Pharmazeutische Zeitung online
Patienten mit Infektionen

Apotheker in der Verantwortung

11.02.2013  12:06 Uhr

Von Miriam und Christian Ude, Darmstadt / Das pharma­zeutische Personal in der Apotheke hat den Auftrag, den Patienten über seine Therapie, mögliche Risiken und Neben­wirkungen zu informieren. Auch Zusatzinformationen, zum Beispiel Einnahmehinweise, sind wichtig. Wie Pharma­zeutische Betreuung bei Patienten mit Infektionen gelingen kann, stellt der Titelbeitrag an Beispielen dar.

In der modernen Pharmazie fallen Begriffe wie »Beratung« und »Pharmazeutische Betreuung« in zahlreichen Zusammenhängen. Eine klare Definition und Abgrenzung wird aber nur selten hinterfragt oder ausgesprochen. Basis für eine fundierte Betrachtung stellen die Definitionen zur Pharmazeutischen Betreuung von Hepler und Strand von 1990 und 1997 dar.

 

Die Pharmazeutische Betreuung ist die konsequente Wahrnehmung der Mitverantwortung des Apothekers bei der Arzneimitteltherapie mit dem Ziel, konkrete therapeutische Ergebnisse zu erreichen, die geeignet sind, die Lebensqualität des Patienten zu verbessern (Hepler, Strand 1990).

Pharmazeutische Betreuung ist eine Arbeitsmethode in der Apothekenpraxis, bei der der Apotheker Verantwortung für die arzneimittelbezogenen Probleme und Bedürfnisse des Patienten übernimmt und sich für die Erarbeitung und Durchführung von Lösungen verantwortlich fühlt (Strand 1997).

 

Nach diesen Definitionen wird dem Apotheker Verantwortung für das Gelingen einer Pharmakotherapie und das Erreichen von Therapiezielen übertragen. Zudem wird er in die Pflicht genommen, bei entsprechender Notwendigkeit Lösungsansätze zu erarbeiten und anzubieten. Die Apotheke begleitet und unterstützt die Arznei­therapie im Idealfall über längere Zeit und beschränkt sich nicht auf eine einzel­ne Beratungs­situation. Optimierung einer Arz­nei­therapie, Erkennen von Arz­nei­mittel­problemen und -interaktionen sowie Therapieänderung in Absprache mit dem Arzt gehören ebenso zur Pharmazeutischen Betreuung wie die Über­prüfung der Therapietreue (Compliance/Adhärenz). Eine nachhaltige Betreuung umfasst das Erkennen und Beurteilen von Wechsel- und Nebenwirkungen, die Information zu korrekten Einnahmezeitpunkten und das Erkennen und Lösen von arzneimittelbezogenen Problemen.

Gerade bei einer antiinfektiven Thera­pie sind die genannten Aspekte enorm wichtig. Durch eine fundierte Betreuung steigt die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Einnahme und einer optimierten Therapie wesentlich. Jeder korrekte Umgang, zum Beispiel mit Antibiotika und antiviralen Arzneistoffen, wiederum hilft, eine fortschreitende Resistenzbildung zu verhindern. So kann das Apothekenteam dabei mitwirken, die in der Deutschen Antibiotika Resistenzstrategie (DART) festgehaltenen Informationslücken zu schließen und die daraus folgende falsche Einnahme zu verhindern.

 

Antiinfektive Therapien umfassen viele verschiedene Varianten im Apothekenalltag. Neben den klassischen verschreibungspflichtigen Antiinfektiva wie Antibiotika oder antiretroviralen Medikamenten kommen Antiinfektiva auch im OTC-Bereich (over the counter) vor, zum Beispiel nicht-rezeptpflichtige Lokalantibiotika, Hals- und Rachen­therapeutika oder Antiseptika in der Wundversorgung. Praktisches Beispiel: Wendet der Patient ein Fusafungin-Hals- oder -Nasenspray falsch an, kann es völlig wirkungslos bleiben, da der Zerstäuber keinen Wirkstoff abgibt, wenn er nicht korrekt gehalten wird. Dies muss das Apothekenteam dem Patien­ten erklären.

