoffmengen in kurzer Zeit benötigt. Dies lässt die konventionelle Herstellung von Impfstoffen gegen neu auftretende Erreger schnell zu einer nicht beherrschbaren Herausforderung werden.
In den letzten Jahren wurde intensiv an einem neuen Impfstofftyp geforscht, der ohne die Anzüchtung pathogener Organismen auskommt und die Herstellung der Impfproteine direkt in die geimpfte Person verlagert. Das bedeutet, dass man als Impfstoff lediglich die genetische Information eines bestimmten antigenen Proteins injiziert – in Form von mRNA. Nach der Impfung sollen Zellen am Injektionsort die genetische Information aufnehmen und in vivo translatieren.
Ende 2019 wurden die ersten Fälle von Covid-19 in China berichtet. Nachdem die ersten Genomsequenzen des Erregers SARS-CoV-2 über wissenschaftliche DNA-Sequenz-Datenbanken zugänglich wurden, konnte die weltweite Suche nach wirksamen Impfstoffen direkt beginnen.
Die DNA mit der genetischen Information relevanter antigener Determinanten von SARS-CoV-2 (Spike-Protein, Abbildung 1) kann man komplett synthetisch herstellen. Man muss sie lediglich in ein Plasmid einsetzen, das die Grundlage der mRNA-Produktion durch eine sogenannte In-vitro-Transkription bildet (Abbildung 2).
Abbildung 1: Aufbau des Coronavirus SARS-CoV-2. Das Genom von Coronaviren besteht aus einer einzelsträngigen RNA, die an das N-Protein gebunden ist. In die Membranhülle sind das trimere Spike-Protein sowie die Proteine E und M eingelagert. Das Spike-Protein ist für die Bindung an ACE2 auf Zielzellen verantwortlich. / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Abbildung 2: Herstellung des mRNA-Impfstoffs BNT162b2
A. Struktur des Spike-Proteins von SARS-CoV-2. Das S-Protein umfasst 1273 Aminosäuren und kann in ein S1-Protein und ein S2-Protein unterteilt werden. S1 enthält das Signalpeptid (SP), eine aminoterminale Domäne (NTD) und eine rezeptorbindende Domäne (RBD). S2 vermittelt die Membranfusion und besteht aus dem Fusionspeptid (FP), dem internen Fusionspeptid (IFP), zwei Heptad-Repeat-Domänen (HR1/2) und einer Transmembrandomäne (TM).
B. Für die Nutzung des gesamten S-Proteins als Impfantigen wird die codierende DNA-Sequenz auf ein Plasmid kloniert, das einen Promotor aus dem Bakteriophagen T7 enthält. Die In-vitro-Transkription erfolgt in Gegenwart des Capping-Nukleotids
(m27,3‘-O)Gppp(m2‘-O)ApG. In BNT162b2 werden alle Uridin-Nukleotide durch 1-Methylpseudouridin-Nukleotide (m1ψ) ersetzt, indem bei der In-vitro-Transkription das Nukleosidtriphosphat m1ψTP zugesetzt wird. Danach wird die mRNA aufgereinigt, in Lipidnanopartikel formuliert und in Mehrdosisbehältnisse abgefüllt. / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Die synthetisch hergestellte mRNA muss nach der In-vitro-Transkription wie eine normale zelluläre mRNA aufgebaut sein. Das bedeutet: Neben der für das Impfantigen codierenden Region muss das 5′-Ende der mRNA eine »5′-Kappe« enthalten und das 3′-Ende muss polyadenyliert vorliegen. Auch müssen die mRNA-Moleküle geeignete sogenannte 5′-nichttranslatierte und 3′-nichttranslatierte Regionen aufweisen. Auch der proteincodierende Teil der mRNA muss optimiert werden und zwar hinsichtlich der Nutzung synonymer Codons, die eine möglichst effiziente Translation unterstützen. Alle Elemente einer mRNA tragen zur Stabilität und Translationseffizienz in der Zelle bei und bestimmen damit auch die Menge des gebildeten Impfantigens (1).
Der optimale Aufbau einer mRNA bezüglich der um die proteincodierende Region herum erforderlichen Sequenzen muss bei der Impfstoffentwicklung empirisch ermittelt werden. Der Vorteil ist dann aber, dass damit eine Art »Plattform« zur Impfstoffherstellung entwickelt wird, die es erlaubt, die Produktion von Impfstoffen sehr schnell an neu auftretende Pathogene oder auch an Mutanten bereits zirkulierender Pathogene anzupassen. Dafür muss lediglich die Nukleotidsequenz der jeweils codierenden Region für das Impfantigen in dem bereits vorhandenen Plasmid verändert werden. Der mRNA-Impfstoff kann sofort mit der angepassten Sequenz neu produziert werden.
