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Testosteron steigert bei Mann und Frau die sexuelle Lust. Das allein ist aber keine Indikation für eine Hormonsubstitution. / Foto: Getty Images/Thomas Tolstrup
Bereits zwischen der 7. und 12. Schwangerschaftswoche beginnt bei männlichen Embryonen die Sexualentwicklung. Unverzichtbar ist dafür Testosteron, das für Männer wichtigste Sexualhormon (Tabelle 1) (1). Während der Pubertät sorgen der hochwirksame Stoff und sein Metabolit Dihydrotestosteron (DHT) bei Jungen dafür, dass die äußeren und inneren Sexualorgane wachsen, sich die Schamhaare bilden und durch das Wachstum des Kehlkopfs die tiefe männliche Stimme entsteht. Bei geschlechtsreifen Männern sind Testosteron/DHT unter anderem an der Spermiogenese beteiligt, am Aufbau und der Mineralisation der Knochen, am Muskelwachstum, Fettabbau und an der Erythrozytenbildung (2).
Wie bei Männern beeinflusst Testosteron auch bei Frauen die Libido. Die Hormonspiegel sind aber etwa zehnfach niedriger als beim männlichen Geschlecht. Bei Menschen beiderlei Geschlechts, die beispielsweise am adrenogenitalen Syndrom (AGS) oder an einem Nebennierenrindenkarzinom leiden, produziert die Nebennierenrinde vermehrt Androgene. Frauen entwickeln dadurch Vermännlichungserscheinungen. Jungen kommen vorzeitig in die Pubertät, wobei die Keimdrüsen in den Hoden noch unreif sind. Mädchen und Jungen mit zu viel Testosteron haben oft Wachstumsstörungen.
Lebensphase | Wirkung |
---|---|
Männer | |
Embryo | Entstehung von Penis, Hodensack und Prostata |
Pubertät | Wachstum der Geschlechtsorgane, Reifung der Spermien, Schultern und Brustkorb werden breiter, Kehlkopf wächst (Adamsapfel), Stimme wird tiefer (Stimmbruch), Behaarung nimmt zu (Bart, Achsel- und Schamhaare), Gesichtszüge werden gröber (vorstehendes Kinn, breiter Kiefer) |
Erwachsenenalter | Spermiogenese, Antrieb |
Männer und Frauen | |
Zunahme von Muskelmasse und Muskelkraft sowie der Knochendichte, beeinflusst Fett- und Zuckerstoffwechsel, Vermehrung der Erythrozyten, steigert sexuelles Verlangen (Libido) | |
Frauen | |
Pubertät | Körperwachstum, Scham- und Achselbehaarung |
Erwachsenenalter: Überschuss an Testosteron | »Vermännlichung«: tiefere Stimme, Umbau der Körperproportionen, herbere Gesichtszüge, Vermehrung der Körper- und Gesichtsbehaarung (Hirsutismus), Akne, Wachstum der Klitoris |
Die Leydig-Zellen des Hodens und in begrenztem Maß auch die Nebennieren bilden das Hormon beim Mann. Bei der Frau sind es ebenfalls die Nebennieren, teilweise auch die Eierstöcke und das Fettgewebe. Die Hirnanhangsdrüse und der Hypothalamus im Zwischenhirn steuern die Produktion in den Hoden des Mannes. Dazu gibt die Hirnanhangsdrüse das follikelstimulierende Hormon (FSH) und das luteinisierende Hormon (LH) ins Blut ab. LH ist hauptsächlich für die Testosteron-Produktion verantwortlich, während FSH die Spermienproduktion mithilfe von Testosteron reguliert. Der größte Teil des Testosterons ist im Blut an Eiweiß gebunden, etwa an das Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG). Der Anteil an freiem Hormon ist gering. Der Testosteron-SHBG-Quotient ergibt das biologisch wirksame freie Testosteron. Bei Männern liegt der freie Androgen-Index altersabhängig bei über 30 Prozent und bei Frauen unter 6 Prozent.
