Pharmazeutische Zeitung online
Sekundärprävention

Medikamente nach Herzinfarkt

04.10.2017  10:18 Uhr

Von Yvonne Hopf / Viele Menschen trifft der erste Herzinfarkt ganz unvorbereitet. Haben sie das einschneidende Ereignis ­überlebt, sollen sie fortan täglich vier bis fünf Medikamente ­einnehmen – eine große Umstellung für Patienten, die sich vorher gesund fühlten. Apotheker können sich hier als Anlaufstelle für alle Fragen rund um Arzneimittel etablieren.

Koronare Herzkrankheit (KHK) und Herzinfarkt sind nach wie vor die ­uneingeschränkten Spitzenreiter bei den Todesursachen in Deutschland (1). Aufgrund der verbesserten medizinischen Versorgung und Diagnostik ist es in den letzten Jahren gelungen, die Mortalität bei Herzinfarkt zu ­senken. Als erster wichtiger Schritt ­wurde die Fibrinolyse in die Klinik eingeführt. Durch Einführung der per­kutanen Koronarangiografie (PCI) und Nutzung von Stents, um verschlossene Koronargefäße wieder zu öffnen und weiterhin offenzuhalten, wurde die Mortalität gegenüber der Lysetherapie weiter gesenkt (2). Starben 2003 noch 7,5 Prozent an einem akuten Herzinfarkt, so waren es 2013 »nur« noch 5,8 Prozent (1).

 

Ziele der Sekundärprävention

Die weitere medikamentöse Therapie, sei es akut im Krankenhaus oder anschließend ambulant, ist wichtig, um einen Reinfarkt zu verhindern und die Sterblichkeit weiter zu senken. Die 2016 neu herausgegebene Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardiology, ESC) zur Behandlung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ­ST-Hebung (NSTEMI) bietet eine umfassende Übersicht über Diagnose, ­Behandlung der akuten Phase und Therapie von besonderen Patientengruppen (3; Pocket-Leitlinie in deutscher Sprache abrufbar unter https://leitlinien.dgk.org). Ob der Patient ein akutes Koronarsyndrom mit oder ohne ST-Hebung im Elektrokardiogramm hat, spielt hauptsächlich für die Diagnostik und die Akutbehandlung im Krankenhaus eine Rolle. Die Empfehlungen für die medikamentöse Sekundärprävention unterscheiden sich nicht.

 

Als Herzinfarkt wird eine Sauer­stoffunterversorgung aufgrund eines Verschlusses eines Koronargefäßes bezeichnet. Je länger der Verschluss ­andauert, umso mehr Muskelgewebe stirbt ab: »Zeit ist Muskel«.

 

Ziel der medikamentösen Therapie ist zum einen die Verbesserung des Sauerstoffangebots sowie die Verringerung des Sauerstoffbedarfs des Myokards. Zudem muss dafür gesorgt werden, dass die Gefäßeröffnung durch einen eingesetzten Stent Bestand hat. Dies wird prinzipiell durch vier Arzneistoffgruppen erreicht:

 

  • Thrombozytenaggregationshemmer (TAH): Acetylsalicylsäure (ASS) und ADP-Antagonisten,
  • Angiotensin-Converting-Enzyme-Inhibitoren, kurz ACE-Hemmer,
  • β-Rezeptorenblocker und
  • Cholesterol-Synthese-Enzym (CSE)-Hemmer, kurz Statine.

Eine Übersicht der Arzneistoffgruppen mit Beispielen zeigt die Tabelle 1.

 

Die Basis: ASS und ­ADP-Antagonisten

 

Arterielle Thromben entstehen durch Blutplättchen, die auf körperfremden Substanzen, zum Beispiel den Führungsdrähten im Kardiolabor, mechanischen Herzklappen oder Stents, Thromben bilden. Eine Verhinderung der Thrombozytenaggregation ist daher ein wichtiger Bestandteil der medikamentösen Therapie nach Herzinfarkt.