 

Fallbeispiel Harnwegsinfekt

 

Eine Frau, 56 Jahre alt, hat vom Arzt die Diagnose Harnwegsinfekt erhalten. Sie berichtet in der Apotheke, dass ihr Arzt um Unterstützung bei der Auswahl eines adäquaten Antibiotikums bitte. Die Apothekerin fragt sie, warum der Arzt dies veranlasst habe und ob irgendwelche Grunderkrankungen vorliegen. Die Patientin verneint dies und weist auf umfangreiche Antibiotika-Unverträglichkeiten hin, die vorwiegend Penicilline und Tetracycline beinhalten. Was sind die nächsten Schritte der Pharmazeutischen Betreuung?

 

Zugegeben: Diese Situation ist ungewöhnlich und birgt viele Einflussmöglichkeiten für die Apotheke. Für den Einstieg in das Beratungsgespräch ist ein hohes Maß an kommunikativen Fähig­keiten erforderlich, wobei Diskretion, Verständnis und selbstbewusstes fachkompetentes Auftreten enorm wichtig sind. Durch präzise Gesprächsführung mit offenen Fragen muss die Gesamtsituation der Patientin geklärt werden. Beispielsweise kann die Apothekerin fragen:

 

Welchen Grund hatte Ihr Arzt, Sie zu uns zu schicken und nicht direkt ein Rezept auszustellen?

Haben Sie weitere Unverträglich­keiten?

Welche Grunderkrankungen haben Sie? Nehmen Sie regelmäßig weitere Medikamente ein?

 

Ferner muss die Apothekerin klären, wie eine leitliniengerechte Therapie für die Patientin mit einer Harnwegsinfektion aussieht und welches Antibiotikum unter Berücksichtigung der Leitlinie und der individuellen Unverträglichkeiten empfohlen werden kann. Zusätzlich geht es um potenzielle Kreuzallergien.

 

Nach einer Literaturrecherche liegt der Apothekerin die S3-Leitlinie »Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management unkomplizierter bakterieller ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten« vor. Eine S3-Leitlinie beschreibt den höchsten Evidenzgrad (Tabelle 1). Bei der Auswahl eines Antibiotikums werden laut Leitlinie auch das individuelle Risiko des Patienten, das Erregerspektrum und die Antibiotika-Empfindlichkeit, aber auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Auswirkungen auf die individuelle Resistenzsituation beim Patienten berücksichtigt. Im konkreten Fall ist ein zusätzliches, spezielles Kriterium durch die persönlichen Unverträglichkeiten von Penicillinen und Tetracyclinen gegeben.

Tabelle 1: AWMF-Klassifizierung des Entwicklungsstands von Leitlinien (7)

Entwicklungsstand Leitlinie repräsentativ Systemische Evidenzbasierung Strukturierte Konsensfindung
S1 (Handlungsempfehlungen von Experten) nein nein nein
S2e (Evidenzbasierte Leitlinie) nein ja nein
S2k (Konsensbasierte Leitlinie) ja nein ja
S3 (Evidenz- und Konsens­basierte Leitlinie) ja ja ja

Bereits bei einer unkomplizierten Zystitis sehen die Leitlinienautoren eine Antibiotikatherapie vor, da dann die Symptome schneller abklingen. Laut Leitlinie eignen sich Aminopenicilline in Kombination mit einem Betalaktamase-Inhibitor, Cephalosporine der Gruppe 2 und 3, Fluorchinolone, Fosfomycin-trometamol, Nitrofurantoin, Pivmecillinam (nur in Österreich verfügbar) sowie Trimethoprim oder Cotrimoxazol, wobei Fluorchinolone und Cephalosporine nicht mehr Mittel der ersten Wahl sind. Dies ist Fosfomycin-trometamol, was im konkreten Fall zu keinen Kreuzaller­gien führt.

 

Die Therapieoptimierung durch Umgang mit Therapieleitlinien ist ein Aspekt der Pharmazeutischen Betreuung und ermöglicht im Fallbeispiel, dass eine individuell abgestimmte und leit­linien­gerechte Therapie eingeleitet werden kann.

 

Beratung bei der Abgabe

 

Nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt verordnet dieser Fosfomycin. Das Apothekenteam gibt der Patientin alle arzneimittelrelevanten Informa­tionen zur Einnahme. Vor allem die Einmal­gabe des Antibiotikums muss erklärt werden, um Unsicherheiten auszuräumen (2). Die Mitarbeiter erklären der Patientin, dass sie den Beutel­inhalt in 150 bis 200 ml Wasser auf­lösen und zwei Stunden vor oder nach dem Essen einnehmen soll.

