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Covid-19

Der ganze Körper ist betroffen

Ausbruch aus dem Respirationstrakt

Eine besonders problematische Eigenschaft von SARS-CoV-2 ist, dass es den Respirationstrakt verlassen und auch andere Organsysteme befallen kann. Auf welche Weise das geschieht, ist momentan noch nicht geklärt. »Wie SARS-CoV-2 in verschiedene Organe außerhalb des Respirationstrakts kommt, kann aktuell nur spekuliert werden«, sagte Professor Dr. Holger Rabenau vom Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main der PZ. Ungeklärt sei auch die Frage, welche Patienten von einer solchen Virusdissemination betroffen seien: nur schwer erkrankte (was zu vermuten sei) oder auch solche mit milden Symptomen beziehungsweise asymptomatische Patienten?

»Die Virusausbreitung auf Organe außerhalb des Respirationstrakts könnte entweder über eine kurze virämische Phase erfolgen, die sicherlich längst nicht bei allen Patienten auftritt, oder gegebenenfalls über den Gastrointestinaltrakt«, vermutet Rabenau. Dorthin kann der Erreger etwa über geschlucktes Sekret aus dem Nasen-Rachenraum gelangen. Da das Virus im Stuhl nachweisbar sei und gastrointestinale Störungen als klinisches Symptom beschrieben seien, sei eine Ausbreitung über das Darmlumen in andere Organbereiche denkbar, so Rabenau.

Gastrointestinale Störungen können in der Tat vorkommen – und Ärzte und Patienten gleichermaßen verwirren. Im »American Journal of Gastroenterology« berichten Ärzte von einer 71-jährigen Frau aus Michigan, die von einer Nilkreuzfahrt in Ägypten mit Durchfall, Erbrechen und Bauchschmerzen zurückkehrte (DOI: 10.14309/ajg.0000000000000667). Die Ärzte vermuteten zunächst einen klassischen Fall von Reisediarrhö, doch eine intravenöse Therapie mit mehreren Antibiotika zeigte keinen Erfolg und auch die Tests auf diverse Durchfallerreger waren negativ. Erst als die Patientin zusätzlich Husten entwickelte und erfuhr, dass einer ihrer Mitreisenden sich mit SARS-CoV-2 infiziert hatte, wurde sie auf das Coronavirus getestet – positiv. Der Husten hatte bei der Frau erst neun Tage nach Beginn der gastrointestinalen Symptome eingesetzt.

Dass SARS-CoV-2 bei einer nennenswerten Anzahl von Patienten Übelkeit, Erbrechen und Durchfall verursacht, unterscheidet den Erreger von den eng verwandten Coronaviren SARS- und MERS-CoV (»Journal of Autoimmunity«, DOI: 10.1016/j.jaut.2020.102433). Über die Häufigkeit gastrointestinaler Symptome gibt es unterschiedliche Angaben. Das Robert-Koch-Institut (RKI) listet sie in seinem Erregersteckbrief ohne Häufigkeitsangabe unter »weitere Symptome«. In Studien reichte die Spanne von 11 bis 61 Prozent betroffener Patienten, wobei mehr als ein Viertel (28 Prozent) keine respiratorischen Symptome hatte (»Gut«, DOI: 10.1136/gutjnl-2020-321195). Bei diesen Patienten ist die Gefahr besonders groß, dass sie zunächst nicht auf SARS-CoV-2 getestet werden, weil kein Verdacht auf Covid-19 besteht – wie bei der Reiserückkehrerin aus dem Fallbeispiel.

Zellen des Dünn- und Dickdarms können mit SARS-CoV-2 infiziert sein, denn sie exprimieren ACE2-Rezeptoren und TMPRSS2. Mittlerweile ist nachgewiesen, dass das Coronavirus Darmzellen befällt und dort auch repliziert (»Science«, DOI: 10.1126/science.abc1669). Das bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass Covid-19-Patienten infektiöses SARS-CoV-2 mit dem Stuhl ausscheiden.

In Stuhlproben kann zwar häufig Virus-RNA nachgewiesen werden, doch kein infektiöses Virus. Das betonte der Virologe Professor Dr. Christian Drosten von der Berliner Charité am 10. März im Podcast auf »NDR Info«. Er bezog sich dabei auf eine Untersuchung von neun der ersten deutschen Covid-19-Patienten in München, an der er selbst beteiligt war (»MedRxiv«, DOI: 10.1101/2020.03.05.20030502). Aus den Stuhlproben der Patienten habe man, anders als aus Sputum oder Nasen-Rachen-Abstrichen, in Zellkultur kein lebendes, infektiöses Virus isolieren können. Er gehe davon aus, dass die Verdauungssäfte das Virus abtöten, so Drosten.

In Blutproben war SARS-CoV-2 dagegen in der Studie nicht nachweisbar. Laut Dr. Victor Corman, einer von Drostens Mitarbeitern im Konsiliarlaboratorium für Coronaviren an der Charité, repliziert das Virus im Blut nicht. Bei Patienten mit sehr hoher Viruslast sei es vereinzelt über eine Leckage in der Lunge zu einem Übertritt ins Blut gekommen, sagte Corman Anfang März bei einer Ärztefortbildung in Berlin. In diesen Fällen sei im Blut aber nur sehr wenig Virus-RNA nachweisbar gewesen.

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