Dauermedikation prüfen und anpassen |
Die pharmakodynamischen Prozesse, die das Ansprechen des Körpers auf den Arzneistoff bestimmen, sind abhängig von der Rezeptorzahl und -affinität, der Signaltransduktion und der zellulären Antwort. Die Veränderungen und das Wechselspiel dieser Größen im Alter sind komplex und insgesamt weniger gut untersucht als die pharmakokinetischen Phänomene.
Gut beschrieben ist der Einfluss des Alterns auf die Muskarin- und Opioid-Rezeptoren des Gehirns und die Beta-Rezeptoren des Herzens sowie die mit den entsprechenden Arzneistoffgruppen assoziierten Effekte (13, 16, 17). Beispielsweise sinken die Dichte und Affinität von muskarinischen Acetylcholin-Rezeptoren. In der Folge nimmt die Gedächtnisleistung ab und die Empfindlichkeit gegenüber Anticholinergika zu. Damit steigt die Gefahr von anticholinergen Nebenwirkungen wie Harnverhalt, Obstipation, Sehstörungen und Delir. Zu beachten ist die erhöhte cholinerge Empfindlichkeit älterer Menschen bei Gabe von H1-Antihistaminika wie Diphenhydramin, Dimenhydrinat und Doxylamin, von Opioiden, Benzodiazepinen und Psychopharmaka wie Amitriptylin, Imipramin und Clozapin.
Bei Gabe von Opioiden ist zu beachten, dass Rezeptordichte und -affinität im Senium variieren. Daher sollte man die Therapie mit geringeren Opioid-Dosen beginnen und langsam steigern. Da Morphin mit Morphin-6-glucuronid einen aktiven Metaboliten hat, der kumulieren kann, ist ein alternatives Opioid günstiger.
Wahrscheinlich sinkt die Signaltransduktion von Betarezeptoren im Alter. Daher wirken Betablocker schwächer, das heißt, dass der Effekt auf Herzfrequenz und Schlagvolumen abnimmt.
Aufgrund der Vulnerabilität des alternden Menschen ist es in potenziell destabilisierenden Situationen wie einer Operation sinnvoll, ein altersspezifisches und fächerübergreifendes Behandlungskonzept zu entwickeln. Die Gerontoanästhesiologie macht sich genau dies zur Aufgabe und erforscht auch, wie sich die Einbindung eines klinisch geschulten Apothekers auf den geriatrischen Patienten im Vergleich zur Standardbehandlung auswirkt. Die präoperative Optimierung der Medikation und das Medikationsmanagement bei Polypharmazie im Alter sind wichtige Bausteine, damit Menschen länger ohne medikationsbedingte Beeinträchtigung leben.
Kirsten Dahse studierte Pharmazie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und fertigte dort auch ihre Diplomarbeit und Promotion an. Sie ist Fachapothekerin für Klinische Pharmazie sowie Antibiotic-Stewardship-Expertin (Deutsche Gesellschaft für Infektiologie). Von 2012 bis 2019 arbeitete sie als Stationsapothekerin in Kliniken, die von der Johannes-Apotheke Gröbenzell versorgt werden. Seit 2017 leitete Dr. Dahse die Abteilung für klinisch-pharmazeutische Dienstleistungen der Johannes-Apotheke. Seit 2019 ist sie als Apothekerin in der Frühlingsapotheke in Dachau tätig.
Rainer Kiefmann studierte Humanmedizin an der LMU München, wurde 1996 dort promoviert und arbeitete bis 2004 in der Anästhesiologie am Klinikum der Universität München. Als Facharzt für Anästhesiologie und lntensivmedizin und DFG-Stipendiat forschte er zwei Jahre am Lung Biology Laboratory, Columbia University, New York, USA. 2010 habilitierte er sich und erhielt die Venia legendi an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg. Er war viele Jahre als Oberarzt an der Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), tätig. 2013 erhielt er die Professur für Gerontoanästhesiologie am UKE. Seit 2018 ist Kiefmann als Chefarzt der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Rotkreuzklinikum München tätig.