 

Bei Antibiotikatherapien, die sich über mehrere Einnahmezeitpunkte und -tage erstrecken, muss das Apothekenteam über wirksame Maßnahmen zur Therapietreue nachdenken. Ist beispielsweise Nitrofurantoin mit zweimal täglich 100 mg über fünf Tage in retardierter Form verordnet (ebenfalls eine Option gemäß Therapieleitlinie), sind Compliance-fördernde Maßnahmen wie Etikettierung oder Apps notwendig. Zudem muss unbedingt auf eine Einnahme des kompletten Packungs­inhalts hingewiesen werden (Tabelle 2).

Tabelle 2: Aspekte der Pharmazeutischen Betreuung bei antiinfektiver Therapie

Aspekte der Pharmazeutischen Betreuung Details Beispiele
Kommunikation verschiedene Fragetypen (offen, geschlossen): erzielen unterschiedliche Ergebnisse und Reaktionen Hat Ihnen Ihr Arzt die Einnahmedauer des Antibiotikums erklärt? Oder: Wie lange sollen Sie das verordnete Antibiotikum einnehmen?
Recherche Umgang mit Suchmaschinen www.pubmed.com, www.leitlinien.de, www.fachinfo.de, www.roteliste.de
Umgang mit Leitlinien Beurteilung des Evidenzgrads einer Pharmakotherapie Auswahl eines Antibiotikums bei Harnwegsinfekt; Beurteilung von Einnahmedauer und Dosierung von Phytopharmaka
Informationen zur Einnahme Zeitpunkt und Häufigkeit, Einnahmemodalitäten, Therapiedauer (cave: Rabattartikel), unerwünschte Arzneimittelwirkungen Dieses Antibiotikum wird nur einmal/ sieben Tage lang eingenommen! Bitte nehmen Sie das Antibiotikum vor dem Essen, das heißt mindestens 30 bis 60 Minuten vor der Mahlzeit ein. Es kann zu Magen-Darm-Problemen nach der Einnahme kommen. Bitte wenden Sie sich dann an uns.
Compliance-fördernde Maßnahmen Etikettierung, Apps (Applikationen für Smartphones), Tablettendosetten, Tabletten­wecker Dosierungsaufkleber, Tages- oder Wochen­dosetten, »Pilli«-App (siehe App-Store)
Interaktionen Erkennen und bewerten Gyrasehemmer und zweiwertige Kationen; Antibiotika und hormonelle Kontrazeptiva
Verbindung von verordneter Therapie mit Selbstmedikation Bewerten des Zusatznutzens für den Patienten Harnwegsinfekt: Phytopharmaka und Tees bei Antibiotikatherapie
Grenzen der Selbstmedikation Erkennen und Aufzeigen von Lösungen Starke, lang anhaltende Symptome; besondere Patientengruppen: Kinder, ältere Menschen, Schwangere

Vorsicht ist geboten, wenn aufgrund der Rabattverträge leicht veränderte Packungsgrößen als vermeintlicher Rabattartikel abzugeben sind. Liegt die vorgeschriebene Menge über der verordneten, muss der Apotheker die genaue Einnahmedauer am besten schriftlich auf der Packung notieren. Liegt die Packungsgröße des Rabattarzneimittels unter der vom Arzt verordneten Menge, müssen mittels Sonder-Pharmazentralnummer pharmazeutische Bedenken geltend gemacht werden. Die Nichtabgabe eines rabattierten Präparats wird auf dem Rezept begründet, zum Beispiel mit dem Hinweis »Therapiedauer«. Die Therapiedauer ist für eine Antibiotikatherapie sehr wichtig und muss eingehalten werden.

 

Wechselwirkungen und UAW erklären

 

Im Patientenfall sind Wechselwirkungen nur mit motilitätssteigernden Arznei­mitteln, zum Beispiel Metoclo­pramid, zu erwarten. Dieses kann die Wirkung von Fosfomycin vermindern.

 

Interaktionen sind bei einer antiinfektiven Therapie jedoch häufig. Zum Beispiel kommt es bei der Einnahme von Gyrasehemmern zu Interaktionen mit zweiwertigen Kationen aus der Nahrung; die Bedeutung dieser pharmakokinetischen Fakten ist dem Patienten zu erklären. Krumm und Mitarbeiter haben ein einprägsames System zu Interaktionen von Arznei- und Nahrungsmitteln entwickelt (1). Die leicht zu verstehenden Symbole werden als Aufkleber auf die Arzneimittelschachtel aufgebracht. Die Pharmazeutische Betreuung erfordert die Bewertung einer Interaktion, zum Beispiel die kli­nische Relevanz der Wechselwirkung zwischen Ciprofloxacin und zweiwertigen Kationen, und das Können, dieses Wissen laienverständlich dem Kunden mitzuteilen (Tabelle 2).

