Denosumab und Pazopanib |
03.08.2010 12:28 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler und Sven Siebenand / Zwei neue Arzneistoffe kamen in den vergangenen Wochen auf den Markt. Der Antikörper Denosumab ist der erste sogenannte RANK-Ligand-Hemmer, Pazopanib ein weiterer Tyrosinkinase-Inhibitor.
Orale Bisphosphonate sind die am häufigsten eingesetzten Osteoporose-Medikamente. Obwohl der Nutzen der spezifischen Medikation in Studien belegt ist, wird in Deutschland nur jede vierte Frau und jeder achte Mann mit Osteoporose behandelt. In höheren Altersgruppen ist der Anteil der therapierten Patienten sogar noch geringer – obwohl im Alter die meisten Knochenbrüche passieren.
Neben der geringen Versorgungsrate ist die Therapietreue ein weiteres Problem. Eine retrospektive Analyse zeigte, dass von etwa 4000 Frauen, die orale Bisphosphonate zur einmal wöchentlichen oder monatlichen Einnahme bekamen, nach einem Jahr nur noch 30 Prozent die Therapie befolgten. Sollten die Frauen das Medikament täglich einnehmen, waren nur noch 7 Prozent compliant.
Diese Daten zeigen deutlich, wie wichtig die Unterstützung des Apothekers in der Osteoporose-Therapie ist. Er kann die Patienten ermutigen, die komplizierte Einnahme kontinuierlich fortzusetzen, auch wenn kein Soforteffekt spürbar ist. Arzneimittel, die nur selten appliziert werden müssen, könnten einen Compliance-Vorteil bieten. Dazu zählt Denosumab, das in einer festen Dosierung von 60 mg einmal alle sechs Monate subkutan gespritzt wird. Wichtig für die Beratung: Die Patienten müssen zusätzlich ausreichend Calcium und Vitamin D aufnehmen.
Denosumab
Seit Anfang Juli steht mit Denosumab (Prolia 60 mg, Injektionslösung in einer Fertigspritze, Amgen, GSK) ein neues Medikament zur Behandlung der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen zur Verfügung. Zudem ist das Arzneimittel zugelassen zur Behandlung des Knochenschwunds bei Männern mit Prostatakrebs, die eine Androgenentzugstherapie (Hormonablation) bekommen.
Ein osteoporotischer Knochen ist bruchgefährdet. Dennoch erhält in Deutschland
nur eine Minderheit der Betroffenen eine Osteoporose-Therapie. Mit Denosumab gibt es nun eine weitere Behandlungsoption mit einem neuen Wirkmechanismus.
Foto: Amgen/GSK
Denosumab ist ein humaner monoklonaler IgG2-Antikörper, der mit hoher Affinität und Spezifität an das Protein RANK-Ligand (RANKL) bindet (siehe Kasten). Dies hindert RANKL daran, seinen Rezeptor RANK auf der Oberfläche von Osteoklasten-Vorläuferzellen zu besetzen. Die Unterbrechung der Rezeptor-Ligand-Interaktion hemmt die Differenzierung und Reifung von Osteoklasten aus den Vorläuferzellen und stört Funktion und Überleben dieser knochenabbauenden Zellen. In der Folge nimmt die Knochenresorption deutlich ab.
Die Effekte von Denosumab sind reversibel. Dies konnten Forscher anhand der Serumkonzentration von CTX, einem Marker der Knochenresorption, nachweisen. In Studien sanken die CTX-Spiegel innerhalb von drei Tagen nach der Injektion um etwa 85 Prozent und blieben für sechs Monate auf reduziertem, aber wieder ansteigendem Level. Folgte keine Injektion mehr, erreichten die CTX-Serumwerte innerhalb von neun Monaten wieder ihr Ausgangsniveau.