Üblich war es bislang, den Testosteron-Wert in den Morgenstunden zwischen 8 und 11 Uhr zu messen, da das bei normalem Tag-Nacht-Verhalten dem circadianen Rhythmus entspricht. Falls Männer aber zum Beispiel regelmäßig Nachtschicht arbeiten, müsste bei ihnen die Blutprobe am Abend genommen werden, da die Werte weniger von der Uhrzeit als vom Schlaf-Wach-Rhythmus des Individuums abhängen (3). Daher sollten Mediziner vor allem darauf achten, bei einem Mann immer um ungefähr die gleiche Uhrzeit zu messen (2).
Als Normwert bei erwachsenen Männern gilt eine Testosteron-Gesamtkonzentration (tT) im Blutserum von über 12,0 nmol/L und an freiem Testosteron (fT) von 243 pmol/L. Dagegen gelten tT-Werte unter 8 nmol/L als pathologisch. In einer Grauzone liegen Werte zwischen 8 und 12 nmol/L (4, 5). Einen klinisch relevanten Testosteron-Mangel nennt man Hypogonadismus.
Auch aus nicht-pathologischen Gründen kann ein Testosteron-Wert niedriger sein als erwartet. Schon wenn sich die Schlafphase nähert, sinkt der Blutspiegel um etwa 20 Prozent ab. Mögliche weitere Ursachen sind intensive körperliche Arbeit, Stress, schwere Erkrankungen, erbliche Störungen, Alkohol, Drogen oder bestimmte Medikamente, zum Beispiel Glucocorticoide, Opioide oder Spironolacton.
Einen erheblichen Einfluss auf den Testosteron-Spiegel hat das Lebensalter. Ab etwa dem 40. Lebensjahr sinkt dieser um 0,4 bis 1 Prozent jährlich, bei Männern mit Adipositas oder chronischen Krankheiten wie dem metabolischen Syndrom auch stärker (1, 2, 4). Das freie, nicht an Albumin gebundene Testosteron (fT) verringert sich sogar noch stärker, da im Alter vermehrt SHBG gebildet wird. Je nach Definition der Normwerte für Gesamt- und freies Testosteron weisen 10 bis 45 Prozent der älteren Männer erniedrigte Testosteron-Spiegel auf.
»Um die Diagnose Hypogonadismus zu erhalten, müssen Männer an zwei Messzeitpunkten erniedrigte Testosteronspiegel aufweisen«, betont Dr. Christian Leiber, Oberarzt und Leiter der Sektion Andrologie an der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Freiburg sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Andrologie (DGA), gegenüber der PZ. Zusätzlich müssen sie an klinischen Symptomen wie reduziertem Hodenvolumen, Veränderung der Körperzusammensetzung, metabolischem Syndrom, Abnahme der Libido, Störungen der Sexualfunktionen, Anämie, verminderter Muskelmasse und -kraft, verminderter Knochendichte oder Osteoporose leiden. Auch Beschwerden wie depressive Verstimmung, Antriebslosigkeit oder verminderte kognitive Fähigkeiten sind möglich (Tabelle 2) (1, 6-10).
