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Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern

E-Rezept nicht ohne Makel-Verbot

Über den Stand des E-Rezeptes diskutierten am Samstag unterschiedliche Interessenvertreter beim Apothekertag der Kammer Mecklenburg-Vorpommern. Klar wurde, dass noch wichtige Fragen offen sind, beispielsweise zum Zuweisungs- und Makelverbot, zum Datenschutz und welche Apps die Patienten einmal nutzen werden.
Daniela Hüttemann
12.11.2019  13:36 Uhr

»Verschiedene Stakeholder stehen mit ihren Lösungen zum E-Rezept bereits in den Startlöchern«, konstatierte Kammerpräsident Dr. Georg Engel zu Beginn des Apothekertags, der gemeinsam mit der Scheele-Tagung vergangenes Wochenende in Rostock-Warnemünde stattfand. »Das E-Rezept ist wirtschaftlich interessant, weil es die Logistik vereinfacht – und es nach einem Kopfnicken des Patienten theoretisch an weitere Dienstleister verschickbar ist.« Derzeit versuchten verschiedene Anbieter mit ihren Pilotprojekten und Apps die Standards für den neuen Markt zu setzen. Die Apotheker fühlten sich bedrängt. Engel schloss sich einem Statement des neuen Gematik-Chefs Markus Leyck Dieken an: Noch sei der neue Standard nicht entschieden, die Projektbetreiber sollten besser innehalten und sich miteinander verständigen.

»Essenziell für uns als freien Heilberuf ist das Verbot, mit E-Rezepten zu makeln, wie es uns schon der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe versprochen hat«, betonte Engel. Das hätte man problemlos im am Freitag verabschiedeten Digitale-Versorgung-Gesetz (DGV) unterbringen können, so der Kammerpräsident – aber offenbar wollten die Verantwortlichen es nicht, ebenso wenig wie die honorierte Beteilung der Apotheker beim elektronischen Medikationsplan. Er rief daher den anwesenden gesundheitspolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Sebastian Ehlers, auf, dieses Anliegen bis nach Berlin zu tragen. Ebenso seien noch Fragen des Datenschutzes zu klären. 

Auch Ehlers sah die Gefahr eines möglichen Missbrauchs gespeicherter Rezeptdaten – und er sprach sich klar für ein Zuweisungsverbot aus. Makeln halte er »für problematisch«. »Der Patient soll entscheiden, wo sein E-Rezept hingeht, nicht der Arzt, nicht der Apotheker und nicht ein Versandhändler.« Er geht davon aus, dass entsprechende Nachbesserungen noch im Apothekenstärkungsgesetz untergebracht werden.

Kollegiale Expertise aus Schleswig-Holstein...

Auch Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, betonte, dass es noch gesetzliche Ergänzungen brauche, um den Patienten »als alleinigen Entscheider« über den Weg seines E-Rezepts festzulegen. Grundlage müsse ein neutrales, diskriminierungsfreies und ordnungspolitisch geregeltes System sein, über das der Patient sein E-Rezept einlösen kann. Es werde keine eigene Infrastruktur für einzelne Anbieter geben.

Das eigentliche E-Rezept soll auf einem zentralen Server gespeichert sein, der Patient erhält einen QR-Code, ob in einer App oder auf Papier, als Zugriffsschlüssel auf diese Daten, den er an eine Apotheke seiner Wahl geben kann. Nur damit lässt sich das E-Rezept abrufen. »Ja, wir können nicht verhindern, dass manches E-Rezept auch nach Holland gehen wird, aber wir bestehen darauf, dass kein Dritter an dieser Stelle in welcher Art auch immer Zugriff auf diesen Code hat, um den Patienten zu schützen.« Dies müsse nun entweder der Staat regeln und die entsprechenden Strukturen zur Verfügung stellen – oder der Staat bittet die Gemeinschaft der Apotheker, wie in anderen Ländern auch, dies zu organisieren. 

