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Cladribin (Mavenclad®) ist ein chloriertes Desoxyadenosin und wirkt als Nukleotid-Antimetabolit. Nach oraler Einnahme wird das Prodrug intrazellulär phosphoryliert und kann dann in die DNA-Synthese eingreifen oder in ruhenden Zellen auf verschiedenen Wegen den Zelltod induzieren. Diese Wirkung ist lang anhaltend und relativ Lymphozyten-spezifisch.
Pluspunkt für die Patienten: Die orale Medikation erleichtert die Adhärenz. / Foto: Adobe Stock/photo 5000
Zu Beginn der Therapie nimmt der Patient für vier bis fünf Tage täglich je nach Körpergewicht 10 oder 20 mg ein. Diese sogenannte orale Kurzzeittherapie wird nach vier Wochen wiederholt, wobei eine kumulative Dosis von 1,75 mg/kg Körpergewicht pro Jahr angestrebt wird. Damit endet die Therapie im ersten Behandlungsjahr. Im zweiten Behandlungsjahr erfolgt eine analoge Einnahme; die zwei folgenden Jahre gelten als behandlungsfrei und sollen für vier Jahre Schubfreiheit garantieren. Etwa 30 Prozent der Patienten sprechen nicht ausreichend an und müssen auf andere Therapeutika wechseln (12).
Die mit der Wirkung einhergehende Lymphopenie verursacht eine Immunsuppression und damit eine höhere Anfälligkeit für Infektionen. Aktive, insbesondere virale Infektionen stellen eine Kontraindikation dar. Der Wirkstoff wird als gut verträglich beschrieben; zwei und sechs Monate nach Therapiebeginn sollte eine Kontrolle der Lymphozytenzahl erfolgen.
Bei der Markteinführung 2011 war Fingolimod (Gilenya®) der erste oral wirksame Arzneistoff in der MS-Therapie. Mittlerweile gibt es drei Nachfolgepräparate, sogenannte »Imode« (Abbildung 3).
Abbildung 3: Struktureller Vergleich der Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-(S1PR-)Modulatoren, der sogenannten »Imode« / Foto: Bendas, Wurglics
Fingolimod wird metabolisch phosphoryliert und agiert als Phosphat strukturhomolog zum Lipidmediator Sphingosinphosphat an dessen Rezeptoren. Von den verschiedenen Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptoren (S1PR) ist im Kontext der MS-Therapie der Subtyp 1 auf Lymphozyten bedeutsam, denn dieser vermittelt deren Übergang aus den lymphatischen Organen in Entzündungsgebiete im ZNS. Fingolimod fungiert als funktioneller Antagonist an S1PR1, induziert dessen Downregulation und hemmt so den Lymphozytentransfer. Bereits nach der ersten Applikation (0,5 mg täglich) tritt eine drastische Reduktion zirkulierender Lymphozyten auf. Interessanterweise sind die peripheren Lymphozytenfunktionen (Memory- und Effektor-Funktion) deutlich weniger betroffen.
Fingolimod (4,9 Millionen DDD in Deutschland 2020) senkt die Schubrate um mehr als 50 Prozent. Allerdings ist bei dieser immunsuppressiven Therapie einiges zu beachten. Einerseits resultiert eine erhöhte Infektionsanfälligkeit der Patienten, unter anderem für virale Erreger. Aktive Infektionen wie Hepatitis oder Tuberkulose sind klare Kontraindikationen. Fingolimod kann durch Modulation der S1PR des Subtyps 3 auf Zellen des Reizleitungssystems des Herzens kardiale Funktionen, insbesondere zu Therapiebeginn beeinflussen, was eine EKG-Überwachung und Blutdruckkontrolle erfordert. Für Patienten mit kardialen Vorschädigungen ist das Medikament kontraindiziert, ebenso in Schwangerschaft und Stillzeit. Die Leberfunktion solle eng überwacht werden, hieß es in einem Rote-Hand-Brief 2020 (13). Hinsichtlich Arzneimittelwechselwirkungen ist eine Metabolisierung von Fingolimod durch CYP4F2 sowie potenzielle Interaktionen mit CYP3A4-Hemmern zu berücksichtigen.
Siponimod (Mayzent®) ist ein weiterentwickelter S1PR-Modulator, der Anfang 2020 als erste orale Therapieoption für Patienten mit sekundär progredienter Erkrankung (SPMS) eine Zulassung erhielt. Anders als bei Fingolimod wird hier die Modulation von sowohl Subtyp 1 als auch 5 des S1PR beschrieben. Siponimod wird dominant über CYP2C9 metabolisiert, was eine Genotypisierung der Patienten und gegebenenfalls Dosisanpassung erfordert. Hinsichtlich kardialer Nebenwirkungen, Leberfunktionskontrolle und Schwangerschaft gelten die bei Fingolimod getroffenen Erklärungen.
Die monoklonalen Antikörper gehören zu den wirksamsten MS-Therapeutika, müssen aber meist intravenös appliziert werden. / Foto: Getty Images/FG Trade
Ozanimod (Zeposia®) wurde als weiterer S1PR-Modulator im Juli 2020 für Erwachsene mit RRMS zugelassen. Für die orale Therapie (täglich 0,92 mg als Kapsel) wird die Dosis in den ersten acht Tagen wie auch bei Siponimod langsam auftitriert. Pharmakokinetische Wechselwirkungen sind mit CYP2C8-Induktoren sowie MAO-Hemmern zu beachten. Patienten sollten eine starke Exposition mit UV-Strahlung ausschließen und die genannten Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigen.
Ponesimod (Ponvory®) kam als neuer Vertreter dieser Verbindungsklasse im Juni 2021 für erwachsene RRMS-Patienten auf den Markt. Auch hier wird langsam aufdosiert, bevor an Tag 14 die Tagesdosis von 20 mg erreicht wird. Bei ansonsten vergleichbarem Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil unterscheidet sich Ponesimod leicht durch die etwas kürzere HWZ von etwa 33 Stunden.