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Hochbetagt zur Operation

Dauermedikation prüfen und anpassen

Immer öfter müssen sich geriatrische Patienten operativen Eingriffen unterziehen. Um Arzneimittelinteraktionen und unerwünschte Wirkungen zu vermeiden, ist die möglichst interdisziplinäre Beurteilung der Medikation vor einer geplanten Operation unerlässlich.
Kirsten Dahse
Rainer Kiefmann
22.10.2020  11:00 Uhr

Mit dem demografischen Wandel in der Bundesrepublik und der zunehmenden Lebenserwartung steigt das Durchschnittsalter der Patienten, die im Krankenhaus operiert werden müssen, kontinuierlich an (1). 27 Millionen Menschen in Deutschland sind über 60 Jahre alt; aus dieser Bevölkerungsgruppe musste sich 2014 statistisch beinahe jeder Achte einer Operation mit vollstationärer Aufnahme unterziehen (2).

Ältere und alte Patienten sind aufgrund ihrer körperlichen, psychischen und kognitiven Verfassung besonderen perioperativen Risiken ausgesetzt. Im Vergleich zu Jüngeren kommt es häufiger zu perioperativen Komplikationen, postoperativer Multimorbidität und bleibenden physiologischen Funktionseinschränkungen (3–5). Zu den besonderen Risikofaktoren des Alters zählen bestehende Gebrechlichkeit, Mangelernährung, schlechter funktioneller Status sowie Vorschädigungen von Organen wie Lunge, Herz, Nieren, Gehirn und Nervensystem (6–9).

Zu den häufigsten Komplikationen bei älteren Patienten nach einer Operation zählen das postoperative Delir (POD) und/oder ein postoperatives kognitives Defizit (POCD). Diese sind vor allem deshalb so relevant, weil sie mit einer höheren postoperativen Morbidität und Mortalität assoziiert sind (10, 11) und zum Verlust der Selbstständigkeit oder gar zur Pflegebedürftigkeit nach der Entlassung führen können.

Was ist Gerontoanästhesiologie?

Ziel des relativ neuen Zweigs der Gerontoanästhesiologie ist es, die perioperativen Komplikationen bei älteren Patienten zu senken, deren funktionellen Status zu verbessern und damit die Selbstständigkeit zu erhalten beziehungsweise die postoperative Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Dafür wurden altersspezifische Behandlungskonzepte entwickelt, die die gesamte perioperative Phase umfassen.

Ein zentraler Punkt ist die Polypharmazie. Aufgrund der häufig bestehenden Multimorbidität und der physiologischen Veränderungen, die auch Pharmakokinetik und -dynamik erfassen, ist eine unpassende Medikation für viele perioperative Komplikationen bei Älteren verantwortlich. Multimedikation und vor allem die Einnahme von zentral wirksamen Medikamenten scheinen mit der Entstehung oder Verschlimmerung von POD und/oder POCD assoziiert zu sein (9). Ein wichtiges Ziel ist daher, durch eine Optimierung der Dauermedikation vor der Operation die Arzneimittel-assoziierte Komplikationsrate zu senken und damit den postoperativen Verlauf positiv zu beeinflussen.

Bei der präoperativen Evaluation aller Patienten kann der Anästhesiologe diese auch einem Apotheker vorstellen. Aktuell wird in der PHAROS-Studie (Pharmazeutisches Management von älteren Risikopatienten im perioperativen Setting) untersucht, wie sich die Optimierung der Dauermedikation und die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten, Pflegekräften und Klinikapothekern auf die Qualität der Patientenversorgung auswirkt. Darüber hinaus soll das Management an den Schnittstellen ambulant-stationär-ambulant verbessert werden, um Medikationsfehler zu vermeiden und die Arzneimitteltherapiesicherheit älterer Risikopatienten zu erhöhen.

Dabei geht es nicht nur um eine kurzfristige Anpassung der Medikation in der perioperativen Phase, sondern um eine langfristige Optimierung über den Krankenhausaufenthalt hinaus unter Berücksichtigung der besonderen Pharmakokinetik und Pharmakodynamik des Alters. Die Optimierung der Dauermedikation verfolgt vor allem zwei Ziele:

  • die Arzneimittel-assoziierten Komplikationen reduzieren und
  • den Einsatz von potenziell inadäquater Medikation (PIM) vermeiden.

In der Regel gibt es für PIM eine sicherere Alternative. Um eine inadäquate Medikation zu identifizieren, wurde eine Reihe von Klassifikationssystemen entwickelt wie PRISCUS-Liste, STOPP- und FORTA-Einteilung. Zudem wurde im Rahmen der Europäischen Harmonisierung die EU-PIM-Liste publiziert (12). Auch sind moderne, mit einem Entscheidungsunterstützungsmodul (CPOE-CDSS) ausgerüstete Systeme zur ärztlichen Verordnung von Arzneimitteln etabliert.

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