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06.11.2012 15:22 Uhr |
Von Sven Siebenand, Amsterdam / Könnte man Apotheke in den Niederlanden mit Versandhändlern und Drugstores gleichsetzen, dann wäre Holland tatsächlich in Not. Doch das niederländische Apothekensystem hat mehr zu bieten. Für Deutschland lohnt sich ein Blick über die Grenzen. Das zeigte eine Session auf dem 100. Kongress des Weltapothekerverbands FIP in Amsterdam.
Während es in Deutschland etwa 21 000 Apotheken gibt, sind es in den Niederlanden gerade einmal 2000. Diese versorgen die knapp 17 Millionen Einwohner des Landes mit Arzneimitteln. Wie Jan Smits, Vorsitzender der niederländischen Berufs- und Branchenorganisation der Apotheker KNMP, deutlich machte, sind es aber nicht nur öffentliche Apotheken, die Arzneimittel abgeben. In ländlichem Raum besitzen Ärzte Dispensierrechte. Zudem dürfen Drugstores OTC-Produkte verkaufen. Dort werde ein Großteil der OTC-Medikamente verkauft, so Smits.
Ein Drittel Kettenapotheken
Anders als in Deutschland gibt es in den Niederlanden kein Fremd- und Mehrbesitzverbot. Seit den 1990er-Jahren dürfen auch Unternehmen Apotheken eröffnen. Etwa ein Drittel aller Apotheken in den Niederlanden gehören Smits zufolge einer Kette an.
Vor Abgabe des Arzneimittels an den Patienten wird die Verordnung überprüft. Dabei gilt das Vier-Augen-Prinzip.
Foto: KNMP
Darüber hinaus haben Apotheker und Ärzte in unserem Nachbarland Zugriff auf eine gemeinsame Datenbank und können so die Medikationshistorie der Patienten austauschen. Alle Arzneimittel, die ein Patient verordnet bekommt, sind darin vermerkt. Im Normalfall haben die Niederländer ihre Stammapotheke. Sollten sie aber dennoch ein Rezept in einer anderen Apotheke einlösen, kann auch diese die Medikationshistorie einsehen und entsprechend erweitern. Ein weiterer Unterschied zu Deutschland: Ärzte in den Niederlanden müssen auf allen Verschreibungen angeben, wie oft und in welcher Dosis die Patienten ihre Medikamente einnehmen sollen. So können die Apotheker leicht errechnen, bis wann die verschriebene Arzneistoffmenge ausreicht (lesen Sie dazu auch FIP-Kongress: Deutsche Projekte der Welt vorgestellt, PZ 41/2012).
Eine Parallele zu den deutschen Rabattverträgen lässt sich bei der Belieferung von sogenannten Vorzugsverträgen in den Niederlanden erkennen. Smits bemängelte, dass es seit einiger Zeit zunehmend Lieferschwierigkeiten des Großhandels bei Arzneimitteln gebe, über welche die Versicherer Vorzugsverträge abgeschlossen hätten. Wöchentlich seien zwischen 120 und 180 Präparate nicht lieferbar. Oftmals muss ein Apotheker dann ein nicht verfügbares Arzneimittel substituieren, was zu Mehrkosten durch Verwaltungsaufwand in Höhe von geschätzt 60 bis 70 Millionen Euro im Jahr führt.
Smits zufolge hat sich das niederländische Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren stark verändert. So gibt es unter anderem ein neues Versicherungssystem. Die niederländischen Apotheker haben 2011 das sogenannte »Whitepaper on Pharmacy in the Netherlands« veröffentlicht, in welchem sie beschreiben, welche Leistungen sie anbieten. Smits fügte hinzu, dass die Apotheker selbstverständlich dafür auch gerecht bezahlt werden wollen.
Dr. Dick Tromp aus der Flevowijk Apotheek im niederländischen Kampen zeigte die Stationen auf, die zur Belieferung eines Rezeptes führen. So prüft der Apotheker die Verordnung und gleicht sie mit der Patientendatenbank ab, bevor die Medikamente bestellt und zusammengestellt werden. Eine weitere Person überprüft anschließend noch einmal die Richtigkeit der Medikamente. Bei der Abgabe der Mittel erfolgt dann eine eingehende Beratung des Patienten. Aus seiner Apotheke brachte Tromp Zahlen mit, wonach bei 650 Verordnungen 200 Warnungen der Datenbank, etwa zu Interaktionen, erfolgt seien. In 97 Fällen habe das zu notwendigen Änderungen geführt.
