Die Jugend isst zu ungesund |
In Sachen vegetarischer Ernährung tut sich in Deutschland auch einiges ohne Verbote und Vorschriften: Immer mehr Menschen verzichten ganz bewusst auf Fleisch. Darunter viele Jugendliche und junge Erwachsene, wie eine Jugendumfrage im Rahmen des Fleischatlas 2021 ergab. Demnach ernähren sich rund 10 Prozent der Menschen zwischen 15 und 29 Jahren vegetarisch und rund 2 Prozent vegan (9).
Kinder und Jugendliche, die sich ohne Fleisch oder komplett ohne tierische Lebensmittel ernähren, greifen tendenziell zu gesünderen Lebensmitteln als ihre omnivoren Altersgenossen. Das zeigten die Ergebnisse der von der deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) initiierten »VeChi-Youth-Studie« (»Nutrients« 2021; DOI: 10.3390/nu13051707). Die jungen Vegetarier und Veganer konsumierten demnach mehr Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte und Nüsse sowie weniger Süßigkeiten (10).
Immer mehr junge Menschen verzichten auf Fleisch und essen vegetarisch oder vegan. / Foto: Adobe Stock/Maridav
Die Studie untersuchte, wie sich eine omnivore, eine vegetarische und eine vegane Ernährungsweise auf die Nährstoffversorgung bei Kindern und Jugendlichen auswirkt. Dabei waren Vegetarismus und Veganismus nicht per se kritischer als eine omnivore Ernährung: Über alle drei Ernährungsformen hinweg war die Versorgung mit den Hauptnährstoffen sowie den meisten Vitaminen und Mineralstoffen ausreichend. Weder bei der Energiezufuhr noch bei der Energiedichte gab es signifikante Unterschiede. Jedoch erwiesen sich unabhängig von der Ernährungsweise Vitamin B2, Vitamin D, Jod und Calcium als kritisch (10). Die ausreichende Vitamin-B12-Versorgung war in der Gruppe der vegetarisch und vegan essenden Kinder und Jugendlichen auf eine ausreichende Supplementation zurückzuführen.
Eine rein pflanzliche Ernährung ist aufgrund der Gefahr für Nährstoffmängel jedoch für Kinder und Jugendliche im Wachstum ungeeignet, wie Professor Dr. Hermann Kalhoff, stellvertretender Direktor und leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Klinikum Dortmund, im Gespräch mit der PZ erklärt. Zu den Risikogruppen für eine vegane Ernährung zählen außerdem Schwangere, Stillende und Säuglinge.
»Theoretisch wäre eine vegane Ernährung für Kinder und Jugendliche mit einem hohen Maß an ärztlicher Überwachung und Substitution denkbar. Das eigentliche Problem ist, dass dies in der Praxis so aufwendig ist. Daher würden die allerwenigsten dies auf Dauer so umsetzen, dass die Ernährungsform wirklich sicher ist«, erklärt Kalhoff. Der Arzt ergänzt, dass es in Deutschland von offizieller Seite nur solche Ernährungsempfehlungen für eine möglichst gute Entwicklung gebe, die mit einem verhältnismäßigen Aufwand für den Verbraucher realisierbar und sicher sind. Sie sollen Mangelzuständen und ernährungsbedingten Krankheiten vorbeugen. Aus diesem Grund rät die DGE den genannten Risikogruppen von einer rein pflanzlichen Ernährung ab (11).
Zu den kritisch knappen Nährstoffen bei der rein pflanzlichen Ernährung gehören Protein, essenzielle Aminosäuren, die Vitamine D, B2 und B12 sowie Calcium, Eisen, Iod, Zink, Selen und langkettige Omega-3-Fettsäuren. Eine gut geplante lacto-ovo-vegetarische Ernährung, die zusätzlich Ei- und Milchprodukte beinhaltet, sei dagegen auch für Kinder und Jugendliche mit etwas Geschick gut umsetzbar, betont Kalhoff.
Eine vegetarische Ernährung, die zusätzlich Ei- und Milchprodukte beinhaltet, ist auch in Wachstumsphasen gut umsetzbar und gesund. / Foto: Adobe Stock/Natal.is
»Wer beachtet, dass der menschliche Körper von pflanzlichem Eisen deutlich weniger aufnimmt und die Qualität von pflanzlichem Protein etwas niedriger ist als bei der tierischen Variante und entsprechend mehr davon konsumiert, der kann auch mit einer fleischfreien Ernährung alle wichtigen Nährstoffe zu sich nehmen.« Aufgrund von abweichenden Aminosäuremustern in pflanzlichem Protein sei die biologische Wertigkeit geringer als bei tierischem Protein und pflanzliches dreiwertiges Eisen werde deutlich schlechter aufgenommen als das zweiwertige aus Tierfleisch, erklärt der Ernährungsexperte. Hier kann die Bioverfügbarkeit durch die gleichzeitige Aufnahme von Vitamin C erhöht werden. Ganz besonders wichtig ist zudem die regelmäßige Vitamin-B12-Substitution, da aktives Vitamin B12 in der Ernährung von Veganern fehlt.
Doch auch der Vegetarismus ist nicht für alle uneingeschränkt geeignet. Mädchen, die eine starke Regelblutung haben und dadurch vermehrt Eisen verlieren, haben beispielsweise ein erhöhtes Risiko für eine Eisenmangelanämie.
Foto: PZ/Berg
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Dass die vegetarische Nahrungsauswahl tendenziell mit gesundheitlichen Vorteilen einhergehen kann, legen die Studienergebnisse der im Mai veröffentlichten deutschen Studie »NuEva« (»Frontiers in Nutrition« 2022; DOI: 10.3389/fnut.2022.819106) nahe. Mit zunehmendem Ausschluss tierischer Lebensmittel war eine verminderte Aufnahme von gesättigten Fettsäuren, Cholesterol, Disacchariden und Gesamtzucker zu verzeichnen (12).
»Den tatsächlichen Effekt einer Ernährungsweise auf die Gesundheit können wir jedoch gar nicht adäquat bestimmen«, erklärt Kalhoff. Denn vegetarisch oder vegan lebende Menschen hätten oft einen ganz anderen Lebensstil, etwa mit regelmäßigem Sport, weniger Alkohol und ohne Rauchen, als omnivor lebende Menschen. Aus diesem verwobenen Netz von Lebensstilfaktoren den Einfluss der Ernährung zu isolieren, sei schwer bis unmöglich.
Wer sich für eine fleischfreie Ernährung interessiert, informiert sich daher am besten bei einem Ernährungsexperten über Vorteile und Risiken. Neben Ärzten und Ernährungswissenschaftlern können auch Apotheken zur Ernährung beraten.
Laura Rudolph hat in Saarbrücken Pharmazie studiert. Seit 2021 ist sie approbierte Apothekerin und verstärkt als Volontärin das Redaktionsteam der PZ.