 

Nicht vergessen: die Wechselwirkung zwischen zahlreichen Antibiotika und einer hormonellen Verhütung. Fragt eine Patientin im gebärfähigen Alter nicht aktiv danach, sollte das pharmazeutische Personal sie informieren.

 

Ein nicht zu unterschätzender Aspekt im Patientengespräch ist der aktive Umgang mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW). Keinesfalls dürfen dem Kunden wichtige, potenziell auftretende UAW vorenthalten werden. Andererseits wäre es fatal, wenn der Hinweis auf ein häufiges Auftreten von Kopfschmerzen, Schwindel und Asthenie nach Einnahme von Fosfomycin den Patienten so verunsichert, dass er die Einnahme aus Angst unterlässt. Immer gilt: Informationen sind wichtig, aber sie dürfen die Therapietreue nicht gefährden. Besonders bedeutend ist dies bei gastrointestinalen Nebenwirkungen. Da diese großen Leidensdruck verursachen können, ist die Angst davor weitverbreitet und groß. In der Betreuung muss es gelingen, diese Nebenwirkungen zu thematisieren, ohne die Compliance zu gefährden.

 

Zusatzempfehlungen prüfen

 

Nach umfassender Besprechung der Antibiotika-Therapie mit der Fallbeispiel-Kundin wird die Apothekerin überlegen, ob und in welcher Form eine Zusatzempfehlung einen Therapie­nutzen bringt. Es gilt, die vom Arzt verschriebene Therapie mit den Möglichkeiten der Selbstmedikation zu ver­binden (Tabelle 2). Im konkreten Fall bedeutet dies, auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr hinzuweisen, beispielsweise durch Tees oder Säfte wie Cranberry-Saft. Außerdem stehen diverse Phytopharmaka zur Verfügung, die sich auch in Kombination mit einer Anti­biotikatherapie eignen. Hierbei ist die Fachkenntnis über Wirksamkeit und Indika­tionen wichtig.

 

Die Studienlage ist – wie in vielen anderen Indikationen – für Phytopharmaka sehr unterschiedlich (2). Bei Harnwegsinfekten werden am häufigsten Präparate auf Basis von Bärentraubenblättern eingesetzt. Dabei ist eine ausreichend hohe Dosierung anzuraten (Kommission-E-Monographie und aktuelle Studiendaten beachten). Letztlich kann die Apothekerin der Frau noch nicht-medikamentösen Rat geben:

 

Trinken Sie täglich mindestens zwei Liter Flüssigkeit. Das spült Blase und Harnleiter durch.

Entleeren Sie die Blase regelmäßig und möglichst vollständig. Nach dem Geschlechtsverkehr zeitnah die Blase entleeren.

Wärme entspannt.

Genital- und Analregion immer von vorne nach hinten reinigen, um Schmierinfektionen zu verhindern.

 

Dieses Fallbeispiel zeigt deutlich auf, wie das Apothekenteam auf der Basis seiner Fachkenntnis patientenrelevant beraten kann (Tabelle 3).

Tabelle 3: Beispiele für die Übertragung von pharmazeutischen Fakten in die Pharmazeutische Betreuung

Fachliche Begründung Hinweis an den Kunden
Interaktion zwischen Antibiotikum und zweiwertigen Kationen Bitte nehmen Sie das Arzneimittel nicht mit Milch oder Mineralstoff­präparaten ein.
Wirkungsverminderung einer hormonellen Kontrazeption aufgrund Enzym­wechsel­wirkungen beziehungsweise Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs Bitte beachten Sie, dass die Sicherheit Ihrer Verhütung durch die Einnahme des Antibiotikums eingeschränkt sein kann. Wenn Sie ganz sichergehen wollen, verhüten Sie bitte zusätzlich.
Wirkstoff ist mit Nahrungsbestandteilen besser bioverfügbar Nehmen Sie das Antibiotikum während oder nach dem Essen.
Selektion von resistenten Keimen durch falsche Anwendungs­dauer eines Antibiotikums Halten Sie die vom Arzt vorgesehene Anwendungsdauer ein. Nehmen Sie alle Tabletten dieser Packung ein, auch wenn es Ihnen schnell wieder besser geht.