... und Baden-Württemberg

Dass die deutsche Apothekerschaft dies kann, wird derzeit im Pilotprojekt GERDA (Geschützter E-Rezeptdienst der Apotheken) demonstriert. Dr. Karsten Diers, Geschäftsführer der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, berichtete über den erfolgreichen Projektstart in den Regionen Stuttgart am Donnerstag  in Tuttlingen. Die ersten Rezepte von der Verordnung bis zur Verrechnung seien problemlos durchgelaufen. Die Patienten hätten das neue Angebot gut angenommen.

Beteiligt sind neben Landesapothekerkammer und Landesapothekerverband Baden-Württemberg unter anderem auch die Dachverbände von Apothekerschaft, Kassenärzten, Apothekenrechenzentren, Apotheken-Software-Anbietern, die Netzgesellschaft Deutscher Apotheker (NGDA) und einige Krankenkassen.  »Wir haben ein breites Fundament geschaffen«, so Diers. Es gebe viele Anfragen für weitere Modellprojekte wie in Berlin, die vom Grundsatz genau wie GERDA laufen sollen. »GERDA soll keine Insellösung für Baden-Württemberg sein«, betonte der Kammergeschäftsführer. Er rechnet den Apothekern gute Chancen aus, die Standards für das E-Rezept zu setzen, denn es gebe bereits positive Signale von der Gematik und dem Bundesgesundheitsministerium.

Dazu gehört auch die DAV-Web-App, mit der Patienten ab kommendem Jahr ihr E-Rezept einsehen und steuern können, für die Diers und Froese noch einmal unter den Teilnehmern des Apothekertags in Warnemünde warben. Denn je mehr Apotheker sich bereits jetzt für die DAV-Web-App registrieren, desto besser sind die Chancen, dass diese neutrale App mit freier Apothekenwahl sich gegen andere Anbieter durchsetzen kann.

Erfahrungen aus Hamburg

Bereits sehr weit in der Entwicklung ist das E-Rezept-Projekt der Techniker Krankenkasse (TK), das derzeit im Hamburger Stadtteil Wandsbek läuft. Apotheker Dr. Frank Verheyen, Leiter des Teams Arzneimitteldistribution der TK, stellte die bisherigen Ergebnisse vor. »Wir wollen erst einmal die Nutzererfahrungen von Patienten, Ärzte und Apothekern sammeln, auch um zu evaluieren, welche zukünftigen Angebote darauf aufbauen können.« Bei der TK habe man sich bewusst gegen einen zentralen Server entschieden. Die E-Rezeptdaten bleiben beim Arzt und können durch den Apotheker mithilfe des vom Patienten erteilten Zugriffscodes abgerufen werden. »Auch wir als TK wollen kein Makeln und keine Direktzuweisungen«, versicherte Verheyen. Die TK-App solle in Zukunft auch Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Patient und der von ihm ausgewählten Apotheke bieten, was die DAV-Web-App ebenfalls vorsieht. »Wir wünschen uns wieder mehr sprechende Pharmazie«, so Verheyen. 

Die TK erhoffe sich aus der Kombination von E-Rezept und der elektronischen Patientenakte mehr und vor allem korrekte und aktuelle Daten zur Medikation, um die Therapie zu verbessern. »Wir als Apotheker sind die richtigen, um dem Patienten die komplexen Sachverhalte ihrer Arzneimitteltherapie zu vermitteln«, so Verheyen. Dabei könne in Zukunft künstliche Intelligenz die Beratung nicht ersetzen, aber unterstützen, beispielsweise für Interaktionschecks und um Nebenwirkungen im Blick zu behalten. 

Datenschützer haben Bedenken

Lydia Kämpfe, Referentin und Justiziarin beim Landesdatenschutzbeauftragten Mecklenburg-Vorpommern, sieht eine zu fleißige Datensammlung kritisch. »Wir erweitern den Kreis der Beteiligten ja nicht nur auf Arzt und Apotheker«, so Kämpfe. Hinter deren direkten Dienstleistern wie Praxis- und Apothekensoftware-Anbietern steckten schließlich zum Teil große Konzerne, die Medikationsdaten sowohl für zielgerichtete Angebote an die einzelnen Patienten als auch ihre KI-Systeme haben wollen. Sie warnte auch davor, die Daten für eine Überwachung der Therapie zu nutzen. »Was machen wir denn, wenn der Patient nicht therapietreu ist? Welche Konsequenzen hat das? Darüber müssen wir vorher reden«, forderte die Datenschützerin.