 

Acetylsalicylsäure ist nach wie vor einer der wichtigsten TAH weltweit und wird sowohl in der Akuttherapie als auch in der Reinfarkt-Prophylaxe eingesetzt. Die ISIS-2-Studie konnte nachweisen, dass die sofortige Gabe bei Verdacht auf Myokardinfarkt (MI) die Letalität um 20 Prozent reduziert (4). Die irreversible Hemmung der ­Cyclooxigenase (COX) in den zellkern­losen Thrombozyten erklärt die lang andauernde Wirkung trotz einer kurzen Halbwertszeit von etwa 15 Minuten. Die Aggregationshemmung kann nur durch die Neubildung von Thrombo­zyten aufgehoben werden.

 

ADP-Antagonisten wie Clopidogrel sollten laut Zulassung und Fachinformation immer zusammen mit ASS gegeben werden. Prasugrel wirkt schneller und stärker als Clopidogrel und wird den Patienten aufgrund des schnellen Wirkeintritts erst während der Herzkatheter-Untersuchung (perkutane koronare Intervention) gegeben. Beide Stoffe liegen als Prodrug vor und müssen zunächst unter anderem über CYP-Enzyme aktiviert werden.

 

Ticagrelor bewirkt im Gegensatz zu den zwei älteren Substanzen nur eine reversible Hemmung und muss daher zweimal täglich eingenommen werden. Es ist aber der einzige ADP-Ant­agonist, die nicht als Prodrug vorliegt und somit nicht auf eine Metabolisierung angewiesen ist, um zu wirken. ­Zudem können die Tabletten bei Schluckbeschwerden zerstoßen und wenn ­nötig auch über eine transnasale Magensonde gegeben werden.

 

ACE-Hemmer verhindern Remodelling

ACE-Hemmer senken die Frühletalität nach einem Herzinfarkt, indem sie das Remodelling, also das Umwandeln von geschädigten Muskelzellen in Bindegewebe verhindern (5). Alle ACE-Hemmer weisen eine kurze Plasma-Halbwertszeit (HWZ), aber auch eine sehr langsame Dissoziation vom Zielenzym auf. Dadurch zeigen sie eine sehr lange Wirkdauer (mit Ausnahme von Capto­pril), sodass aus pharmakokinetischer Sicht eine einmal tägliche Gabe ausreicht.

 

Die wohl bekannteste Nebenwirkung ist ein trockener Reizhusten, der häufig während der ersten zwölf ­Wochen der Behandlung auftritt. Laut Zulassungsstudie und Fachinformation wird die Häufigkeit mit 10 Prozent ­beziffert, gefühlt kommt diese UAW häufiger vor.

 

Bei Auftreten von Nebenwirkungen, zum Beispiel Reizhusten, werden ACE-Hemmer häufig durch Angiotensin-II-Rezeptorblocker (ARB, »Sartane«) ersetzt. Über die selektive Hemmung von AT1-Rezeptoren hemmen die ARB die Sympathikus-Aktivierung und verursachen so eine Vasodilatation. Da diese Wirkstoffe den Bradykinin-Abbau nicht beeinträchtigen, sollte kein trockener Reizhusten entstehen. Als Nebenwirkungen treten eher erhöhte Kalium-, Kreatinin- und Transaminasenwerte auf.

 

Herzarbeit verbessern: β-Rezeptorenblocker

 

Betablocker blockieren die Katechol­amin-Effekte an den Beta-Rezeptoren, unter anderem auch an den Herzmuskelzellen. Daraus resultiert eine Reduktion der Herzfrequenz, des Blutdrucks sowie der Kontraktilität. Das bedeutet: Betablocker senken den Sauerstoffbedarf des Myokards und verbessern gleichzeitig das Sauerstoffangebot der Herzmuskelzellen. Das Herz arbeitet »ökonomischer« (6).