Nach der In-vitro-Transkription – also der Synthese der mRNA – wird die Plasmid-DNA vollständig abgebaut, sodass die mRNA keine Verunreinigungen mit DNA mehr enthält. Die mRNA wird dann noch chromatografisch aufgereinigt, vor allem um bei der In-vitro-Transkription entstandene zu kurze oder doppelsträngige RNA-Sequenzen zu beseitigen.
Eine mRNA ist prinzipiell chemisch weniger stabil als DNA und sehr leicht angreifbar durch die praktisch omnipräsenten RNasen. Daher muss die mRNA für eine In-vivo-Anwendung geschützt werden, beispielsweise indem sie in Lipidnanopartikel verpackt wird. Dies erhöht gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass sie in phagozytierende Zellen des angeborenen Immunsystems an der Injektionsstelle aufgenommen wird, und unterstützt die intrazelluläre Freisetzung der mRNA aus dem endolysosomalen Kompartiment in das Zytoplasma. Dies ist die Voraussetzung für die Translation des Impfantigens in der Zelle.
Adjuvanzien haben in Impfstoffen ein gemeinsames Wirkprinzip: Sie aktivieren das unspezifische Immunsystem zur Bildung von Zytokinen, die wiederum eine Aufnahme von Impfantigenen sowie deren Prozessierung und Präsentation in antigenpräsentierenden Zellen fördern. Zudem enthalten Zellen des angeborenen Immunsystems in den Endosomen Mustererkennungsrezeptoren, die in die Zelle aufgenommene (virale) RNA erkennen und die Bildung von Zytokinen und damit eine Aktivierung des Immunsystems veranlassen.
In Lipidnanopartikel verpackte mRNA aktiviert insbesondere die Toll-ähnlichen Rezeptoren TLR7 und TLR8. Diese sind darauf spezialisiert, einzelsträngige RNA zu binden. Die mRNA codiert also nicht nur für das Impfantigen, sondern wirkt auch als Adjuvans.
In vielen Ländern haben die Impfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 begonnen – in Deutschland mit zwei neuartigen mRNA-Impfstoffen. / Foto: Adobe Stock/Melinda Nagy
Der Adjuvans-Effekt von mRNA in Impfstoffen ist gewollt. Allerdings ist diese »Reaktogenität« für die praktische Anwendung oftmals zu stark ausgeprägt. Wenn die genannten TLR durch die Impfstoff-mRNA zu stark aktiviert werden, entsteht im Körper eine sehr ausgeprägte Interferon-Produktion, die sich nachteilig auf die Translation des Impfantigens auswirkt und stärkere Nebenwirkungen der Impfung verursachen kann.
Daher wurden in einigen der gegen SARS-CoV-2 entwickelten mRNA-Impfstoffen alle Uridine durch 1-Methylpseudouridin (m1ψ) ersetzt; diese »Nukleosid-modifizierte mRNA« (modRNA) aktiviert die Toll-ähnlichen Rezeptoren weniger stark. Dadurch ist die Interferon-Antwort weniger stark ausgeprägt, die Translation des Impfantigens ist effektiver und die Impfstoffe sind verträglicher (1).
Häufig wird die Frage gestellt, ob die Impfstoff-mRNA nach der Aufnahme in eine Zelle in das Genom integriert werden kann und dies ein mögliches Sicherheitsrisiko darstellt.
Wird eine mRNA als Gentransfersystem verwendet, hat das den Vorteil, dass die mRNA nach der Aufnahme in die Zelle direkt im Zytoplasma für die Translation zur Verfügung steht und nicht in den Zellkern gelangen muss. Selbst wenn sie in den Zellkern gelangen würde, wäre sie nicht ohne Weiteres für die Aufnahme in die doppelsträngige genomische DNA kompatibel. Es gibt tatsächlich in vielen humanen Zellen eine geringe Reverse-Transkriptase-Aktivität, die prinzipiell mRNA in DNA umschreiben könnte (2, 3).