Beginn des Hypogonadismus | Symptome |
---|---|
im Mutterleib beziehungsweise vor der Pubertät einsetzend | kleine Hoden, Hodenhochstand (Kryptorchismus), Gynäkomastie, nicht geschlossene Epiphysenfugen, lineare Wachstumskurve bis zum Erwachsenenalter, spärliche Körper-/Gesichtsbehaarung, eunuchoider Habitus, hohe Stimme, Infertilität, geringe Knochenmasse, Sarkopenie, vermindertes Sexualverlangen/sexuelle Aktivität |
spät beginnend (late-onset) | Libidoverlust, erektile Dysfunktion, geringe Knochenmasse, Sarkopenie, depressive Gedanken, Erschöpfung, Energieverlust, Verlust von Körperbehaarung, Hitzewallungen, viszerale Fettleibigkeit, metabolisches Syndrom, Insulinresistenz und Diabetes mellitus Typ 2 |
Bei längerem Hormonmangel ist eine Feminisierung des Mannes zu beobachten. Die Betroffenen bekommen weibliche Züge und die Brustdrüsen können wachsen (Gynäkomastie). Einem Hypogonadismus können Störungen auf verschiedenen Ebenen zugrunde liegen. Es ist zwischen einem primären und einem sekundären Hypogonadismus, die beide angeboren sein können, sowie dem im Erwachsenenalter auftretenden Late-onset-Hypogonadismus zu unterscheiden. Bei der Late-onset-Form traten während der Pubertät noch keine Störungen auf, sodass sich die betroffenen Männer normal entwickeln und die sekundären Geschlechtsmerkmale ausbilden konnten. Im späteren Erwachsenenalter lässt die Gonadenfunktion der Patienten dann aber allmählich nach und es entstehen die charakteristischen Symptome (11).
Zu den Auslösern für die primäre Form zählen Hodentumoren, einige Arten von Chemotherapie, Bestrahlung der Hoden, Orchitis (Hodenentzündung) oder auch das Klinefelter-Syndrom, von dem etwa einer von 500 Männern betroffen ist. Bei dieser Chromosomenstörung haben Jungen meist zwei weibliche und ein männliches Geschlechtschromosom (46XXY).
Als sekundäre Ursachen kommen ein Funktionsverlust des Hypophysenvorderlappens oder Hypophysenadenome infrage, ebenso aber auch eine Erhöhung des Prolaktinspiegels im Blut, starke Fettleibigkeit, Eisenüberladung, Einnahme von Medikamenten wie Opioide oder Glucocorticoide oder ein Entzug von anabolen Steroiden (1).
Foto: AOK-Mediendienst
Ähnlich wie bei Frauen geht auch bei Männern im Alter die Produktion der Sexualhormone zurück. Allerdings geschieht dies anders als beim weiblichen Geschlecht nicht innerhalb eines kurzen Zeitraums, sondern langsam in einem jahrelangen Prozess. Der Begriff »Wechseljahre des Mannes« ist daher irreführend.
Wenn Männer unter Beschwerden leiden, die auf die sinkenden Testosteron-Werte zurückgehen, können sie dem in gewissem Maß mit einer gesundheitsbewussten Lebensweise, Sport und einer ausgewogenen Ernährung begegnen. Auch ein gesundes Körpergewicht kann den Hormonspiegel erhöhen. Ebenso ist es günstig, aufs Rauchen zu verzichten und nur wenig Alkohol zu trinken. Ferner können einige Medikamente wie Glucocorticoide dazu führen, dass weniger Testosteron zur Verfügung steht. Betroffene Männer sollten zudem darauf achten, ausreichend zu schlafen und chronischen Stress zu meiden. Autogenes Training, Meditation oder progressive Muskelentspannung können zu einem guten Stressmanagement beitragen (25).
Zugelassene pflanzliche Arzneimittel mit phytoandrogener Wirkung gibt es für Männer bislang nicht. Einige Pflanzenextrakte, etwa vom Erd-Burzeldorn (Tribulus terrestris), könnten eine androgene Wirkung haben (26). Von dubiosen »Kräutermischungen«, die im Internet bisweilen mit androgener Wirkung beworben werden, sollte man die Finger lassen (siehe dazu auch das Interview »Anabolika im Breitensport«).