 

Der Einsatz von Betablockern in der Sekundärprophylaxe wird immer wieder kritisch diskutiert. Lange Zeit galten sie sogar als kontraindiziert bei Menschen mit Diabetes mellitus, da sie durch ihre pharmakologische Wirkung die Symptome einer Hypoglykämie verschleiern können. Da aber Arrhythmien nach Herzinfarkt immer noch zu der hohen Mortalität des Infarkts beitragen, wird der Nutzen von kardioselek­tiven Wirkstoffen höher bewertet als das Risiko für Diabetes-Patienten. Nichtsdestotrotz sollten diese über das Risiko aufgeklärt werden.

 

Bei gut eingestellten Diabetikern ist der Einsatz relativ problemlos. Entwickeln sie allerdings unter Betablockade vermehrt Hypoglykämien, so bietet sich ein Switch auf ein Mittel der ­zweiten Wahl an, einen frequenzlimitierenden Calciumkanalblocker wie Dilti­azem. Auch bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation zu Betablockern sind Calciumkanalblocker die medikamentöse Alternative zur Senkung der Nachlast.

Tabelle 1: Medikamentöse Sekundärprävention bei Patienten nach Herzinfarkt

Wirkstoffe (Beispiele) Indikation Ziel Therapie­dauer Interaktionen Neben-
wirkungen
(Beispiele)
COX-Hemmung und TAH
ASS Thrombozyten- Aggregations­­hemmung Mortalität↓ Reinfarktrate ↓ Dauer-
therapie
andere Blutverdünner Blutungen, gastrointestinale Beschwerden
ADP-Antagonisten
Clopidogrel Prasugrel Ticagrelor Thrombozyten- Aggregations­hemmung, duale Anti-­Plättchen-Therapie (DAPT) Reinfarktrate ↓, Verhinderung thrombo- embolischer Ereignisse nach Stents BMS: 1 bis 12 Monate, DES: 6 bis 12 Monate, bei ASS-Unver­träglichkeit lebenslang CYP-3A4, 2C19 CYP-3A4, 2B6, 2C9, 2C19 CYP-3A4, p-Gp Blutungen, gastrointestinale Beschwerden
ACE-Hemmer
Ramipril, ­Lisinopril, Captopril Sekundär­-
prävention, ­reduzierte ­linksventrikuläre ­Funktion (LVF)
Reduktion der Nachlast Dauer-
therapie
mTOR-Inhibitoren, DDP-4-Inhibitoren, NSAR, Anti- diabetika, ­Lithiumsalze, ­Allopurinol, ­Immun- suppressiva Reizhusten,
akutes
Nierenversagen,
Leukopenie
AT1-Antagonisten (ARB)
Losartan, ­Irbesartan, Candesartan Unverträglichkeit von ACE-Hemmern, Herzinsuffizienz Reduktion der Nachlast Dauer-
therapie
2C9 (Losartan) Cave: kaliumsparende Diuretika Erhöhung von Kalium, Kreatinin, Transaminasen
HMG-CoA-Reduktase-Hemmer
Simvastatin, Atorvastatin, Pravastatin Sekundär-
prävention
LDL unter 70 mg/dl Dauer-
therapie
abhängig vom Wirkstoff, unter anderem 3A4, 2C9 Muskelschmerzen, Myopathien, Magen-Darm- Störungen
β-Rezeptoren-Blocker
Bisoprolol,­Metoprolol Sekundär-
prävention Reduktion von ­Arrhythmien/ ­Kammer-
flimmern
Mortalität ↓ Frequenz 60/min Dauer-
therapie
p-GP (Betablocker sind Substrate); Calcium-Kanal-Blocker Bradykardien, ­Verschlechterung ­peripherer Durch­blutungsstörungen, Reizschwellen-
erhöhung bei Schrittmacher
Calcium-Kanal-Blocker (Nicht-Dihdropyridine) als Alternative zu Betablockern
Verapamil, Diltiazem Unverträglichkeit von Betablockern Steigerung der Myokard-durchblutung Dauer-
therapie
CYP 3A4 unerwünscht starker Abfall des Blutdrucks, Kopfschmerzen, Hautrötung, Knöchelödeme