Fallbeispiel »rotes Auge«

 

Eine Mutter kommt mit ihrer acht Jahre alten Tochter in die Apotheke. Das Mädchen klagt seit gestern über ein tränendes, stark gerötetes Auge. Die Mutter hat keinen Fremdkörper gefunden. Sie berichtet, dass sich der Zustand trotz Kamillentee-Spülungen über Nacht nicht gebessert habe. Nun wolle sie Augen­tropfen kaufen, »damit das rote Auge weggeht«. Wie ist vorzugehen?

 

Ein »rotes Auge« mit Juckreiz, eitrigen Verklebungen und vermehrtem Tränenfluss kann viele Ursachen haben. Eine Hyperämie und Dilatation der Gefäße, unter anderem der Bindehaut, sowie entzündliche, allergische, auto­immune oder exogene Gründe kommen infrage (3). Daher ist eine ausführliche Anamnese entscheidend. Folgende Fragen sind zu klären:

 

Haben Sie Schmerzen? Ist das Sehvermögen vermindert?

Ist ein Fremdkörper im Auge erkenn- oder spürbar?

Treten die Beschwerden saisonal gehäuft auf?

Sind Begleitbefunde wie vermehrtes Augensekret oder Allgemein­beschwerden erkennbar?

Ist das Auge lichtscheu oder juckt es?

 

Mutter und Kind verneinen alle Fragen, die auf Allergien (allergische Konjunktivitis) oder eine leichte Reizung hinweisen könnten. Daher muss der Wunsch der Mutter nach vasokonstriktorischen Augentropfen, die die Rötung im Auge rasch verschwinden lassen, abgelehnt werden. Durch die Vasokonstriktion wird das Auge schnell ausgetrocknet. Auf Kamillenauflagen sollte man aufgrund der allergisierenden Wirkung verzichten. Pharmazeutische Betreuung erzielt hier einen Mehrwert, da das pharmazeutische Personal die Grenzen einer Selbstmedikation erkennt und die Kundin an den Augenarzt verweist.

 

Infektion als Auslöser

 

Eine infektassoziierte Konjunktivitis ist einer der häufigsten Gründe für das Aufsuchen von Notfallambulanzen (3). Sie tritt fast immer akut auf und heilt meist vollständig aus. Erreger der Bindehautentzündung sind in abnehmender Häufigkeit Viren, Bakterien und Chlamydien. Letztere können zu einer chronischen Form des Infekts führen. Bei Kindern findet man andere Erreger als bei Erwachsenen (etwa 30 Prozent Haemophilus influenzae), was bei der Therapiewahl zu berücksichtigen ist.

 

Für die Diagnostik reicht die detaillierte Anamnese und Klinik meist aus, sodass eine Erregerdifferenzierung nicht zwingend notwendig ist. Ungefähr 95 Prozent der Konjunktivitiden sprechen auf eine empirische Therapie an (3). Es gibt allerdings Ausnahmen, die einen Direktausstrich und eine Kultur unbedingt erforderlich machen. Dazu zählen eine neonatale Konjunktivitis, hyper­purulente Infekte, membranöse und pseudomembranöse Konjunktivitis sowie epidemische (Kerato-)Konjunktivitis. Ebenso ist eine intensivere Diagnostik nötig bei immunsupprimierten Patienten und wenn sich der Befund nach sieben bis zehn Tagen empirischer Antibiotikagabe nicht bessert.

 

Die Differenzialdiagnose des »roten Auges« im Kindes- und Jugendalter wird aufgrund meist beidseitiger Entzündungen gestellt, wobei die Entzündung zuerst in einem, dann im anderen Auge auftreten kann. Ferner ist eine diffuse Rötung sichtbar. Häufig wird Sekret beobachtet. Eine Visusminderung tritt nicht auf.

 

Während der Geburt kann es bei Neugeborenen zu einer direkten Erregerinokulation kommen. Die neonatale Konjunktivitis gilt als ophthalmologischer Notfall. Sie wird durch Chlamydien, Herpesviren, Gonokokken sowie andere Bakterien und Viren verursacht. Immer sollte ein Abstrich gemacht werden.

