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Chronische Herzinsuffizienz

Medikamentöse Therapie im Umbruch

In der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz hat sich viel bewegt. Die Patienten erhalten zeitnah nach Diagnosestellung eine Kombination von Vertretern von vier Wirkstoffklassen, zu denen immer auch ein SGLT2-Inhibitor (»Gliflozin«) gehört. Die umfassende Therapie kann die Prognose nachweislich verbessern.
Dietmar Trenk
22.01.2023  08:00 Uhr

Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardio­logy, ESC) hat 2021 die Leitlinien zur Behandlung der akuten und der chro­nischen Herzinsuffizienz (heart failure, HF) überarbeitet (DOI: 10.1093/eurheartj/ehab368) (1). Es gab wesentliche Änderungen in der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejek­tionsfraktion (HFrEF) im Vergleich zur Vorgängerversion aus dem Jahr 2016. Die Pharmakotherapie wird nicht mehr stufenweise eskaliert, sondern umfasst von Anfang an vier Wirkstoffklassen, zu denen immer ein SGLT2-Inhibitor (Gliflozin) gehört. Dies verbessert nachweislich die Prognose!

Abzugrenzen ist die Therapie von Herzinsuffizienz-Patienten mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF) oder mit mäßiggradig reduzierter Ejektionsfraktion (HFmrEF). Da klinische Studien mit den SGLT2-Inhibitoren Empagliflozin und Dapagliflozin zur Verbesserung der Prognose dieser Patienten erst nach der Erstellung der aktuellen ESC-Leit­linie vorgestellt wurden, sind die Wirkstoffe zur Behandlung dieser Entitäten formal noch nicht in der Leitlinie berücksichtigt. Zwischenzeitlich wurde die Zulassung jedoch erteilt (Empagliflozin) oder wird zeitnah erwartet (­Dapagliflozin).

Epidemiologie und Pathophysiologie

Im Jahr 2017 waren in Deutschland etwa 2,5 Millionen Einwohner (3,4 Prozent) an einer Herzinsuffizienz erkrankt. Die Prävalenz zeigt einen steilen Anstieg jenseits der sechsten Lebensdekade (2). Aufgrund der demografischen Entwicklung muss mit einer weiteren Zunahme gerechnet werden.

Eine Herzinsuffizienz betrifft ein Fünftel der älteren Bevölkerung über 75 Jahre und hat eine hohe Morbidität und Mortalität. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt bei etwa 50 Prozent und ist vergleichbar mit der von häufigen Krebserkrankungen (Abbildung 1). Herzinsuffizienz ist die häufigste Dia­gnose, die zu einer Krankenhauseinweisung führt. Die durchschnittliche Liegedauer im Krankenhaus beträgt zehn Tage (3).

Es existiert bisher kein allgemeingültiges pathophysiologisches Modell der chronischen Herzinsuffizienz. Allerdings sind einige pathophysiologische Mechanismen bekannt, die zur komplexen Entstehung des Syndroms »chronische Herzinsuffizienz« beitragen.

Die chronische Herzinsuffizienz ist Folge einer myokardialen Schädigung. Diese kann auf krankhaften Veränderungen des Myokards, zum Beispiel infolge einer ischämischen Herzerkrankung, toxischen oder infiltrativen Gewebeveränderungen oder Stoffwechselstörungen wie Diabetes beruhen. Veränderte Lastbedingungen als Folge einer Hypertonie, von strukturellen Veränderungen der Herzklappen oder einer ­Volumenüberlastung sowie Herzrhythmusstörungen (Tachy- und Bradyar­rhythmie) können ebenfalls die Entstehung einer Herzinsuffizienz triggern.

Die daraus resultierende Verminderung der linksventrikulären Funktion aktiviert Gegenregulationsmechanismen wie das sympatho-adrenerge System, das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) und die Freisetzung von natriuretischen Peptiden. Diese Mechanismen verbessern zwar kurzfristig die Förderleistung des Herzens, führen aber langfristig in einem Circulus vitiosus zu einer weiteren myo­kardialen Zellschädigung und einer ­Manifestation der Herzinsuffizienz. Die Pharmakotherapie mit ACE-Hemmern und Betablockern war von daher immer darauf ausgerichtet, in diese Gegenregulationsmechanismen einzugreifen.

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