Viertes Standbein: ­CSE-Hemmer

 

Statine sind neben ACE-Hemmern und Betablockern ein weiteres wichtiges Standbein in der Sekundärprophylaxe des Herzinfarkts. Die Studienlage zeigt sehr deutlich, dass eine Cholesterolsenkung sowohl die Infarkthäufigkeit als auch die Gesamtmortalität senken kann (7-10).

 

Dabei können die LDL-Werte sogar helfen, das Risiko für einen weiteren Infarkt abzuschätzen. Bei LDL-Werten über 160 mg/dl liegt die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten fünf Jahren einen weiteren Infarkt zu erleiden, immerhin bei 50 Prozent; bei Werten über 190 mg/dl sogar bei fast 100 Prozent (11). Der LDL-Zielwert für die ­Sekundärprophylaxe liegt bei unter 70 mg/dl (3).

 

Von dualer Antiplättchen- zur Triple-Therapie

 

Der Einsatz der dualen Antiplättchentherapie (DAPT), das heißt einer zweifachen Plättchenhemmung, zum Beispiel mit ASS plus Clopidogrel, hat massiv zur Mortalitätsreduktion nach Stent­implantation beigetragen. Je nach eingesetztem Material wird eine DAPT von mindestens einem Monat (bare metal stent, BMS) oder mindestens sechs Monaten (drug eluting stent, DES) empfohlen. Die maximale Therapielänge beträgt momentan laut Fachinformationen und aktuellen Leitlinien in beiden Fällen zwölf Monate. Ein längerer Einsatz wird kontrovers diskutiert; dabei sind Risiken wie erhöhte Blutungsneigung und assoziierte Komplikationen und Benefit (Mortalitäts­reduktion) abzuwägen. Es gibt noch keine Studien hierzu.

 

Die ISAR-SAFE-Studie wollte eine Therapiedauer von sechs gegen zwölf Monate Clopidogrel nach DES testen (12). Aufgrund zu niedriger Beteiligung wurde die Studie vorzeitig abgebrochen, denn statt der erwarteten 6000 Patienten wurden nur gut 4000 rekrutiert. Die Ergebnisse waren statistisch nicht signifikant (12).

 

Was tun, wenn der Patient mit Herzinfarkt bereits vorher eine orale Anti­koagulation (OAK) eingenommen hat oder während des DAPT-Zeitraums eine solche benötigt, zum Beispiel wegen Vorhofflimmerns? Je nach patientenindividuellem Blutungsrisiko, das mithilfe des sogenannten HASBLED-Scores ermittelt werden kann, gibt es zwei Szenarien (3).

 

  • Hohes Blutungsrisiko (HASBLED > 2): Der Patient erhält einen Monat eine Dreifachtherapie mit Aspirin, Clopidogrel und OAK, danach für weitere elf Monate eine Zweifachtherapie aus dem OAK plus entweder ASS oder Clopidogrel.
  • Niedriges Blutungsrisiko (HASBLED < 2): Die Dreifachtherapie aus ASS, Clopidogrel und OAK wird für sechs Monate gegeben; danach folgen sechs Monate mit OAK und ASS oder Clopidogrel.

AMTS-Hinweise für die Sekundärprophylaxe

Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, wird ein großer Teil der Wirkstoffe über CYP-Enzyme verstoffwechselt. Als Beispiel: Simvastatin, einer der Klassiker in der Sekundärprävention, wird über CYP-3A4 metabolisiert. Nimmt der Patient zusätzlich einen potenten CYP-3A4-Hemmstoff wie Clarithromycin ein, wird der Abbau von Simvastatin gestoppt und die Plasmaspiegel steigen dramatisch. Laut Angaben des Interaktionsmoduls von AiDKlinik® Software von Dosing GmbH kann die Kombina­tion die AUC um 885 Prozent und Cmax um 609 Prozent erhöhen. Eine Dosis­reduktion würde nicht ausreichen, um eventuelle Nebenwirkungen aufgrund einer Überdosierung von Simvastatin zu verhindern.