Das Medikament wurde umfangreich geprüft. In einer dreijährigen Studie mit mehr als 7800 postmenopausalen Frauen senkte das Verum das Risiko eines Wirbelkörperbruchs signifikant stärker als Placebo. Die relative Risikoreduktion lag bei 68 Prozent; absolut sank das Risiko von 7,2 auf 2,3 Prozent. Knochenbrüche an der Hüfte erlitten 1,2 Prozent der Frauen in der Placebogruppe und 0,7 Prozent in der Ve-rumgruppe (relative Reduktion um 40 Prozent). Wichtig für die Frauen ist, dass auch Brüche an anderen Knochen signifikant seltener waren. Bei der Bewertung der Ergebnisse ist zu berücksichtigen, dass zu Studienbeginn nur ein Viertel der Frauen bereits eine Wirbelkörperfraktur hatte. Alle erhielten zusätzlich mindestens 1000 mg Calcium und 400 I.E. Vitamin D.
Der Antikörper verbessert auch die Knochenmineraldichte, was mehrere Studien zeigten. Nach einem, zwei und drei Jahren war eine höhere Knochendichte an Lendenwirbelsäule, Hüfte und Schenkelhals sowie anderen Skelett-Messpunkten nachweisbar (im Vergleich zur Placebogabe). In Verlängerungsstudien blieb der Nutzen über vier und sechs Jahre erhalten. Eine erhöhte Knochenmineraldichte und ein reduziertes Risiko für Wirbelkörperbrüche wurden in einer dreijährigen Studie ebenfalls für Männer mit Prostatakarzinom nachgewiesen.
RANK: Receptor Activator of Nuclear Factor κB; Rezeptorprotein auf der Zelloberfläche von Prä-Osteoklasten und Osteoklasten.
RANK-Ligand: Protein, das von Osteoblasten sezerniert wird und an RANK bindet. Diese Bindung ist für die Entwicklung der Vorläuferzellen zu Osteoklasten sowie für die Aktivierung und Lebensdauer der reifen Osteoklasten essenziell.
OPG (Osteoprotegerin): Dieses Protein wird ebenfalls von Osteoblasten sezerniert und agiert als löslicher RANK-Ligand-Rezeptor. OPG konkurriert mit RANK um RANK-Ligand und hemmt auf diese Weise die Osteoklastenaktivität.
Denosumab 60 mg subkutan alle sechs Monate konnte sich auch im direkten Vergleich mit Alendronat (einmal wöchentlich 70 mg peroral) behaupten. In zwei einjährigen Studien mit knapp 1700 Frauen nach den Wechseljahren erhöhte das neue Medikament die Knochendichte stärker als das Bisphosphonat. Die histologische Untersuchung (bei 62 Frauen) zeigte eine normale Architektur und Qualität des Knochens.
Laut Fachinformation waren Infektionen der Harnwege und der oberen Atemwege, Ischiassyndrom, Obstipation, Hautausschläge und Gliederschmerzen häufige Nebenwirkungen. Hautinfektionen, vor allem bakterielle Entzündungen des Unterhautgewebes, waren unter Placebo und Denosumab gleich selten, können aber schwer verlaufen. Der Apotheker sollte den Patienten darauf hinweisen, dass er bei Anzeichen einer Hautinfektion sofort zum Arzt gehen sollte.
Osteonekrosen im Kiefer, eine bei Bisphosphonaten gefürchtete Komplikation, waren selten und traten meist bei Tumorpatienten auf. Eine Zahnuntersuchung vor Therapiebeginn sowie eine dauerhaft gute Mundhygiene können das Risiko dieser schweren Nebenwirkung begrenzen. In einer Studie mit Krebspatienten wurden vermehrt Katarakte in der Denosumab-Gruppe beobachtet. Neutralisierende Antikörper gegen Denosumab wurden nicht nachgewiesen, was bei einem vollhumanen Antikörper gut nachvollziehbar ist.
Pazopanib
Ein Nierenzellkarzinom ist die häufigste Art eines bösartigen Nierentumors und macht etwa 90 Prozent aller Krebserkrankungen dieses Organs aus. In Deutschland wird die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen an Nierenkrebs auf mehr als 17 000 geschätzt. Obwohl bei Patienten in den Frühstadien durch einen operativen Eingriff eine Heilung möglich ist, kommt es nach der Operation häufig zu einem Rezidiv, oder die Erkrankung ist zum Zeitpunkt der Erstdiagnose bereits fortgeschritten. Bei etwa 30 Prozent der Nierenkrebs-Patienten ist das der Fall. Zum Zeitpunkt der Diagnose ist der Krebs bei ihnen bereits über die Nieren hinaus metastasiert.