 

Antiinfektiva am Auge

 

Die Therapie erfolgt je nach Erreger (Tabelle 4). Bei einer infekt­assoziierten Bindehautentzündung gelten Aminoglykoside, lokal appliziert, als Standard­antibiotika mit breitem Wirkspektrum (4). Ein weiteres Breitspektrum-Antibiotikum, das systemisch an Bedeutung verloren hat, aber noch lokal eingesetzt wird, ist Chlor­amphenicol. Jedoch ergab eine Untersuchung, dass eine Behandlung mit Chlor­amphenicol bei Kindern die Infektionszeit nicht verkürzte (5).

Relevanter geworden sind dagegen die Gyrasehemmer. Zur Behandlung der Konjunktivitis wird auch Azithromycin eingesetzt, ebenfalls beim Trachom. Die Applikation der Augentropfen erfolgt zweimal täglich für drei Tage. Bei gesicherter Chlamydien-Infektion werden systemisch 500 mg pro Tag für drei Tage gegeben (Leitlinie Nr. 12, Bakterielle Konjunktivitis, www.dog.org). Das Antiseptikum Bibrocathol ist rezeptfrei in Augensalben verfügbar. Bei der Anwendung von Augensalben ist der Patient grundsätzlich auf die kurzfristig verschleierte Sicht hinzuweisen. Dies ist zum Beispiel bei Autofahrern immens wichtig.

 

Keinesfalls sollte der Einsatz von Antiseptika am Auge über mehrere Tage in Eigenregie erfolgen. Bessern sich die Beschwerden nicht, ist unbedingt ein Augenarzt aufzusuchen. Dies gilt grundsätzlich bei Therapieversagen.

 

Handelt es sich bei den Erregern um Herpes-simplex-Viren, erfolgt die Therapie mit den entsprechenden Virustatika fünfmal täglich (Tabelle 4).

Tabelle 4: Antiinfektiv wirkende Ophthalmika; nach (4)

Erreger Therapeutika Beispiele (Konzentration in Prozent)
Bakterien Aminoglykoside Gentamicin (0,3 bis 0,5) Tobramycin (0,3) Kanamycin (0,5)
Chloramphenicol (1)
Gyrasehemmer Levofloxacin (0,5) Ofloxacin (0,3)
Tetracycline Chlortetracyclin (1)
Makrolide Azithromycin (1,5)
Antiseptikum Bibrocathol (2)
Desinfektion Povidon-Iod (1,25 bis 5)
Herpes-simplex-Viren Virustatika Aciclovir (3) Ganciclovir (0,15) Trifluridin (1)
Adeno- und Enteroviren symptomatisch: kalte Kompressen, Tränenersatzmittel, getönte Brille, Händehygiene

Im Fallbeispiel muss der beratende Apotheker gründlich abwägen, ob eine Selbstmedikation in irgendeiner Weise sinnvoll sein könnte oder kontraindiziert ist. Da hinter äußerlich sichtbaren Symptomen am Auge auch ernsthafte Erkrankungen stecken können und zahlreiche Auslöser einer Konjunktivitis infrage kommen, ist eine ophthalmologische Abklärung erforderlich. Der Augenarzt wird entscheiden, ob eine medikamentöse Therapie notwendig ist oder nicht.

 

Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) empfahl in einer Pressemeldung 2012, eine Bindehautentzündung nach Ermessen des Arztes zunächst ohne Antibiotika zu behandeln (6). Grund hierfür ist eine zunehmende Resistenzentwicklung der auslösenden Bakterien. In vielen Fällen seien Augenreiniger und Tränenersatzflüssigkeit ausreichend, so die DOG. In mehr als 60 Prozent aller Fälle heile die Konjunktivitis nach fünf Tagen von alleine aus. Sollte nach drei Tagen keine Verbesserung oder sogar eine Verschlechterung der Symptome auftreten, sei ein Augenarzt aufzusuchen. Für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr sei Azithromycin das Mittel der Wahl, während Erwachsene vorwiegend mit Gentamycin, Tobramycin oder Azithromycin behandelt werden sollten.

 

In der Pharmazeutischen Betreuung kann das Apothekenteam dem Patienten weitere Hinweise geben:

 

Nicht in den Augen reiben. Dies verstärkt die Symptome. Außerdem kann es bei bakteriellen oder viralen Infekten zur Übertragung von einem Auge in das andere kommen.