Eine Testosteron-Ersatz-Therapie (TRT, Testosterone Replacement Therapy) ist nur indiziert bei Patienten mit nachgewiesenem Hypogonadismus, wenn der Arzt andere Ursachen ausgeschlossen hat (12-14). Die Therapie soll dazu dienen, die Lebensqualität, das Wohlbefinden, die Sexualfunktion sowie die muskuläre Stärke und Knochenmineraldichte zu verbessern (1). Für die Substitution stehen in Deutschland verschiedene Darreichungsformen zur Verfügung: Kapseln, Gele und Injektionen (Tabelle 3). Pflaster, Implantate und sublinguale Formen haben sich nicht durchgesetzt. Bevorzugt werden sollten Präparate mit natürlichem Testosteron. Nicht zu empfehlen sind Androgene wie Dehydroepiandrosteronacetat (DHEA), Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEA-S), Androstendiol oder Androstendion (15).
Testosteron-Form | Verabreichung | Vorteile | Nachteile |
---|---|---|---|
Testosteronundecanoat | peroral, 2 bis 6 Kapseln alle 6 h | zum Teil Absorption durch das lymphatische System mit nachfolgender Reduktion der Leberbeteiligung | variable Testosteronspiegel oberhalb und unterhalb des mittleren Bereichs, mehrere Gaben täglich erforderlich bei gleichzeitiger Aufnahme fetthaltiger Nahrung |
Testosteroncypionat, Testosteronenanthat | intramuskulär alle 2 bis 3 Wochen | kurz wirksames Präparat, das bei Einsetzen von Nebenwirkungen in absehbarer Zeit abgebaut wird | mögliche Fluktuationen der Testosteron-Spiegel |
Testosteronundecanoat | intramuskulär alle 10 bis 14 Wochen | dauerhafte Testosteron-Spiegel ohne Fluktuation | lang wirksames Präparat, das bei Einsetzen von Nebenwirkungen nicht schnell abgebaut wird |
Transdermales Testosteron | Gel, tägliche Applikation | dauerhafte Testosteron-Spiegel ohne Fluktuation | Hautirritationen an der Applikationsstelle und Risiko einer Übertragung auf andere Personen |
Die Darreichungsformen unterscheiden sich unter anderem in ihrer Pharmakokinetik. Zu Therapiebeginn ist es sinnvoll, kurz wirksame Arzneiformen zu wählen, um mögliche unerwünschte Wirkungen schnell zu erkennen. Anschließend kann der Patient auf eine lang wirksame Depot-Verabreichung wechseln (1).
Peroralia setzen Ärzte heute kaum noch ein. »Der Nachteil der Oralia ist, dass keine gleichbleibenden Testosteron-Spiegel entstehen und es zu hohen Fluktuationen kommt. Auch die mehrmals tägliche Einnahme ist ungünstig. Ursache ist der hohe First-Pass-Effekt und damit die schlechte Bioverfügbarkeit«, erklärt Leiber.
Als kurz wirksame intramuskuläre Präparate stehen Testosteroncypionat und -enanthat zur Verfügung (Tabelle 3). Sie werden in Intervallen von zwei bis drei Wochen verabreicht. Problematisch sind mögliche Schwankungen im Testosteron-Serumspiegel. Zu Beginn der Behandlung sind die Werte hoch und sinken dann bis zur nächsten Injektion ab. Patienten erleben diese Fluktuationen als Phasen, in denen ihre Beschwerden erheblich milder sind, und als Zeiten mit nur unbefriedigender Wirkung (1).
Günstiger ist Testosteronundecanoat als lang wirksame intramuskuläre Depotform. Der Arzt verabreicht diese abhängig von den individuellen Blutwerten in Intervallen von ungefähr drei Monaten. Ein Vorteil der Depotbildung im Muskelgewebe ist, dass normale Testosteron-Konzentrationen im Serum für längere Zeit aufrechterhalten werden. Ein Problem ist die lange Auswaschphase. Treten Komplikationen auf, dauert es entsprechend lange, bis das Arzneimittel wieder komplett aus dem Körper entfernt ist (16).
Transdermale Gele erzeugen einen zunächst hohen Testosteron-Wert, der dann abfällt. Wenn Patienten sie morgens auftragen, können sie den physiologischen Hormonspiegelverlauf annährend erreichen. Die transdermale Darreichungsform kam erstmals 2000 in den USA auf den Markt und hat sich seither als günstige Variante der TRT erwiesen.