Unklar seien auch noch die Verantwortlichkeiten und Haftungsfragen, sollte es zu Datenlecks kommen. Vorgesehen sei, dass die Gematik bis zum Telematikinfrastruktur-Konnektor verantwortlich sei. »Bei Datenlecks in der Apotheke ist aber auch die Apotheke verantwortlich.« Mitarbeiter müssten ordentlich geschult und Regelungen mit den IT-Dienstleistern der Apotheke getroffen werden.

Schluss mit dem Papierkram?

Während im Pilotprojekt der TK der gesamte Prozess von der Verordnung bis zur Abrechnung ohne Papier auskommt, rechnet ABDA-Digitalexperte Froese im Apothekenalltag mit keiner großen Papiereinsparung. Das hätten Erfahrungen aus anderen Ländern mit dem E-Rezept gezeigt. »Ob England, Niederlande, Frankreich oder Italien: Überall gibt es in den Apotheken noch Körbchen mit Papierausdrucken und Wäscheklammern.« Auch viele Patienten würden wohl auf eigenen Wunsch oder in Ermangelung eines Smartphones noch einen Papiercode in die Apotheke bringen. »30 Prozent der Rezepte werden im ersten Jahr digital in die Apotheke kommen«, schätzte Froese. Die Apotheken müssten sich jetzt schon Gedanken machen, wo sie die digitalen Rezepte verarbeiten wollen, ob zum Beispiel ein eigener Arbeitsplatz dafür eingerichtet werden soll. TK-Apotheker Verheyen dagegen denkt, dass Ausdrucke in den Apotheken und Arztpraxen nicht nötig sein werden. Dies sei eher eine Organisationsfrage. Er geht davon aus, dass die elektronischen Verordnungen auch weniger Formfehler enthalten werden, da es bestimmte Pflichtangaben geben wird.

Laut Froese müssen der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband in den kommenden sieben Monaten verhandeln, wie mit fehlerhaften E-Rezepten umzugehen sein wird. »Da liegt ein gewaltiges Potenzial«, meint der LAV-Vorsitzende. »Wir können uns demnächst viele Rückfragen mit der Arztpraxis sparen.« Das Retaxationsrisiko sollte also sinken. Unklar sei noch, wie umständlich die digitale Unterzeichnung für Arzt und Apotheker sein wird. »Die brauchen wir für alle Dienstleistungen, die noch kommen sollen«, erinnerte Froese. Hier sei er den Ärzten dankbar, die derzeit für eine vereinfachte Signatur kämpfen.

Insgesamt rechnet Froese zwar nicht mit einer Kostenersparnis durch das E-Rezept für die Apotheken. Doch durch die schnellere Abrechnung können die Apotheken in Zukunft mit einer zügigeren Erstattung durch die Krankenkassen rechnen, was Verheyen von der TK bestätigte.

»Wir halten die Einführung des E-Rezepts für begrüßenswert«, fasste Kammerpräsident Engel die Ergebnisse der sich anschließenden Podiumsdiskussion zusammen. »Wir fordern aber einen hohen Schutz der Daten sowie die zeitnahe Einführung des Makelverbots durch den Gesetzgeber.« Abseits vom E-Rezept erinnerte Engel daran, dass die Apotheker die Ausweitung pharmazeutischer Dienstleistungen für sinnvoll und notwendig halten. Der Berufsstand warte dringend auf die gesetzliche Regelung der Honorierung. Vom Land Mecklenburg-Vorpommern würden die Apotheker darin bereits unterstützt – und hoffen, dass sich nun schnell auf Bundesebene etwas tut.

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