Astra-Zeneca bevorzugt ab 60 Jahre |
Daniela Hüttemann |
30.03.2021 21:56 Uhr |
In Frankreich verimpfen auch Apothekerinnen und Apotheker den Covid-19-Impfstoff von Astra-Zeneca. Die EMA will sich nach Ostern erneut zum Sicherheitsprofil äußern. / Foto: Imago/IP3press
Nach der heute bekannt gewordenen neuen Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI) sollen nun nur noch Personen ab 60 Jahren mit dem Covid-19-Impfstoff von Astra-Zeneca geimpft werden. Nach einer Sondersitzung von Bund und Ländern beschlossen die Gesundheitsminister am Dienstagabend, der neuen STIKO-Empfehlung zu folgen. Einige Bundesländer, Kommunen und Kliniken hatten bereits am Montag und Dienstag Impfungen mit dem Impfstoff, der mittlerweile den Namen Vaxzevria trägt, für Unter-60-Jährige ausgesetzt. Die neue STIKO-Empfehlung soll nun bundesweit ab Mittwoch umgesetzt werden.
Es handle sich ohne Frage um einen Rückschlag, räumte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am späten Dienstagabend bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein. Die wechselnden Empfehlungen würden aber auch zeigen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen könnten, dass die neuen Impfstoffe akribisch überwacht und die Erkenntnisse transparent gemacht würden. »Vertrauen entsteht aus dem Wissen, dass jedem Verdacht, jedem Einzelfall nachgegangen wird«, betonte Merkel.
Das für Impfstoffsicherheit zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hat bestätigt, dass ihm bis zum Montag, den 29. März, 31 Fallmeldungen von Sinusvenenthrombosen oder VIPIT, wie das Erkrankungsbild nun genannt wird, vorliegen, davon neun mit tödlichem Ausgang. Diese speziellen Thrombosen traten vor allem bei Frauen jünger als 55 Jahre in zeitlichem Zusammenhang (4 bis 16 Tage) nach einer Impfung mit dem Vektorimpfstoff von Astra-Zeneca auf, aber in geringem Maß auch bei Männern unter 60. Der neuesten Einschätzung zufolge seien die Meldungen über Auffälligkeiten sehr selten, aber nicht zu ignorieren, so die Bundeskanzlerin.
Spahn betonte noch einmal, dass es sich bei der Astra-Zeneca-Vakzine um einen sehr wirksamen Impfstoff handle, gerade auch bei Älteren, wie zuletzt Daten aus Großbritannien gezeigt hatten. Für die Gruppe ab 60 soll es nun schneller mit der Impfung gehen, das heißt, für diesen Impfstoff wurde die Priorisierung bei den Über-60-Jährigen gelockert. Es sei wichtig, so Spahn, möglichst viele der Über-60-Jährigen in der dritten Infektionswelle zu impfen und so zu schützen. Deshalb sei es wichtig, dass auch der Impfstoff von Astra-Zeneca zügig genutzt werde. »Und es werden sich, da bin ich sehr, sehr sicher, hinreichend viele über 60-Jährige gerne schützen lassen mit diesem Impfstoff.«
Auch Bundeskanzlerin Merkel will das Angebot annehmen: »Wenn ich dran bin, lasse ich mich impfen, auch mit Astra-Zeneca.« Die Möglichkeit hierfür sei nun ein Stückchen näher gerückt. Dass verschiedene Impfstoffe zur Verfügung stünden, sei ein großes Glück.
Die neue Altersempfehlung gilt unabhängig vom Geschlecht. Das heißt aber nicht, dass dieser Impfstoff bei den Unter-60-Jährigen nun kontraindiziert ist. Laut STIKO können sich Unter-60-Jährige der Priorisierungsgruppen 1 und 2 weiterhin »nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse nach sorgfältiger Aufklärung« impfen lassen, und zwar beim Hausarzt. Dort ist die Verimpfung von Vaxzevria (AZD1222, ChAdOx1, »Covid-19 Vaccine AstraZeneca«) ab der Kalenderwoche 16 geplant.
Unklar ist noch, welchen Impfstoff die bereits einmal mit der Astra-Zeneca-Vakzine geimpften Unter-60-Jährigen als Zweitdosis erhalten sollen. Laut RKI-Pressemitteilung will die STIKO bis Ende April hierzu eine ergänzende Empfehlung abgeben. Die ersten Zweitimpfungen stünden ab Anfang Mai an; das derzeit empfohlene Intervall beträgt neun bis zwölf Wochen. In jedem Fall werde sichergestellt, dass alle Zugang »zu einem Impfschema mit in der EU zugelassenen Impfstoffen haben werden, um eine volle Schutzwirkung zu erreichen«, betonte Spahn.
Ob es zum sogenannten Mix & Match kommt, bei dem die Zweitimpfung mit einem anderen Impfstoff durchgeführt wird als die erste, bleibt abzuwarten. Hierfür liegen noch keine klinischen Daten vor, doch Untersuchungen laufen. Laut Spahn sind seit Impfstart mit Astra-Zeneca Anfang Februar rund 2,2 Millionen Unter-60-Jährige geimpft worden.
Die Bundesregierung hält an ihrem Vorhaben fest, allen erwachsenen Bürgerinnen und Bürgern bis Ende des Sommers ein Impfangebot machen zu wollen. Das gilt, sofern alle erwarteten Zulassungen erteilt werden und die Hersteller ihre Lieferzusagen einhalten. Für Kinder und Jugendliche liegt noch keine Zulassung vor.
Die Geschichte des Astra-Zeneca-Impfstoffs war von Anfang an eine wechselvolle. Mehrfach wurden die klinischen Studien gestoppt, so im September 2020 aufgrund einer transversen Myelitis bei einer Probandin in Großbritannien sowie eines Todesfalls in Brasilien im Oktober. Darüber hinaus wurde bekannt, dass bei einem Teil der Probanden versehentlich eine niedrigere als die geplante Dosis gegeben wurde, was sogar zu besseren Ergebnissen führte.
Die EU-Zulassung am 29. Januar 2021 erfolgte zwar für alle Erwachsenen ohne Altersbeschränkung, doch hatte die STIKO einen Tag zuvor schon entschieden, diese Vakzine aufgrund mangelnder Wirksamkeitsdaten bei den Über-65-Jährigen vorerst nur den Jüngeren zu empfehlen – was dazu führte, dass in Deutschland zunächst vor allem medizinisches und pflegerisches Personal sowie Lehr- und Kitakräfte geimpft wurden, alles weiblich dominierte Berufsgruppen. Daher ist auch immer noch nicht auszuschließen, dass hier ein entsprechender Bias vorliegt, also vor allem Frauen von den seltenen Nebenwirkungen betroffen sind, weil vor allem sie geimpft wurden.
Als die ersten Fälle von Sinusvenenthrombosen im In- und Ausland auffällig gehäuft auftraten, stoppte Deutschland vorerst am 15. März die Verimpfung dieser Vakzine. Es folgte eine Neubewertung des Nutzen-Risiko-Profils durch das PEI und den Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur am 18. März, die positiv ausfiel. Deutschland setzte daraufhin die Impfkampagne noch am selben Tag fort.
Heute hat sich die Empfehlung nun noch einmal um 180 Grad gedreht – und es sollen nur die Über-60-Jährigen mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff geimpft werden. Es bleibt spannend, denn kommende Woche tagt erneut der PRAC zu dem Thema.