 

Clopidogrel wird unter anderem über CYP-2C19 verstoffwechselt. Einer der Gründe, die für ein Versagen von Clopidogrel in der DAPT diskutiert werden, ist ein genetischer Polymorphismus dieses Enzyms. Patienten mit CYP-2C19* haben eine genetisch bedingt verringerte Enzymaktivität. Bei Europäern betrifft es vermutlich 2 bis 5 Prozent der Bevölkerung (13).

 

Selbst ohne genetische Mutation kann der Metabolismus von Clopido­grel eingeschränkt sein. Beispielsweise kann Omeprazol als 2C19-Inhibitor zu einer verminderten Aktivierung von Clopidogrel und somit zu einer ge­ringeren Thrombozytenaggregationshemmung führen. Eine vermutete ­erhöhte Mortalität oder vermehrte ­kardiovaskuläre Ereignisse aufgrund dieser Interaktion konnten bisher aber nicht eindeutig nachgewiesen werden (14). Da PPI bekanntermaßen häufig ohne triftigen Grund (weiter)verschrieben werden, empfiehlt sich bei Herz­infarktpatienten eine strenge Indika­tionsstellung. Gegebenenfalls ist ein Wechsel auf einen Histamin-H2-Hemmer oder zu Prasugrel (verminderte ­Interaktion) oder Ticagrelor (keine ­Interaktion) angezeigt.

 

In puncto Interaktionen sind auch Stoffe zu beachten, die nicht über die Apotheke abgegeben werden. Zum Beispiel Zigaretten: Verantwortlich für den hohen Prozentsatz an CYP-Interaktionen sind die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe, die unter anderem CYP-1A2 induzieren, über das beispielsweise Verapamil oder Theophyllin abgebaut wird. Ein Rauchstopp kann dann zu Nebenwirkungen aufgrund von zu hohen Dosen führen. Nikotin hingegen sorgt eher für zentrale Effekte auf den Körper, zum Beispiel dosisabhängig auf den Blutdruck, der entweder erhöht (niedrige Dosis) oder gesenkt (hohe Dosis) wird.

 

Eine weitere bekannte CYP-Interaktion mit einem alltäglichen Stoff ist die Hemmung von CYP-3A4 durch Fruchtsäfte wie Grapefruitsaft. Die Hemmung ist nicht quantifizierbar. Daher informieren die entsprechenden Fachinformationen, dass Patienten, die Amiodaron, Calciumkanalblocker und/oder Statine einnehmen, auf den Genuss ganzer Grapefruits und den Saft verzichten sollten.

 

Apotheker sollten Postinfarkt-Patienten auch darauf hinweisen, dass viele Wirkstoffe die Lichtempfindlichkeit der Haut steigern können. Eine Kombination aus Ramipril, Simvastatin und Furosemid ist nicht unwahrscheinlich. Alle drei Stoffe können photosensibilisierend wirken (15). Ein gut platzierter Ratschlag zur Vermeidung von Sonneneinstrahlung kann einen Sonnenbrand verhindern!

 

Bei älteren Patienten ­ zu beachten

Ältere Patienten stellen immer eine besondere Patientengruppe dar, da sich mit höherem Alter einige pharmakokinetische und pharmakodynamische Eigenschaften ändern. Durch den abnehmenden Körperwasseranteil bei steigendem Fettanteil kann sich das Verteilungsvolumen von Arzneistoffen ändern (16). Lipophile Arzneimittel wirken nicht mehr so gut, während hydrophile Wirkstoffe bei gleicher Dosierung dann UAW hervorrufen. Bei Patienten mit Herzinfarkt in der Vorgeschichte ist zu bedenken, dass die Sensitivität der Beta-Rezeptoren mit steigendem Alter abnimmt (16) und somit β-Rezep­to­renblocker eventuell keine so starke Blutdrucksenkung mehr hervorrufen wie in jüngeren Jahren. Dazu kommt, dass eine neuere Studie den Einsatz und Nutzen von Betablockern bei über-65-jährigen Patienten wieder einmal insgesamt infrage stellt.