Studieren nach Bologna
Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden gibt es auch bei der Ausbildung zum Apotheker: Ein Pharmaziestudium in den Niederlanden sei nur in Groningen und Utrecht möglich, sagte Professor Dr. Hidde J. Haisma von der Universität Groningen. Neben Pharmazie werden in den Niederlanden auch »Pharmazeutische Wissenschaften« als Studienfach in Groningen, Utrecht, Amsterdam und Leiden angeboten. Die beiden Studiengänge unterscheiden sich Haisma zufolge aber stark voneinander.
In den Niederlanden sind rund 2000 Apotheken für die Versorgung der knapp 17 Millionen Einwohner zuständig.
Foto: PZ/van Gessel
Das Pharmaziestudium in den Niederlanden ist im Zuge der Bologna-Reform zum Bachelor- und Masterstudiengang umgewandelt worden. Nach drei Jahren erreichen die Absolventen den Bachelor. »Damit kann man praktisch nichts anfangen«, so Haisma. Fast alle Studenten machen auch ihren Master-Abschluss. Diesen erreicht man nach weiteren drei Jahren. Das erste Jahr besteht aus Pflichtkursen, im zweiten Jahr sind Wahlfächer zu belegen sowie eine sechs- bis neunmonatige Forschungsarbeit anzufertigen.
Im dritten Jahr steht Praxistraining an der Universität und in Betrieben auf dem Lehrplan. Wie Haisma erklärte, können die Studenten hier zwischen zwei möglichen Richtungen wählen – Pharmaceutical Care und Product & Quality. An der öffentlichen Apotheke Interessierte wählen erstgenannte Richtung, an der Krankenhauspharmazie und Pharmaindustrie Interessierte die zweite.
Spezialisierte Apotheker
Die Studenten schließen das Studium als PharmD ab. Danach können sie sich weiter spezialisieren, zum Beispiel zum Apotheker für Offizinpharmazie (zwei Jahre) oder zum Krankenhausapotheker (vier Jahre). Für diese Weiterbildung ist nicht mehr die Universität, sondern die pharmazeutische Gesellschaft verantwortlich.
Um als spezialisierter Krankenhausapotheker arbeiten zu können, braucht man in den Niederlanden demnach eine mindestens zehnjährige Ausbildung. Diese haben circa 380 Kollegen im Krankenhaus absolviert. Wie Professor Dr. Arnold G. Vulto, Krankenhausapotheker aus Rotterdam, betonte, gibt es auch in den Niederlanden zu wenige Krankenhausapotheker. Mit 0,8 Pharmazeuten auf 100 Krankenhausbetten sind es zwar prozentual betrachtet deutlich mehr als in Deutschland (circa 0,3 Pharmazeuten pro 100 Krankenhausbetten). In Großbritannien liege dieser Wert jedoch bei 4,35 und damit um ein Vielfaches höher.
Die Krankenhausapotheker würden einige wichtige Aufgaben übernehmen, sagte Vulto. Seit 1999 haben sie eine per Gesetz festgelegte Verantwortung für die Arzneistoffbehandlung, in den Laboren der Krankenhausapotheken wird therapeutisches Drug Monitoring durchgeführt und Apotheker sind – ebenfalls per Gesetz – an klinischen Studien beteiligt. So ist immer auch ein Krankenhausapotheker Mitglied der Ethikkommission und alle Prüfmedikamente werden über die Krankenhausapotheke abgegeben.
Noch ein Unterschied zu Deutschland: Die Zusammenarbeit mit den Ärzten wird durch eine gemeinsame, landesweit von allen Heilberuflern genutzte Arzneistoff-Datenbank (G-Standaard) erleichtert. »Das ist Gold wert für die Kommunikation über Arzneistoffe«, so Vulto. /