Lebensgefährliche Verwirrtheit |
Ein Delir ist ein akuter Verwirrtheitszustand, der in Abgrenzung zur einer Demenz weniger als sechs Monate anhält. Typischerweise klingen die Symptome nach zehn bis zwölf Tagen ab, bei älteren Patienten sind jedoch längere Verläufe über einen Monat möglich. Zu den drei Kardinalsymptomen des Delirs zählen
Man unterscheidet ein hyperaktives und ein hypoaktives Delir. Bei mehr als 50 Prozent der Betroffenen finden sich Anteile beider Formen (gemischtes Delir).
Das Alkoholentzugsdelir ist ein typisches Beispiel für ein hyperaktives Delir. Neben psychomotorischer Unruhe, erhöhter Irritabilität, Halluzinationen und Angst stehen ausgeprägte vegetative Zeichen wie Hypertonie, Tachykardie und Tremor im Vordergrund.
Während derartige Symptome im klinischen Alltag nicht zu übersehen sind und Behandler wie Angehörige in erheblichem Maß herausfordern, ist das häufigere hypoaktive Delir sehr viel schwieriger zu erkennen. Zum Beispiel durch Medikamenteneffekte oder metabolische Erkrankungen verursacht, bestimmen hier Bewegungsarmut, fehlende oder nur geringe Kontaktaufnahme und Apathie das klinische Bild. Vegetative Begleitsymptome sind kaum existent. Halluzinationen und Desorientierung werden erst durch Befragung deutlich.
Das hypoaktive Delir wird daher sehr viel häufiger übersehen und ist demzufolge mit einer schlechteren Prognose assoziiert. Nur durch die Sensibilisierung aller an der Patientenbetreuung beteiligten Gruppen kann es gelingen, dieses alltagsrelevante Krankheitsbild zu erkennen.
An der Entstehung eines Delirs sind zahlreiche Faktoren beteiligt. Prinzipiell kann jeder Mensch in Abhängigkeit von individueller Empfänglichkeit und exogenen Einflüssen ein Delir entwickeln.
Prädisponierende Risikofaktoren erhöhen die Vulnerabilität (Verletzbarkeit) des Gehirns. Hierzu zählen vor allem hohes Lebensalter, bestehende Demenz, sensorische Defizite (Hör- und/oder Sehbehinderung), Multimorbidität und Polypharmazie. In diesen Situationen können bereits schwache exogene Noxen wie eine fremde Umgebung oder Immobilisation ein Delir auslösen.
Als auslösende Faktoren sind insbesondere Schlaganfälle, Infektionen, vor allem Harnwegsinfekte und Pneumonien, Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts und delirogene Arzneimittel zu nennen (Tabelle 1). Auf Ebene der Neurotransmitter scheinen ein cholinerges Defizit sowie erhöhte Dopamin-Spiegel am häufigsten an der Entstehung des Delirs beteiligt zu sein (2). Hierdurch erklärt sich der delirogene Effekt anticholinerg wirksamer Arzneimittel. Daher spielt die Medikationsanalyse eine entscheidende Rolle in der Delirprävention.
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Die 90-jährige, bislang noch recht rüstige Patientin wird aufgrund von Fieber und Abgeschlagenheit in eine internistische Klinik aufgenommen. Ursächlich stellt man einen Harnwegsinfekt fest, der mit Ciprofloxacin behandelt wird.
In der zweiten Nacht nach der stationären Aufnahme fällt die Patientin durch motorische Unruhe mit Nesteln und vermehrte Aggressivität auf (akuter Beginn). Sie meint, in ihrem Pflegeheim zu sein, ist zeitlich desorientiert und ruft immer wieder nach ihrem verstorbenen Ehemann. Durch die Zuwendung der diensthabenden Pflegekraft lässt sie sich beruhigen und ist am folgenden Morgen zunächst wie ausgewechselt (fluktuierender Verlauf). Am späteren Nachmittag kommt es erneut zu einer ausgeprägten psychomotorischen Unruhe und sie versucht, die Station zu verlassen. Erst jetzt berichtet die Tochter, dass die Patientin seit Jahrzehnten 3 mg Bromazepam zum Schlafen nehme.
Beurteilung: Multifaktorielle Verursachung des Delirs mit einem Harnwegsinfekt als primärem Auslöser, akzentuiert durch einen Benzodiazepin-Entzug sowie delirogene Nebenwirkungen von Ciprofloxacin.