 

Bezüglich anticholinerger Nebenwirkungen (17) ist zu bedenken, dass bei älteren Menschen aufgrund einer Verringerung der cholinergen Reserven die Anfälligkeit für periphere und zentrale anticholinerge Störungen erhöht ist (11). Selbst bei therapeutischen Dosen, zum Beispiel von Amitriptylin oder Tolterodin, können bereits anticholinerge Effekte auftreten.

 

Nach der ESC-Leitlinie sollte die antithrombotische Therapie auf das Körpergewicht und die Nierenfunktion der älteren Patienten ausgerichtet sein. Die Leitlinie fordert auch eine dosisadaptierte Behandlung mit Betablockern, ACE-Hemmern, Sartanen sowie Statinen (3).

 

Zur weiteren Bewertung der Therapie von Patienten über 65 Jahren lohnt es sich, die FORTA-Liste zu nutzen. Diese Liste – FORTA steht für »Fit for the Aged« – ist eine indikationsbezogene Bewertung von Arzneimitteln im Alter (18, 19) und wurde im Titelbeitrag der PZ 31/2017 ausführlich erklärt. Wirkstoffe sind unter unterschiedlichen Indikationen gelistet und können sowohl mehrfach gelistet sein als auch je nach Indikation eine positivere oder negativere Bewertung erhalten. Tabelle 2 zeigt die Bewertung der »klassischen« Medikamente nach Herzinfarkt gemäß FORTA-Liste.

 

Was tun bei Diabetes, Herz- und Niereninsuffizienz?

Bei Patienten mit Diabetes betreffen viele Empfehlungen der aktuellen Leitlinie zunächst den Aufenthalt im Krankenhaus. Gerade in der Akutphase sollte der Blutzucker sehr engmaschig kontrolliert werden. Die Nierenfunk­tion sollte bis zu 72 Stunden nach der Behandlung im Herzkatheterlabor regelmäßig kontrolliert werden. Diabetes-Patienten erhalten ansonsten die gleiche medikamentöse Behandlung wie Nicht-Diabetiker (3).

 

Patienten mit Herzinsuffizienz sollten auf jeden Fall einen ACE-Hemmer erhalten sowie bei einer reduzierten linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF kleiner/gleich 40 Prozent) nach Stabilisierung auch einen Betablocker und einen Aldo­steron-Antagonisten. Spironolacton ist hier Mittel der ersten Wahl (3).

 

Bei Niereninsuffizienz sollten Arzt und Apotheker immer daran denken, Dosierungen an die gegenwärtige Nierenfunktion anzupassen. Dabei gilt: Nicht zwangsläufig wird eine Arzneistoffgruppe ungeeignet, nur weil ein einzelner Stoff nicht mehr für den Patienten geeignet ist. Bei einer allgemein guten Verträglichkeit ist zu prüfen, ob ein Wechsel innerhalb der Arzneistoffgruppe möglich ist. Bei den Sartanen liegen für Valsartan und eine GFR unter 10 ml/min keine Erfahrungen vor; für Losartan heißt es lediglich, dass keine Dosisanpassung notwendig sei.