Pazopanib (Stickstoff: dunkelblau, Schwefel: gelb, Sauerstoff: rot, Wasserstoff: hellblau)
Grafiken: Höltje, Berlin
Seit Mitte Juli ist mit dem »small molecule« Pazopanib (Votrient® 200 und 400 mg Filmtabletten, GSK) eine neue Therapieoption auf dem deutschen Markt verfügbar. Der Wirkstoff ist zur Erstlinien-Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom und für Patienten, die vorher eine Therapie ihrer fortgeschrittenen Erkrankung mit Zytokinen erhalten hatten, angezeigt. Die Zulassung hat die europäische Arzneimittelagentur EMA unter Auflagen erteilt. Sie fordert weitere Daten aus einer laufenden Vergleichsstudie mit Sunitinib (siehe Kasten). Die bedingte Zulassung muss jährlich erneuert werden.
Das Unternehmen GSK hat im Jahr 2008 eine direkte Vergleichsstudie (COMPARZ) mit dem Multi-Kinase-Inhibitor Sunitinib bei First-line-Patienten mit metastasiertem oder lokal fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom gestartet. Die Studie schließt 876 Patienten ein, hat mittlerweile voll rekrutiert und soll im kommenden Jahr direkte Vergleichsdaten bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit zwischen den beiden Substanzen liefern.
Die Angiogenese, der Prozess der Neubildung von Blutgefäßen, spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung, beim Wachstum und bei der Progression bösartiger solider Tumore. Pazopanib ist ein oraler Multi-Tyrosinkinase-Inhibitor, der an den Rezeptor-Tyrosinkinasen VEGFR (Vascular Endothelial Growth Factor Receptor, vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor-Rezeptor) 1, 2 und 3, am PDGFR (Platelet-Derived Growth Factor Receptor) und an c-kit angreift, welche an der Angiogenese und am Tumorzellwachstum beteiligt sind. Vor allem das Protein VEGF unterstützt die Angiogenese durch Bindung an seine Rezeptoren VEGFR 1, 2 und 3, wodurch andere Proteine in diesem Signaltransduktionsweg modifiziert werden. Der angiogenetische Effekt des PDGFR-Signaltransduktionsweg ist eher genereller Natur und wird bei der Angiogenese solider Tumore mit der Ansammlung von Perizyten in Zusammenhang gebracht. PDGF wird damit für die Reifung und Stabilisierung von Blutgefäßen verantwortlich gemacht. c-kit ist eine weitere in der Zellmembran verankerte Rezeptor-Tyrosinkinase. Sie spielt eine wichtige Rolle bei Wachstum und Differenzierung von Stammzellen und ist ebenfalls für die Angiogenese bedeutsam. Eine Überexpression von c-kit wird bei einer Reihe verschiedener Krebsformen gefunden, etwa bei Keimzelltumoren, Melanomen und Leukämien.
Sicherheit und Wirksamkeit von Pazopanib beim Nierenzellkarzinom wurden in einer randomisierten, placebokontrollierten und doppelblinden Multicenterstudie (VEG105192) geprüft. Insgesamt erhielten 435 Patienten mit lokal fortgeschrittenem und/oder metastasiertem Nierenzellkarzinom entweder 800 mg Pazopanib einmal täglich oder Placebo. Primärer Zielparameter war die Beurteilung und der Vergleich beider Studienarme anhand des progressionsfreien Überlebens. 233 Studienteilnehmer waren nicht vorbehandelt, 202 Patienten hatten zuvor bereits eine IL-2- oder Interferon-α-basierte Therapie erhalten. In der Gruppe der nicht-vorbehandelten Patienten konnte das mediane progressionsfreie Überleben von 2,8 Monaten unter Placebo auf 11,1 Monate unter Pazopanib verlängert werden. Bei den mit Zytokinen vorbehandelten Patienten betrug dieser Unterschied 4,2 versus 7,4 Monate, in der Gesamtgruppe 4,2 versus 9,2 Monate.