Tränenersatzflüssigkeit kann helfen, Fremdkörpergefühle und trockene Augen, die mit einer Konjunktivitis assoziiert sein können, zu ver­mindern.

Das Auge vor weiteren Reizungen durch eine Brille oder Sonnenbrille schützen.

Eine Konjunktivitis ist ansteckend. Hygieneregeln wie häufiges Händewaschen beachten.

Das Auge möglichst nicht berühren, Händeschütteln vermeiden.

Der gemeinsame Gebrauch von Augen­arzneimitteln innerhalb der Familie sollte unbedingt unterlassen werden.

 

Viele Aspekte zu beachten

 

Für beide Fallbeispiele und die Pharmazeutische Betreuung von Patienten mit antiinfektiver Therapie gilt grundsätzlich, dass möglichst auf Basis von fundiertem Fachwissen und wissenschaft­lichen Erkenntnissen ein laien­ver­ständ­licher Hinweis resultieren muss. Zahl­reiche unterschiedliche Einzel­aspekte sind für eine umfassende und nachhal­tige Betreuung zu beachten. Zudem dürfen die Grenzen der Selbstmedi­kation nicht überschritten werden.

 

Zusätzliche Ratschläge zu All­ge­meinmaß­nahmen runden ein phar­ma­zeu­tisches Betreuungskonzept ab. /

Literatur

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Krumm, L., Strohmeier, M., Volpp, L., Erkennung und Vermeidung von Interaktionen. PZ Prisma 19 (2012) 225-236.

Wolf, E., Zystitis: Infektionen im Keim ersticken. OTC-Spezial, Beilage zur PZ 15/2011.

Pleyer, U., Differenzialdiagnose bei Augenentzündungen – Gratwanderung zwischen Harmlos und Böse. Pädiatrie hautnah (2008) 372-377.

Mutschler, E., Arzneimittelwirkungen: Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 10. Aufl., Wiss. Verlagsges. Stuttgart 2013.

Rose, P. W., et al., Chloramphenicol treatment for acute infective conjunctivitis in children in primary care: a randomised double-blind placebo-controlled trial. Lancet 366 (2005) 37-43.

Pressemitteilung, Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) warnt vor Resistenzen: Bindehautentzündung zunächst ohne Antibiotika behandeln. www.dog.org/wp-content/uploads/2012/02/PM_DOG_Antibiotikaresistenzen-Juni-2012-Print-F.pdf

Hinneburg, I., Evidenzbasierte Medizin im Apothekenalltag. PZ Prisma 19 (2012) 143-148.

 

Die Autoren

Miriam Ude studierte Pharmazie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und erhielt 2006 die Approbation als Apothekerin. 2011 wurde sie an der Goethe-Universität in der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Walter E. Müller in Klinischer Pharmazie promoviert (in Kooperation mit dem Deutschen Arzneiprüfungsinstitut e. V. unter Leitung von Professor Dr. Martin Schulz). Seit 2011 ist sie Fach­apothekerin für Arzneimittelinforma­tion und Lehrbeauftragte am Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler an der Goethe-Universität. Zudem ist sie seit 2012 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Uniklinik Heidelberg im Arbeits­kreis von Professor Dr. Walter E. Haefeli (Pharmakoepidemiologie) tätig und arbeitet in der Stern-Apotheke, Darmstadt. Seit 2013 ist Dr. Ude Leitende Redakteurin von PZ Prisma, Govi-Verlag.

  

Christian Ude studierte ebenfalls Pharmazie an der Goethe-Universität und erhielt 2006 die Approbation als Apotheker. 2010 schloss er seine Promotion am Institut für Pharmazeutische Chemie der Goethe-Universität bei Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz im Bereich der Naturstoffanalytik ab. 2011 erhielt er die Anerkennung als Fachapotheker für Arzneimittelinformation und ist seitdem auch Lehrbeauftragter am Institut für Pharmazeutische Chemie der Goethe-Universität. Seit diesem Jahr ist Dr. Ude Inhaber der Stern-Apotheke, Darmstadt, und Mitglied der Redaktion von PZ Prisma, Govi-Verlag.

 

Dr. Miriam und Dr. Christian Ude, Stern-Apotheke Darmstadt, Frankfurter Straße 19, 64293 Darmstadt, E-Mail: c.ude(at)stern-apotheke-darmstadt.de, m.ude@stern-apotheke-darmstadt.de

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