Tabelle 2: Bewertung der FORTA-Liste für die von der Leitlinie empfohlenen Arzneistoffe für die Therapie nach Herzinfarkt

Arzneistoff(-klasse) Bewertung FORTA
Acetylsalicylsäure A
ADP-Rezeptorantagonisten: Clopidogrel, Prasugrel Ticagrelor B, bei Stent: A C (Datenmangel)
Betablocker, frequenzsenkend A (Therapiedauer unter drei Jahren) B (Therapiedauer über drei Jahren)
Calciumkanalblocker D (wenn keine Hypertonie vorliegt)
ACE-Hemmer A
CSE-Hemmer A B (bei Patienten über 85 Jahre)

A: Arzneistoff mit im Alter positiver Nutzenbewertung; B: Arzneistoff mit nachgewiesener Wirksamkeit, aber auch Risiken; C: Wirkstoff mit ungünstiger Nutzen-Risiko-Relation; D: Wirkstoff, der im Alter fast immer vermieden werden sollte

Arrhythmien und ­Herzinsuffizienz

 

Herzrhythmusstörungen, zum Beispiel supraventrikuläre Tachykardien (SVT) bis hin zum Kammerflimmern, sind für die nach wie vor hohe prä-hospitale Sterblichkeit von Herzinfarkt-Patienten verantwortlich. Auch nach erfolgreicher Reperfusion ist das Risiko für SVT erhöht. Daher sollten die Patienten für mindestens 24 Stunden nach PCI per EKG-Monitoring kontrolliert werden (20). ACE-Hemmer und Sartane reduzieren in dieser Patientengruppe die 30-Tage-Mortalität. Auch eine frühe Behandlung mit Betablockern – innerhalb von 24 Stunden nach Infarkt – konnte die Mortalität von Patienten mit frühen ­Arrhythmien deutlich senken (21).

 

Abhängig von der Größe des Infarkts und der zugrunde gegangenen Herzmuskelmasse sinkt die ventrikuläre Pumpfunktion des Herzens: Eine Herzinsuffizienz entsteht. Das Ausmaß des Pumpverlusts kann als Prädiktor für die Sterblichkeit nach Herzinfarkt dienen. In der Tat steigt die Zahl der ­Patienten, die aufgrund von Herzinsuffizienz behandelt werden. Dies liegt daran, dass immer mehr Patienten ihren Herzinfarkt überleben und je nach Infarktgröße und Revaskularisation eine Herzinsuffizienz bekommen. Diese sollte in der Sekundärprävention auf jeden Fall mitbehandelt werden, um weiteren Infarkten vorzubeugen.

 

Herzinsuffizienz-Patienten sollten auch ACE-Hemmer und Betablocker ­erhalten. Bei Nichtvertragen des ACE-Hemmers gelten die ARB als Mittel der Wahl; Valsartan wird bei Herzinsuffizienz bevorzugt eingesetzt (3).

 

Betablocker werden sehr langsam aufdosiert, um gerade zu Beginn der Therapie die negativ inotrope Wirkung zu reduzieren. Man startet mit ungefähr einem Zehntel (!) der angestrebten Enddosis; diese Dosis kann wöchentlich gesteigert werden, immer in Abhängigkeit von der Verträglichkeit. Zunächst wird neben dem Blutdruck auch die Auswurffraktion reduziert. Es dauert mehrere Monate, bis die »Ökonomisierung der Herzarbeit« (6) einsetzt, also die Erhöhung der Auswurffraktion bei gleichzeitiger Reduktion der Nachlast. Aufgrund dieser Zeitverzögerung werden von Therapiebeginn an bereits Schleifendiuretika eingesetzt, um Vor-und Nachlast durch vermehrte Flüssigkeitsausscheidung zu reduzieren (6). Patienten mit stark reduzierter linksventrikulärer Auswurffraktion (unter 40 Prozent) sollten zusätzlich einen ­Aldosteron-Antagonisten wie Eplerenon oder Spironolacton erhalten.

 

Die neuen Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI) werden die Therapie der Herzinsuffizienz vermutlich auf den Kopf stellen, da die ­Addition von Sacubitril in klinischen Studien die Sterblichkeit weiter senken konnte (22, 23). Entresto®, eine Fixkombination aus Valsartan und Sacubitril, ist seit 2017 auf dem deutschen Markt erhältlich. Es sollte nur verschrieben werden, wenn die Standardtherapie versagt hat (23).