Testosteron-Gele bewirken relativ gleichmäßige Hormonspiegel im Blut. / Foto: Adobe Stock/Marc Bruxelle
Patienten sollten das Gel auf saubere, trockene gesunde Haut auftragen. Infrage kommen zum Beispiel die Oberarme, die Innenseite der Oberschenkel, Schultern oder Bauchregion (17, 18). »Patienten müssen allerdings unmittelbar nach dem Auftragen des Gels von Körperkontakt mit der Partnerin oder Familienmitgliedern absehen und sich die Hände mit Seife waschen. Sonst besteht die Gefahr, dass sie die Testosteron-haltige Zubereitung auf andere Menschen übertragen«, warnt der Urologe.
Letztlich ist es eine individuelle Entscheidung, welche Darreichungsform am besten zu den Lebensumständen und der Gesundheitssituation eines Patienten passt. Bei bestätigtem Hypogonadismus übernehmen die Krankenkassen die Kosten der TRT.
Die TRT wirkt sich positiv auf Faktoren wie die Körperzusammensetzung aus und erhöht die Menge an fettfreier Körpermasse. Weiterhin profitieren viele Patienten von mehr Muskelkraft, einer besseren metabolischen Kontrolle und mehr sexuellem Wohlbefinden (19). Metaanalysen zeigen auch eine Verbesserung der Knochen-Mineraldichte im Lendenwirbelsäulenbereich, nicht aber am Oberschenkelhals. In Studien wiesen Männer zudem ein geringeres Körpergewicht, einen niedrigeren Body-Mass-Index und ein günstigeres Lipidprofil auf – und das bereits nach drei Monaten Therapie.
Auch Störungen der Glucosetoleranz und des Lipidprofils werden positiv beeinflusst. So gingen in Studien die Insulinresistenz und das kardiovaskuläre Risiko zurück. Untersuchungen zeigen auch, dass Testosteron bei Männern Libido, Erektion und Ejakulation verbessert. Weiterhin gibt es Hinweise, dass die TRT eine leichte bis mittelschwere Depression sowie die kognitiven Fähigkeiten verbessern könnte (1, 20, 21).
»Bei klarer Indikation gilt eine Testosteron-Therapie als sicher«, betont der Facharzt für Urologie und Andrologie. »Dem Körper wird ähnlich wie bei einer Schilddrüsenfehlfunktion nur das zugeführt, was ihm nicht mehr in ausreichendem Maß zur Verfügung steht.« Wichtig ist die richtige Dosierung. Allerdings fehlt es noch an einem Konsens zum idealen Testosteron-Wert unter TRT. Als allgemeiner Zielwert kann ein Testosteron-Serumspiegel bis zum mittleren normalen Bereich der jeweiligen Altersgruppen angestrebt werden (1).
Als unerwünschte Wirkung entwickeln etwa 3 Prozent der Patienten eine Gynäkomastie. Weitere mögliche Effekte sind Akne, Haarausfall, erhöhte Hämatokrit-Werte, schwere Hustenanfälle/Atemnot, PSA-Anstieg oder Zunahme einer präexistenten Prostatavergrößerung. Letzteres ist allerdings so gut wie nie klinisch relevant. In Einzelfällen können auch eine Zunahme der Aggressivität, des Gewichts sowie eine Hypersexualität mit prolongierten nächtlichen Erektionen auftreten (2). Bei starken Nebenwirkungen wird die Dosierung reduziert. In seltenen Fällen, etwa bei einem Hämoglobinanstieg, der das Thrombose- und Embolierisiko erhöht, oder bei Prostatareaktionen kann das Absetzen ratsam sein. Männer mit relativ niedrigem Ausgangswert an Testosteron, also einem stärker ausgeprägten Hypogonadismus, oder Übergewicht leiden oft vermehrt an Nebenwirkungen (2).
