Pharmazeutische Betreuung gehört in die Leitlinien |
Daniela Hüttemann |
15.09.2020 10:52 Uhr |
In Apotheken könnten mehr Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren wie hohem Blutdruck erkannt und der Therapieerfolg regelmäßig überprüft werden. / Foto: ABDA
Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht von weltweit knapp 18 Millionen Todesfällen pro Jahr aufgrund kardiovaskulärer Ursachen aus. Damit stirbt fast jeder Dritte an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, verdeutlichte Professor Dr. Martin Schulz in seinem Festvortrag beim virtuellen Weltapothekerkongress die Dringlichkeit, Risikofaktoren frühzeitig zu erkennen und die Therapie zu optimieren. Apotheker könnten hier einen wichtigen Beitrag leisten, doch bislang würden entsprechende pharmazeutische Dienstleistungen kaum genutzt.
»Die Evidenz zeigt eindeutig, dass mit einem Apotheker im Betreuungsteam die Mortalität sinkt und die Lebensqualität der Betroffenen steigt«, sagte Schulz in seinem Vortrag anlässlich seiner Ehrung mit dem André-Bédat-Preis, der höchsten Auszeichnung des Weltapothekerverbands FIP für pharmazeutische Praxis. Schulz ist Apotheker und unter anderem Geschäftsführer des Bereichs Arzneimittel der ABDA, Vorsitzender der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker (AMK) und Honorarprofessor am Institut für Pharmazie der Freien Universität Berlin. Wissenschaftlich hat er selbst an zahlreichen Studien mitgewirkt, die den Nutzen pharmazeutischer Interventionen belegen. Doch auch andere Arbeitsgruppen weltweit sind hier aktiv, sodass es angesichts der gesammelten Evidenz verwunderlich ist, dass Apotheker nicht längst in nationalen und internationalen Leitlinien zur Prävention und Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen aufgeführt sind.
In beiden Feldern könnten Apotheker mehr Aufgaben übernehmen, zum Beispiel können sie mit nur wenigen Messungen und standardisierten Informationsbögen mit Ampelschema sowohl bislang unerkannte Risikopatienten erkennen als auch bei Patienten mit bekannter Hypertonie die Werte im Blick behalten und den Betroffenen gegebenenfalls an den Arzt verweisen. Den Nutzen dieser Intervention haben Schulz und sein Team erst kürzlich nachgewiesen und in der Pharmazeutischen Zeitung vorgestellt. Demnach wurden bei 16 Prozent von 101 Studienteilnehmern, die bislang keine Hypertonie-Diagnose hatten, ein behandlungsbedürftiger Bluthochdruck festgestellt. Und bei mehr als der Hälfte der 86 Probanden mit bekannter Hypertonie lagen die Werte nicht im Zielbereich. Offensichtlich war hier die Pharmakotherapie nicht ausreichend oder die Adhärenz lag im Argen.
»Medikamente können nicht wirken, wenn Patienten diese erst gar nicht bekommen, weil der Bedarf nicht bekannt ist, oder wenn sie sie nicht einnehmen«, betonte Schulz. Hier könnten Apotheker die entscheidende Rolle spielen, vom Screening über die Optimierung der bestehenden Medikation bis hin zur Unterstützung bei der korrekten Einnahme. Denn in der Regel liegt bei Herz-Kreislauf-Patienten eine Polymedikation vor, die bewiesenermaßen die Adhärenz leiden lässt. Letztere wiederum lässt durch eine pharmazeutische Betreuung erhöhen, wie Schulz und Kollegen 2019 im Rahmen der PHARM-CHF-Studie mit Herzinsuffizienz-Patienten nachweisen konnten. Die Zahl der therapietreuen Patienten lag ein Jahr nach Interventionsbeginn um 18 Prozent höher als in der Gruppe mit Standardbetreuung.