Um abschätzen zu können, ob dies bei der Anwendung von mRNA als Impfstoff relevant sein könnte, hilft vielleicht folgende sehr einfache Überlegung: Eine durchschnittliche Körperzelle enthält in der Größenordnung etwa 50.000 verschiedene mRNA-Spezies. Die werden nicht ständig in das Genom integriert – warum sollte das also ausgerechnet mit einer einzigen zusätzlichen mRNA in der Zelle (der Impfstoff-mRNA) geschehen? Die Frage nach der Integration einer Impfstoff-mRNA in das Genom ist also eher ein theoretisches Problem.
Weltweit sind derzeit 63 Impfstoffkandidaten gegen SARS-CoV-2 in der klinischen und 172 in der präklinischen Entwicklung (4). Sieben davon basieren auf mRNA (Tabelle). Darunter sind BNT162b2 von Biontech/Pfizer, mRNA-1273 von Moderna und CVnCoV von Curevac.
Die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna wurden am 21. Dezember 2020 beziehungsweise am 6. Januar 2021 von der EU-Kommission zugelassen. Die Vakzine CVnCoV von Curevac befindet sich in der fortgeschrittenen Entwicklung.
Impfstoff | Dosen | Entwickler | Klinische Phase |
---|---|---|---|
BNT162b2 | 2 | Biontech + Pfizer + Fosun Pharma | III, zugelassen |
mRNA-1273 | 2 | Moderna + National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) | III, zugelassen |
CVnCoV | 2 | Curevac + Bayer | III |
ARCT-021 | nicht bekannt | Arcturus Therapeutics | II |
LNP-nCoVsaRNA | 2 | Imperial College London | I |
SARS-CoV-2 mRNA | 2 | Shulan (Hangzhou) Hospital + Center for Disease Control and Prevention of Guangxi Zhuang Autonomous Region | I |
ChulaCov19 mRNA vaccine | 2 | Chulalongkorn University | I |
Das Produkt (Entwicklungsname BNT162b2, Comirnaty®) ist zugelassen zur aktiven Immunisierung von Menschen ab 16 Jahren zur Prävention des von SARS-CoV-2 verursachten Krankheitsbildes Covid-19 (5). Comirnaty® enthält eine mRNA, die für das vollständige Spike-Glycoprotein von SARS-CoV-2 codiert. In BNT162b2 sind alle Uridin-Nukleotide durch 1-Methylpseudouridin-Nukleotide ersetzt. Daher trägt der Impfstoff die Wirkstoffbezeichnung »Covid-19-mRNA-Impfstoff (Nukleosid-modifiziert)« (5). Nach der Aufreinigung wird die mRNA in pegylierte Lipidnanopartikel verpackt.
In einer initialen Phase-I/II-Studie (6) erhielten jeweils zwölf Probanden in verschiedenen Gruppen 10 µg, 20 µg und 30 µg des Impfstoffs BNT162b2 oder Placebo; untersucht wurden die Verträglichkeit (primärer Endpunkt) und die Antigenität (sekundärer Endpunkt). Zwei Impfdosen wurden im Abstand von 21 Tagen intramuskulär appliziert. Probanden im Alter von 18 bis 55 Jahren und 65 bis 85 Jahren wurden separat untersucht. Lokale Nebenwirkungen waren durch Schmerzen an der Einstichstelle geprägt und nach beiden Impfdosen etwa gleich häufig. Bei den systemischen Nebenwirkungen dominierten Fieber, Schüttelfrost und Abgeschlagenheit. Diese Symptome waren nach der zweiten Injektion deutlich häufiger und zum Teil stärker ausgeprägt als nach der ersten.
In einer internationalen multizentrischen Phase-III-Studie (7) wurden jeweils etwa 22.000 Probanden mit zwei Dosen BNT162b2 (30 µg) oder Placebo im Abstand von 21 Tagen geimpft. Nach einer Interimsanalyse der laufenden Studie nach circa 100 Beobachtungstagen traten in der BNT162b2-Gruppe frühestens sieben Tage nach der zweiten Dosis acht Covid-19-Fälle auf, in der Vergleichsgruppe 162. Das entspricht einer Wirksamkeit des Impfstoffs von 95 Prozent. Nach der ersten Dosis betrug die Wirksamkeit 52 Prozent. Die Wirksamkeit schien in allen Altersgruppen ähnlich ausgeprägt zu sein.
Der von Moderna entwickelte Impfstoff mRNA-1273 (COVID-19 Vaccine Moderna) besteht ähnlich wie der Biontech/Pfizer-Impfstoff aus einer mit 1-Methylpseudouridin Nukleosid-modifizierten mRNA, die die genetische Information für das gesamte Spike-Protein von SARS-CoV-2 enthält. Die mRNA-1273 wird in Nanopartikeln formuliert.