Bei Männern mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko ist zu beachten, dass die TRT die Viskosität des Blutes und damit die Thromboseneigung steigern kann, da Testosteron die Produktion von roten Blutkörperchen anregt. Daher sollten Patienten vor und während der Behandlung regelmäßig ihren Hämoglobin- und Hämatokrit-Wert messen lassen. Entwarnung gibt es hingegen für die obstruktive Schlafapnoe. Es gibt bislang keinen eindeutigen Hinweis, dass sich das Leiden unter einer TRT entwickelt oder verschlechtert.
Jede Hormontherapie erfordert eine sorgfältige Beratung und Überwachung beim Arzt. / Foto: Shutterstock/Monkey Business Images
Lange hieß es auch, dass eine TRT das Risiko für ein Prostatakarzinom erhöht. »Diese Annahme wurde aber mittlerweile durch Studien wiederlegt«, erklärt Leiber. Vorsichtshalber sollte man TRT-Patienten empfehlen, regelmäßig PSA-Tests durchführen und ihre Prostata digital untersuchen zu lassen. Männer mit bestehendem Prostatakarzinom dürfen keine TRT erhalten (1). »Was aber oft missverstanden wird, ist, dass Männer nach einem erfolgreich behandelten Prostatakarzinom durchaus für eine TRT infrage kommen«, weiß der Experte.
Kontraindiziert ist Testosteron auch bei Mammakarzinomen. Wichtig ist auch der Hinweis, dass eine Testosteron-Behandlung bei Männern mit Kinderwunsch kontraindiziert ist, da diese zu einer erheblichen Suppression der Spermiogenese führen kann.
Foto: Your Photo Today
Männer, die in jungen Jahren an Krebs erkranken, leiden später häufig darunter, dass durch Chemotherapie, Bestrahlung und/oder chirurgische Interventionen ihre Testosteron-Spiegel erniedrigt sind, sodass diese unter den Werten von Gleichaltrigen liegen. Der Hormonmangel kann sich unter anderem darin zeigen, dass der Körperfettanteil ansteigt und die Lebensqualität sinkt.
Wissenschaftler von der Universität Sheffield untersuchten, wie sich eine TRT bei Männern im Alter von 25 bis 50 Jahren auswirkt, die an Hodenkrebs, Lymphomen oder Leukämien erkrankt waren und als geheilt galten. Die Patienten vertrugen die über sechs Monate andauernde Substitutionsbehandlung gut und profitierten davon, dass sich ihre Rumpffettmasse (minus 0,9 kg) und ihre Ganzkörperfettmasse (minus 1,8 kg) reduzierten und die Magermasse (1,5 kg) anstieg. Die Lebensqualität der Männer beeinflusste die Therapie allerdings nicht.
Die Autoren erklären, dass eine TRT bei bestimmten männlichen Krebsüberlebenden erwogen werden könnte. Allerdings wurden in die Studie nur drei unterschiedliche Krebserkrankungen einbezogen, die Behandlungsdauer war eher kurz und es fehlen Evaluationen etwa zu langfristigen kardiovaskulären Risiken.
Testosteron ist im weiblichen Körper an der Estradiol-Synthese beteiligt. Wie bei Männern stimuliert das Hormon auch bei Frauen den Aufbau der Muskulatur, die Bildung von Erythrozyten und deren Eisenaufnahme sowie den Knochenaufbau und wirkt Libido-steigernd. Der Normwert für Gesamttestosteron bei Frauen liegt bei etwa 0,5 bis 2,0 nmol/L. Während der Wechseljahre sinkt nicht nur die Estrogen-Produktion in den Ovarien, sondern auch die Testosteron-Bildung. Eine Folge des Hormonabfalls ist eine reduzierte Knochendichte und ein damit einhergehendes erhöhtes Risiko für eine Osteoporose.