 

Bei der Abgabe bitte aufpassen: Beim Wechsel von einem ACE-Inhibitor auf einen ARNI muss zunächst der ACE-Inhibitor ausgewaschen werden, bevor ein ARNI zum Einsatz kommen darf. Hintergrund ist eine zu starke Blutdrucksenkung bei der Kombination aus einem ACE-Inhibitor und Neprilysin. Erhält der Patient bereits einen Angiotensin-Rezeptorblocker (Sartan), kann er ohne weiteres auf ein ARNI wechseln (aktuelle Fachinformation Entresto®).

Blutdruckabfall: »Die Tabletten sind schuld!«

Das Thema Einnahmetreue sollten Apotheker offen mit den Patienten besprechen. Gerade bei den blutdrucksenkenden Mitteln neigen viele dazu, Dosen ausfallen zu lassen, da die »Wirkung« ausbleibt oder unerwünschte (Neben-)Wirkungen spürbar werden. Gerade bei Erhöhung, zum Beispiel eines ACE-Hemmers, oder Addition eines weiteren Blutdrucksenkers kann der Blutdruck zwar auf die vom Arzt gewünschten physiologischen Werte fallen, für den Bluthochdruck-Patienten entspricht dieses Gefühl jedoch einem zu niedrigen Blutdruck. Er leidet an Kopfschmerzen und Schwindel und kommt »nicht richtig in Gang« – ­daran ist bestimmt nur »die neue Tablette schuld«!

 

Hier ist das Fingerspitzengefühl des beratenden Apothekers gefragt, denn dieses »Zu-Niedrig-Gefühl« besteht meist nur bei den ersten zwei bis drei Einnahmen. Dosiserhöhungen oder neue Antihypertensiva sollten daher entweder abends (mit niedrigem Blutdruck schläft man gut) oder am Wochenende angefangen werden. Dann aber muss sichergestellt sein, dass der Patient nicht sofort nach der Einnahme Auto fährt.

Zusammenfassung

 

Ziel der medikamentösen Therapie nach Herzinfarkt ist es, die Koronardurchblutung wiederherzustellen und nach einer PCI dauerhaft zu erhalten. Zusätzlich sollen weitere koronare Ereignisse verhindert und die Mortalität gesenkt werden. Gute pharmazeutische Betreuung und Beratung in der Apotheke kann diese Ziele unterstützen. Arzneimittelbezogene Probleme entstehen häufig durch Interaktionen und Nebenwirkungen. Zudem kann sich die Standardtherapie je nach Alter oder Ko-Morbidität der ­Patienten ändern. /

Die Autorin

Yvonne Hopf studierte Pharmazie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und erhielt 2003 die Approbation als Apothekerin. Sie arbeitete viele Jahre als Stationsapothekerin in einem Krankenhaus (Aberdeen Royal Infirmary, National Health Service Grampian) in Aberdeen und erwarb an der dortigen Universität 2006 den Master of Science in Klinischer Pharmakologie. 2012 schloss sie ihre Promotion in Applied Health Sciences ab. 2014 wechselte Dr. Hopf in die Apotheke des Klinikums der Universität München und arbeitete dort als ­Sta­tionsapothekerin und als Lehrbeauftragte für die Interdisziplinäre Lehre im Fach Klinische Pharmazie. 2017 erhielt sie die Anerkennung als Fach­apothekerin Klinische Pharmazie. Seit kurzem arbeitet sie am Klinikum der Universität München in der Apotheke im Bereich Arzneimittelinformation mit Schwerpunkt Arzneimittelanamnese.

 

Dr. Yvonne Marina Hopf
LMU Klinikum der Universität München
Pettenkofer Straße 8a
80336 München
E-Mail: yvonne.hopf@med.uni-muenchen.de

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