Rx-Cannabis wohl auch zum Kiffen auf Rezept missbraucht |
Annette Rößler |
06.07.2022 14:52 Uhr |
Die Dosiergenauigkeit ist bei Fertigarzneimitteln höher als bei Cannabisblüten. / Foto: Adobe Stock/eight8
Als die Verordnung von Cannabisarzneimitteln außerhalb der Indikationen der wenigen verfügbaren Fertigarzneimittel 2017 legalisiert wurde, war das der Startschuss für eine Off-Label-Verwendung von Betäubungsmitteln in ungekanntem Ausmaß. Ärzte können Patienten, bei denen verfügbare Therapiealternativen erfolglos waren und die Aussicht auf Erfolg einer Cannabistherapie besteht, seitdem Cannabisblüten, -extrakte, Dronabinol, Nabilon (Canemes®) und Tetrahydrocannabinol (THC)/Cannabidiol (Sativex®) zulasten der Krankenversicherung verordnen.
Um eine Grundlage für die Entscheidung über die künftige Erstattungsfähigkeit von Cannabisarzneimitteln zu schaffen, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) fällen soll, wurde das BfArM mit einer fünfjährigen Begleiterhebung beauftragt. Deren Abschlussbericht liegt seit heute vor und ist auf der Website des BfArM abrufbar. Seine Aussagekraft wird allerdings durch einige Faktoren erheblich geschmälert, die das BfArM darin selbst auch klar benennt.
So konnten in der Begleiterhebung 16.809 Datensätze zu mit Cannabis behandelten Patienten berücksichtigt werden, die Ärzte zwischen April 2017 und März 2022 online eingegeben hatten. Das sei zwar eine »relevante Datenmenge«, so das BfArM. Da Ärzte jedoch gesetzlich dazu verpflichtet waren, an der Erhebung teilzunehmen, wäre eigentlich mit weitaus mehr Meldungen zu rechnen gewesen. Die Vorgabe durch den Gesetzgeber hatte gelautet, dass sowohl der Verordner als auch der Patient bei der Erfassung anonym bleiben sollten. Das scheint zwar mit Blick auf den Datenschutz sinnvoll, hatte aber auch zur Folge, dass Ärzte ganz einfach gar nicht melden konnten, ohne dass dies Konsequenzen nach sich zog.
Das BfArM beruft sich auf Zeitungsberichte, wonach die Gesetzlichen Krankenversicherungen bereits bis Ende 2020 mehr als 70.000 Therapien genehmigt hätten, und konstatiert: »Selbst bei sehr konservativer Betrachtung ist somit davon auszugehen, dass zu weit weniger als der Hälfte der Patientinnen und Patienten tatsächlich Daten in der Begleiterhebung vorliegen.«
Das BfArM vermutet, dass vor allem Hausärzte ihrer Meldepflicht nicht nachkamen. Denn die eingegangenen Meldungen stammten zu 52 Prozent von Anästhesisten, während Hausärzte nur 25 Prozent der Meldenden ausmachten. Laut Auswertungen von Krankenkassen – die die Therapien ja genehmigen mussten und somit alle Anträge erhielten – habe der Anteil der Anästhesisten an den Verordnungen jedoch lediglich zwischen 7 und 8 Prozent gelegen, der der Hausärzte dagegen zwischen 32 und 39 Prozent. »Die Meldungen in der Begleiterhebung stellen somit nicht die Versorgungsrealität dar«, heißt es dazu vom BfArM.
Auch davon, welche Patienten nicht gemeldet wurden, hat das Institut eine klare Vorstellung, die es gut begründet und die auch mit dem angenommenen Underreporting der Hausärzte zusammenhängt. Denn im Gegensatz zu den Anästhesisten, die vor allem Dronabinol verordneten, schrieben Hausärzte vermehrt Cannabisblüten auf das Rezept – und zwar überdurchschnittlich häufig für jüngere Männer und in extrem hoher Dosierung.
Dies werfe die Frage »nach Abgrenzung zwischen tatsächlich therapeutischen Effekten und erlebter Steigerung des Wohlbefindens bei hoher Abhängigkeitsgefahr auf«. Mehr oder weniger unverhohlen äußert das BfArM hier also die Vermutung, dass vor allem die von Hausärzten verordneten Cannabisblüten zum Kiffen auf Rezept genutzt wurden. Dies gelte es, »von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten stets im Blick zu halten, um Fehlentwicklungen vorzubeugen«.