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Brennende Schmerzen

Lästig, quälend oder alarmierend

Quälende neuropathische Schmerzen

Sind Nervenstrukturen des Zentralnervensystems oder der Peripherie entzündet oder krankhaft verändert, resultiert eine Übererregbarkeit dieser Nerven. Verschiedene pathophysiologische Mechanismen können zugrunde liegen. Ursachen sind eine genetische Veranlagung, Vitaminmangel (Vitamin B12, B6) oder -überdosierung (Pyridoxin), Alkohol, Toxine (Arsen, Blei, Quecksilber), Erkrankungen (Diabetes, Gürtelrose) und Medikamente (arzneimittelbedingte Neuropathien) sowie immunologische Vorgänge. Es kommt im ZNS zu neuroplastischen Veränderungen mit Störungen der erregenden und hemmenden Neuronen.

Um nozizeptive oder neuropathische Schmerzen voneinander abgrenzen zu können, ist eine sorgfältige leitlinienbasierte Diagnostik wichtig. Dabei sind verschiedene Abstufungen neuropathischer Schmerzen möglich, periphere von zentralen zu unterscheiden sowie zu berücksichtigen, dass es gemischte Schmerzsyndrome mit nozizeptiven und neuropathischen Komponenten gibt (Tabelle 2, Seite 32).

Schmerzhafte Neuropathie Erkrankungen und Auslöser (Beispiele)
peripher, fokal oder multifokal postzosterische Neuralgie
Phantomschmerz
Trigeminusneuralgie
Bandscheibenvorfall
degenerative Wirbelsäulenveränderungen
diabetische Mononeuropathie
Engpass-Syndrome
peripher, generalisiert Diabetes mellitus, Hypothyreose, Vitaminmangel
Medikamente: antiretrovirale Substanzen, Chemotherapeutika (Cisplatin, Oxaliplatin, Taxane, Thiouracil, Vincristin), Disulfiram, Antibiotika (Ethambutol, Isoniazid, Nitrofurantoin, Chloramphenicol, Metronidazol), Thalidomid, Gold
Toxine wie Alkohol, Acrylamid, Arsen, Clioquinol, Dinitrophenol, Ethylenoxid, Pentachlorphenol, Thallium
genetische Disposition
infektiös oder postinfektiös, autoimmunologisch
Malignom
zentrale Ursachen Entzündungen: Multiple Sklerose, Abszesse, Myelitis
Hirninfarkt, Blutungen, Traumata
»Mixed Pain«-Syndrome chronische Rückenschmerzen
Tumorschmerzen
Tabelle 2: Klassifikation neuropathischer Schmerzen nach der S2k-Leitlinie »Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen«, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Stand Juni 2022

Seit 2019 zeigt die aktuelle S2k-Leitlinie »Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen« der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) verschiedene Behandlungsoptionen auf. Die Therapie richtet sich auch nach den bestehenden Grunderkrankungen; so sollte ein Diabetes optimal eingestellt werden.

Mittel der ersten Wahl sind die Antikonvulsiva Gabapentin und Pregabalin sowie trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin, Nortriptylin, Clomipramin und Imipramin. Hier wird zur Schmerzreduktion eine deutlich niedrigere Dosis benötigt als für die antidepressive Wirkung. Mittel erster Wahl ist auch der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin, der allerdings nur bei schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie zugelassen ist und ansonsten im Off-Label-Use eingesetzt wird. Topika wie Lidocain-5-Prozent- und Capsaicin-8-Prozent-Pflaster sind bei lokalen neuropathischen Schmerzen Mittel zweiter Wahl, können laut Leitlinie aber auch zur Erstlinientherapie erwogen werden.

Medikamente dritter Wahl sind niederpotente Opioide wie Tramadol, höher potente Opioide mit besonderer Indikation und off Label Botulinumtoxin bei lokalen Schmerzen. Carbamazepin und Oxcarbazepin sind bei geringer Evidenz nur in Einzelfällen zu empfehlen. Carbamazepin ist jedoch weiterhin erste Wahl bei Trigeminusneuralgie. Die Leitlinie sieht den Nutzen von Cannabinoiden eher gering, bei Therapieversagen können sie off Label mit anderen Schmerzmitteln kombiniert werden.

Aufgrund der neuroplastischen Veränderungen können neuropathische Schmerzen medikamentös nur etwa um 30 Prozent reduziert werden. Gegebenenfalls sollte ein Wechsel der Medikation versucht werden. Der Patient sollte in der Apotheke über potenzielle starke Nebenwirkungen informiert werden, um die Adhärenz nicht zu gefährden. Ebenso sollte er wissen, dass manche Medikamente zeitverzögert wirken oder bis zur vollständigen Wirkung auftitriert werden müssen.

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