In einer Phase-I-Studie (8) wurden jeweils 20 Probanden mit zwei Dosen von 25 µg oder 100 µg mRNA-1273 im Abstand von 28 Tagen geimpft. Milde Schmerzen an der Einstichstelle waren mit Abstand die prominenteste lokale Nebenwirkung. Unter den systemischen Nebenwirkungen waren milde Formen von Kopfschmerzen, Fatigue, Schüttelfrost und Myalgie am häufigsten. Nach der zweiten Injektion waren diese Symptome deutlich häufiger und stärker ausgeprägt. Die zweimalige 100-µg-Dosis wirkte besser antigen, war aber auch deutlich schlechter verträglich.
In der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie (9) erhielten jeweils 15.210 Probanden im Abstand von 28 Tagen entweder zwei Dosen mit 100 µg des Impfstoffs mRNA-1273 oder Placebo-Injektionen. Innerhalb der Beobachtungszeit traten in der mit mRNA-1273 geimpften Gruppe elf Covid-19-Fälle auf (definiert als PCR-positiv), in der Placebo-Gruppe 185. Das entspricht einer Wirksamkeit des Impfstoffs von 94,1 Prozent (95,6 Prozent bei den 18- bis 65-Jährigen und 86,4 Prozent bei den über 65-Jährigen).
CVnCoV von Curevac besteht aus einer mRNA, die die genetische Information des vollständigen Spike-Proteins enthält. Das Unternehmen nutzt für die Optimierung der Antigenproduktion die hauseigene RNActive®-Technologie (10). Dabei erfolgt durch virtuelles Screening eine Sequenzoptimierung aller Bereiche einer mRNA, um in vivo eine möglichst hohe Proteinexpression für eine möglichst lange Zeit zu erhalten.
Insbesondere verzichtet die RNActive®-Technologie auf die Nutzung modifizierter Nukleoside und verringert stattdessen die Zahl von Uridin-Nukleotiden durch konsequente Codon-Optimierung in Richtung eines möglichst hohen GC-Gehalts. So wurde die Proteinexpression im Lauf der Entwicklung um vier bis fünf Zehnerpotenzen verbessert (10). Die mRNA wurde in Lipidnanopartikeln formuliert.
Erste Ergebnisse einer Phase-I-Studie mit 231 Probanden wurden kürzlich auf einem Preprint-Server veröffentlicht (11). Eine zweimalige Injektion von 2 bis 12 µg CVnCoV im Abstand von 28 Tagen erwies sich als sicher und führte zu einer Serokonversion mit Ausbildung neutralisierender Antikörper. CVnCoV (12 µg/Dosis) wird derzeit in einer Phase-III-Studie weiter untersucht (ClinicalTrials.gov: NCT04674189).
Die mRNA-Impfstoffkandidaten ARCT-021 und LNP-nCoVsaRNA (Tabelle) sind interessant, weil sie eine etwas andere Strategie verfolgen. Es handelt sich bei beiden Wirkstoffen um sogenannte selbstamplifizierende RNA (self-amplifying RNA, saRNA).
Im Unterschied zu anderen mRNA-Impfstoffen enthält die in vitro transkribierte mRNA außer der codierenden Region für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 zusätzlich die genetische Information für eine RNA-abhängige RNA-Polymerase (RdRP) eines Alphavirus. Nach der Aufnahme der mRNA in die Zelle werden sowohl das Spike-Protein als auch die RdRP direkt von der transfizierten mRNA aus translatiert. Die RdRP katalysiert dann die Erstellung von Kopien der mRNA, sodass ein doppelsträngiges RNA-Molekül als Zwischenschritt entsteht.
Im Endeffekt stehen dann mehr einzelsträngige mRNA-Moleküle pro Zelle für die Translation des Spike-Proteins zur Verfügung, was eine bessere Ausbeute an produziertem Antigenprotein pro Zelle bewirken sollte. Man könnte dann wahrscheinlich für eine mit den »normalen« mRNA-Impfstoffen vergleichbare Antigenproduktion weniger mRNA pro Impfdosis einsetzen.
