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BfArM-Begleiterhebung
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Rx-Cannabis wohl auch zum Kiffen auf Rezept missbraucht

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat den Abschlussbericht der Begleiterhebung zur Verwendung von Cannabis auf Rezept veröffentlicht. Der Bericht ist spannend – noch spannender ist aber das, was nicht darin steht.
AutorKontaktAnnette Rößler
Datum 06.07.2022  14:52 Uhr

Hauptindikation: chronische Schmerzen

Ungeachtet all dieser Einschränkungen lassen sich die Ergebnisse der Begleiterhebung wie folgt zusammenfassen:

  • Durchschnittsalter der mit Cannabis behandelten Patienten: 57 Jahre (alle Cannabisarzneimittel) beziehungsweise 45,5 Jahre (ausschließlich Cannabisblüten),
  • Geschlecht der Patienten: 54 Prozent Frauen und 46 Prozent Männer (alle Cannabisarzneimittel) beziehungsweise 33 Prozent Frauen und 67 Prozent Männer (ausschließlich Cannabisblüten),
  • häufigste Indikationen: chronische Schmerzen (76,4 Prozent), Spastik (9,6 Prozent), Anorexie/Wasting (5,1 Prozent), Übelkeit/Erbrechen (2,2 Prozent),
  • durchschnittlicher Zeitraum, in dem der Patient vor Beginn der Cannabistherapie wegen der bestehenden Symptomatik behandelt wurde: acht Jahre,
  • eingesetzte Cannabisarzneimittel: Dronabinol (62,2 Prozent), Blüten (16,5 Prozent), Extrakte (13 Prozent), Sativex off Label (8 Prozent),
  • mittlere THC-Tagesdosis 15 mg (bei Verwendung von Dronabinol, Cannabisextrakten und Sativex) beziehungsweise 249 mg (bei Verwendung von Cannabisblüten),
  • Besserung der Symptomatik durch die Anwendung von Cannabisarzneimitteln in 75 Prozent der Fälle,
  • Nebenwirkungen der Cannabistherapie (insgesamt häufiger bei Frauen und in der Regel nicht schwerwiegend): Müdigkeit (sehr häufig); Schwindel, Schläfrigkeit, Übelkeit, Mundtrockenheit, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Gleichgewichtsstörungen, verschwommenes Sehen, Desorientierung, Lethargie, Depression, Appetitsteigerung und Gewichtszunahme, euphorische Stimmung, Diarrhoe (häufig); Palpitationen und Tachykardien, Wahnvorstellungen, Sinnestäuschungen, Halluzinationen, Dissoziation und Suizidgedanken (gelegentlich),
  • Therapieabbruch vor Ablauf eines Jahres in 31,6 Prozent der Fälle (alle Cannabisarzneimittel) beziehungsweise in 11,3 Prozent der Fälle (Cannabisblüten), häufigste Gründe dafür: fehlende Wirkung (38,5 Prozent), Nebenwirkungen (25,9 Prozent), Tod des Patienten (20,2 Prozent),
  • mit Cannabisblüten behandelte Patienten bewerten den Therapieerfolg grundsätzlich höher als Patienten, die mit anderen Cannabisarzneimitteln behandelt werden, brechen die Therapie seltener ab und geben seltener unangenehme Nebenwirkungen an.

Chronische Schmerzen sind somit laut BfArM die zentrale Indikation für die Verordnung von Cannabisarzneimitteln. Ein Beleg für die Wirksamkeit in dieser Indikation lässt sich aus der Begleiterhebung jedoch nicht ableiten, insbesondere weil der Placeboeffekt nicht eingeschätzt werden kann. Hierzu bräuchte es randomisierte, placebokontrollierte klinische Studien, wie kürzlich auch Schmerzmediziner betonten.

Das BfArM begrüßt es, dass klinische Studien mit Cannabisarzneimitteln zwischenzeitlich auch in Deutschland begonnen wurden, mahnt aber gleichzeitig an, dass dabei auch seltene Indikationen für die Cannabistherapie wie Tic-Störungen, Clusterkopfschmerzen und Migräne nicht aus dem Fokus geraten sollten.

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