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Rheuma bei Kindern

Aggressiv behandeln

20.09.2011  16:03 Uhr

Von Michael van den Heuvel, München / Zur Behandlung der juvenilen idiopathischen Arthritis stehen heute zahlreiche Arzneistoffe zur Verfügung. Oft verläuft die Erkrankung schwerer als bei Erwachsenen, sodass bei Kindern häufig sogar aggressiver therapiert werden muss.

Rheuma hat viele Gesichter, auch sehr junge: Laut der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie leiden bundesweit rund 20 000 Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren an der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA), einer entzündlichen Gelenkerkrankung. Nicht selten verläuft die Erkrankung bei Kindern schwerer als bei Erwachsenen, wobei zudem auch innere Organe sowie die Augen betroffen sind. »Rheumakranke Kinder müssen daher nicht sanfter, sondern häufig sogar aggressiver als Erwachsene behandelt werden«, betonte Professor Dr. Dirk Föll vom Universitätsklinikum Münster auf dem 39. Rheumatologenkongress.

Neue Erkenntnisse

 

Entsprechend der S2-Leitlinie der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie gelten nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) sowie intra­artikuläre Gaben von Depot-Glucocorticoiden als ideal für die initiale Therapie. Werden jedoch innere Organe von der Entzündung angegriffen, sollten zeitlich befristet systemische Glucocorticoide zum Einsatz kommen. In schweren Fällen greifen Ärzte zu Methotrexat (MTX) als Basistherapeutikum, gegebenenfalls durch Folsäure ergänzt. Unklar war bislang, wie lange die MTX-Behandlung nach erfolgreicher Remission fortgesetzt werden muss, um ein Rezidiv zu vermeiden. Prinzipiell ging man davon aus, dass eine längere Weiterbehandlung mit einem geringeren Rückfallrisiko korreliert. Forscher um Professor Dr. Dirk Föll von der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Münster konnten dies nun widerlegen (JAMA 303, 2010, 1266-1273). Dazu behandelten sie 364 Kinder nach erfolgreicher Remission ein halbes beziehungsweise ganzes Jahr lang mit Methotrexat – und fanden vergleichbare Rückfallquoten. »Sechs Monate scheinen daher in der Regel völlig ausreichend zu sein«, sagte Föll. Für die Patienten bedeute dies einen erheblichen Gewinn an Lebensqualität.

 

Ob ein größeres Risiko für ein Rezidiv vorliegt, lässt sich mittlerweile auch aus dem Blut der JIA-Patienten ableiten. Ist der MRP8/14-Marker (Myeloid Related Protein) erhöht, sind Rückfälle recht wahrscheinlich. »In diesem Fall macht eine längere MTX-Behandlung Sinn«, differenziert Föll.

Nach dem Scheitern von Standardtherapeutika kommen Biologicals zum Einsatz. Gerade bei jungen Rheumapatienten scheint ihr früher Einsatz zahlreiche Vorteile zu bringen. Dies zeigte eine kürzlich veröffentlichte offene Multicenterstudie mit 60 Kindern (Ann Rheum Dis. 70, 2011, 1605-1612). Die dreiarmige Studie verglich die Wirksamkeit von dem TNF-α-Blocker Infliximab plus Methotrexat mit einer MTX-Monotherapie und einer Kombination aus Sulfasalazin plus Hydroxychloroquin plus Methotrexat. Nach 54 Wochen verbesserte sich das Krankheitsbild in der »Biological-Gruppe« bei mehr als 75 Prozent der Patienten im Vergleich zu 65 Prozent in der »Kombinationsgruppe« und zu 50 Prozent in der »Methotrexat-Gruppe«. Ähnliche Werte waren für eine Remission der Erkrankung zu beobachten: 68 Prozent (»Biologicals«), 40 Prozent (»Kombination«) und 25 Prozent (»Methotrexat«). Für die Praxis bedeutet dies, vor allem bei Kindern mit rheumatischen Erkrankungen bereits früh und stark zu intervenieren, um Schäden an Gelenken oder Organen zu vermeiden. »Eine aggressive Therapie entspricht nicht immer dem Verständnis der Eltern, ist aber für das Wohl des Kindes unerlässlich«, stellte Föll klar.

 

Versagen voraussagen

 

Die kürzlich überarbeitete, aber noch nicht veröffentlichte Leitlinie sieht noch eine weitere Option vor. Dazu Professor Dr. Tim Niehues, Ärztlicher Direktor des Helios Klinikums Krefeld: »Für die Polyarthritis wird neben Etanercept jetzt auch Adalimumab empfohlen. Aber immer erst, wenn NSAR, MTX oder intraartikuläre Steroide scheitern.«

 

Dennoch helfen Antikörper nicht allen Rheumakranken. Amsterdamer Forscher untersuchten 272 Patienten, die zusätzlich zu einer Basistherapie Adalimumab oder den Antikörper als Monotherapie erhielten (JAMA 305, 2011, 1460-1468). Bei 28 Prozent zeigten sich daraufhin Anti-Adalimumab-Antikörper (AAAK) und die Serumkonzentration des Biologicals sank. Therapieversager waren häufiger zu beobachten (38 Prozent gegenüber 14 Prozent ohne AAAK), auch die Remission der Grunderkrankung trat seltener ein (13 Prozent gegenüber 48 Prozent ohne AAAK). »Falls weitere Studien dies bestätigen sollten, legen die Daten nahe, dass sich im Einzelfall durch den Nachweis von AAAK ein Therapieversagen voraussagen lässt und dass dieser Nachweis deshalb klinisch im Sinne der individualisierten Therapie prädiktiv relevant sein kann«, ist sich Professor Dr. Hubert E. Blum von der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg sicher. Versagt Etanercept, verbleiben der Leitlinie nach noch Sulfasalazin, Leflunomid oder Azathioprin.

 

Zwar sind inzwischen viele der neuen Wirkstoffe auch für Kinder zugelassen, jedoch häufig lediglich für ein bestimmtes Krankheitsbild. Etanercept darf zum Beispiel bei der polyartikulären juvenilen chronischen Arthritis und Tocilizumab bei der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis (Still-Syndrom) eingesetzt werden. Die Off-Label-Therapie wirft neben der ärztlichen Haftung auch Fragen hinsichtlich der Kostenübernahme auf. Professor Dr. Gerd Horneff, Chefarzt der Allgemeinen Kinder- und Jugendmedizin an der Asklepios Kinderklinik in St. Augustin: »Wir kämpfen die eine Hälfte unserer Zeit gegen die Krankheit und die andere Hälfte gegen die Krankenkassen.« Oft lehnten die Krankenkassen eine Kostenübernahme mit dem Hinweis auf fehlende Zulassungsstudien ab. »Den Patienten drohen so bleibende Schäden«, konstatierte Horneff. Dabei gebe es in vielen Fällen gut dokumentierte Therapieerfolge. / 

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