Die saRNA-Strategie sorgt im Prinzip für einen zweifachen Adjuvans-Effekt. Die in Lipidnanopartikel verpackte einzelsträngige mRNA bewirkt einerseits bei der Aufnahme in Zellen am Injektionsort eine Aktivierung des endosomalen TLR7/8-Weges und aktiviert andererseits über die intrazellulär gebildete Doppelstrang-RNA im Zytoplasma mustererkennende Rezeptoren wie RIG-1 oder MDA-5. Da beide Signalwege eine Interferon-Antwort erzeugen, die letztlich zum Translationsstopp in der Zelle führen kann, ist es fraglich, ob dieses Konzept in der Praxis wirklich aufgeht. Die laufenden Studien mit ARCT-021 und LNP-nCoVsaRNA werden das möglicherweise beantworten.
Die Idee, mRNA nach der intramuskulären Injektion zur Produktion von Proteinantigenen zu nutzen, ist eigentlich nicht neu. Sie wurde bereits vor 30 Jahren erstmals vorgeschlagen (12). Mittlerweile ist die Technologie durch Optimierung von mRNA-Sequenzen und Trägersystemen so weit fortgeschritten, dass über die klinische Anwendung in verschiedenen Bereichen nachgedacht wird.
Neben der Ausweitung der Impfstoffstrategie auf andere Pathogene wie HIV-1, Cytomegalo-, Influenza-, Tollwut- oder Zika-Viren ist auch der Einsatz von mRNA-Lipidnanopartikeln zur In-vivo-Produktion von Antikörpern durch die Leber interessant. Solche Antikörper können beispielsweise als Antitoxine gegen bakterielle Exotoxine oder Schlangengifte, zur passiven Immunisierung gegen Infektionskrankheiten oder als Ersatz für extern applizierte Antikörper mit antitumoraler Aktivität wie Rituximab eingesetzt werden.
Viele Untersuchungen beschäftigen sich mit der Frage, ob mRNA als Anti-Tumor-Impfstoff eingesetzt werden kann. Eine Strategie: die Isolierung von dendritischen Zellen (DC) von Tumorpatienten, die dann ex vivo mit mRNA transfiziert werden, die für tumorspezifische Antigene codieren. Die transfizierten DC werden dann dem Patienten reinfundiert und können eine tumorspezifische Immunreaktion anregen. Klinische Studien zur therapeutischen Vakzinierung mit mRNA-basierten Impfstoffen laufen derzeit bei zahlreichen Tumorerkrankungen (1, 13-15).
Die beobachteten Nebenwirkungen der beiden neu zugelassenen mRNA-basierten Covid-19-Impfstoffe waren leicht bis mittelschwer und in der Regel nach wenigen Tagen wieder verschwunden. Sie sind allem Anschein nach der hohen Reaktogenität von mRNA geschuldet, die vermutlich zu der ausgesprochen guten Wirksamkeit beiträgt. Die nach den ersten Impfungen mit Comirnaty® vereinzelt berichteten allergischen Reaktionen scheinen sehr seltene Ereignisse zu sein. In einer Analyse der US-amerikanischen CDC wurde nach der Verimpfung von 1.893.360 Dosen in 103 Fällen eine allergische Reaktion diagnostiziert. Das entspricht 0,005 Prozent der Impfungen. Von diesen Fällen entsprachen 21 den Kriterien einer Anaphylaxie, die anderen waren nicht schwerwiegende Symptome wie Hautausschlag oder Juckreiz (16).
Auch bei älteren Menschen scheinen mRNA-Impfstoffe hoch wirksam gegen Covid-19 zu sein. Noch nicht so klar ist, ob durch flächendeckende Impfung auch Infektionsketten durchbrochen werden können.
Die neuen mRNA-basierten Impfstoffe wurden innerhalb nur eines Jahres bis zur Zulassung entwickelt. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind sie als sicher einzuschätzen – so sicher wie andere zugelassene Impfstoffe. Es gibt aus pharmazeutischer und/oder wissenschaftlicher Sicht keinen Grund, dies anzuzweifeln. Die Zulassungsverfahren wurden aus gutem Grund stark beschleunigt, waren aber deshalb nicht weniger von kritischer Bewertung begleitet. Klar ist schon jetzt, dass unter dem Druck der Pandemie ein neuer Impfstofftyp etabliert wurde, der zum Standard für die Entwicklung von Impfstoffen bei anderen Infektionskrankheiten werden könnte.
Thomas Winckler studierte Biologie an der Universität Konstanz und wurde 1991 dort promoviert. Nach Tätigkeit als Postdoktorand am Institut Pasteur Paris war er bis 2002 als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Assistent und Oberassistent am Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt tätig. 2000 habilitierte er sich im Fach Pharmazeutische Biologie und ist seit 2005 Professor für Pharmazeutische Biologie an der Universität Jena.