Ob Frauen eine Substitutionstherapie mit Testosteron erhalten sollen, ist bei Medizinern umstritten. Bei ovarektomierten oder postmenopausalen Frauen mit krankhaft vermindertem sexuellen Interesse kann der Arzt einen Behandlungsversuch unternehmen. Bevorzugt wird die dermale Applikation. Durch die Behandlung sollte die Testosteron-Konzentration jedoch nicht den Normbereich bei Frauen von etwa 2 nmol/L längerfristig überschreiten.
Angepriesen wird Testosteron neuerdings auch als Mittel, um das sexuelle Wohlbefinden von Frauen nach der Menopause zu steigern. »Für diese Anwendung gibt es kein zugelassenes Arzneimittel«, macht Leiber deutlich. Kritiker merken an, dass es sich dabei um eine Medikalisierung der Sexualität handelt und zählen solche Testosteron-Gaben für Frauen zu den Lifestyle-Arzneimitteln.
Ein Risiko der Anwendung von Testosteron bei Frauen sind unerwünschte androgene Effekte wie Akne, Hirsutismus, Alopezie und eine tiefere Stimme, die nicht immer reversibel sind. Langfristig ist eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, Brustkrebs, ein Endometriumkarzinom oder kardiovaskuläre Erkrankungen zu entwickeln, zu bedenken (22).
Wichtigste Kontraindiktion für eine TRT ist eine Schwangerschaft. Testosteron könnte den Fetus durch seine virilisierende Wirkungen schädigen (23).
Wissenschaftler von der Universität Jena haben mit internationalen Kollegen entdeckt, dass Leukotriene und Prostaglandine geschlechtsspezifisch Entzündungsvorgänge steuern (27-29). Grund könnte das männliche Sexualhormon sein, das antientzündlich wirkt. Testosteron greift in die Biosynthese der Leukotriene ein, sodass deren Produktion sinkt. Die verminderte Leukotrien-Synthese führt dazu, dass der Körper mehr Prostaglandine herstellt. Das könnte erklären, warum entzündliche Erkrankungen wie Asthma, Psoriasis oder Rheumatoide Arthritis bei Frauen häufiger auftreten und warum Entzündungen bei ihnen heftiger verlaufen als bei Männern.
Erhalten Frauen Testosteron, verlaufen Entzündungsreaktionen wie bei Männern ebenfalls schwächer. Auch unter Inhibitoren der Leukotrien-Biosynthese verläuft eine Inflammation sanfter.
Das macht einmal mehr deutlich, dass geschlechtsspezifische Arzneimittel sinnvoll sein können.
Männliche TRT-Patienten sollten wissen, dass extern zugeführtes Testosteron kein Jungbrunnen ist, der ihnen im Alter Jugendlichkeit und Männlichkeit zurückbringt. Ein weiterer wichtiger Hinweis: Die Substitution führt oft erst nach Wochen zur Verbesserung der Symptome. Wichtig ist auch, dass Männer unter einer TRT an die von ihrem Arzt empfohlenen Kontrolluntersuchungen denken.
Dr. Nicole Schuster studierte zwei Semester Medizin in Bonn, dann Pharmazie und Germanistik in Bonn und später in Düsseldorf. Während ihres Studiums machte sie Praktika bei verschiedenen wissenschaftlichen Verlagen. Nach dem zweiten Staatsexamen und der Approbation 2010 absolvierte Schuster ein Aufbaustudium in Geschichte der Pharmazie in Marburg und wurde 2016 mit ihrer Dissertation »Traditionelle pflanzliche Febrifuga als moderne Phytopharmaka« zum Doktor der Naturwissenschaften promoviert. Die PZ-Leser kennen Dr. Schuster als Autorin zahlreicher Fachbeiträge.
Bitte beachten Sie das Interview mit Professor Dr. Patrick Rene Diel unter www.pharmazeutische-zeitung.de/hochriskante-muskelmacher