Die empfohlene Dosis für Pazopanib beträgt 800 mg einmal täglich. Apotheker sollte dazu raten, das Mittel auf nüchternen Magen, entweder mindestens eine Stunde vor oder mindestens zwei Stunden nach einer Mahlzeit, einzunehmen. Wichtig: Patienten müssen die Filmtabletten unzerkaut einnehmen und dürfen diese auch nicht zerbrechen oder zerkleinern. Patienten mit leichter bis mäßiger Leberfunktionsstörung sollten den Tyrosinkinase-Hemmer nur mit Vorsicht und unter engmaschiger Überwachung erhalten. Bei mäßiger Leberfunktionsstörung wird eine reduzierte Dosis von 200 mg pro Tag empfohlen, bei schwerer Leberfunktionsstörung ist Pazopanib kontraindiziert. Laut Fachinformation müssen Ärzte einige Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen bei der Anwendung von Pazopanib kennen. Unter anderem sollten sie darauf achten, vor Beginn der Therapie den Blutdruck gut einzustellen. Da Inhibitoren des VEGF die Wundheilung verzögern können, sollte die Einnahme von Pazopanib mindestens sieben Tage vor einer Operation beendet werden; nach der Operation kann der Arzt die Einnahme – nach Beurteilung der Wundheilung – wieder aufnehmen lassen.
Die Metabolisierung von Pazopanib erfolgt in der Leber hauptsächlich über CYP3A4, zu geringeren Teilen auch über CYP1A2 und CYP2C8. P-Glycoprotein (P-gp)- und Brustkrebsresistenz-Protein (BCRP) spielen bei der Metabolisierung ebenfalls eine Rolle. Wechselwirkungen mit Substraten dieser Enzyme sind daher möglich. So kann zum Beispiel die gleichzeitige Einnahme von starken CYP3A4-Hemmern (etwa Ketoconazol, Clarithromycin, Itraconazol und auch Grapefruitsaft) die Pazopanib-Konzentration erhöhen und sollte deshalb vermieden werden. Eine gleichzeitige Anwendung von CYP3A4-Induktoren wie Rifampicin sollte wegen der Gefahr einer verringerten Pazopanib-Konzentration ebenfalls aus-bleiben.
Als häufigste Nebenwirkungen von Pazopanib (bei mindestens 20 Prozent der Patienten) fanden sich Durchfälle, Blutdrucksteigerungen, farbliche Veränderungen der Haare, Übelkeit, Anorexie und Erbrechen. Zu den wichtigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen zählten unter anderem Schlaganfälle, Ischämien sowie Blutungen. Sie wurden bei weniger als 1 Prozent der behandelten Patienten berichtet. /
Mit Denosumab steht für postmenopausale Frauen eine neue Substanz für die Behandlung der Osteoporose zur Verfügung. Außerdem ist die Substanz zur Therapie des Knochenschwunds bei Männern mit Prostatakrebs unter einer Androgenentzugstherapie zugelassen. Denosumab ist ein humaner monoklonaler IgG2-Antikörper mit einer hohen Affinität und Spezifität zum Protein RANK-Ligand. Durch diese Interaktion wird die Differenzierung und Reifung der Osteoklasten aus den Vorläuferzellen gehemmt und der Knochenabbau gestört. Gegenüber den Bisphosphonaten ist das ein vollkommen neuer Wirkungsmechanismus, der sich auch klinisch bewährt hat. Dies und die subkutane Injektion alle sechs Monate rechtfertigen es, Denosumab nach dem heutigen Kenntnisstand als Sprunginnovation zu bezeichnen.
Dagegen ist Pazopanib nach Sunitinib und Soratinib (beide seit 2006 in der Therapie eingeführt) der dritte Tyrosinkinaseinhibitor, der zur Therapie des Nierenzellkarzinoms zugelassen wurde. Pazopanib ist zwar mit Auflagen zur First-line-Therapie zugelassen, trotzdem kann zurzeit die Substanz nur als Analogpräparat (Scheininnovation) bewertet werden.
Professor Dr. Hartmut Morck