Hoffnung auf das Gesetzesverfahren |
13.07.2010 14:30 Uhr |
Von Werner Kurzlechner, Berlin / Nichts überstürzen mit der Neuordnung des Arzneimittelmarktes! Das raten Experten dem Gesetzgeber – und drücken zugleich auf die Tube. Denn die geplante Schnellbewertung innovativer Medikamente könne zügiger ablaufen als bislang vorgesehen.
Mit der Klarheit kehrt allerorten auch die Ernüchterung ein: Höhere Beiträge für die Versicherten und ein bisschen Kostendämpfung – das scheint im Kern übrig geblieben vom angekündigten Reformwerk des Bundesgesundheitsministers Philipp Rösler (FDP). Bei Interessengruppen und Experten ist die Hoffnung aber noch nicht ganz geschwunden, zumindest auf das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) noch Einfluss nehmen zu können. Vergangene Woche gab es dazu die erste Lesung im Bundestag. Im Vorfeld hatte die Unternehmensberatung RS Medical Consult gemeinsam mit BDI initiativ, der Initiative Wirtschaft für Gesundheit des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, hochrangige Experten zur Diskussion zusammengetrommelt. Dezidiertes Ziel: Kritik üben, solange noch nichts endgültig verabschiedet ist. Und diese fiel durchaus massiv aus.
Die Professoren Wolf-Dieter Ludwig (links) und Volker Ulrich tauschen sich über die Neuordnung des Arzneimittelmarktes aus.
Foto: PZ/Zillmer
Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Onkologe in Berlin und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, zeigte eine Fotomontage: ein Schaf mit Schweinekopf, Eutern und offenkundigen Brutfähigkeiten. Eine Eier legende Wollmilchsau könne man vom Gesetzgeber nicht erwarten, so Ludwig. Besser möglich als geplant wäre dennoch so manches. »Eine Schnellbewertung der Wirksamkeit und Sicherheit neuer Arzneimittel ist unverzichtbar«, sagte Ludwig, soweit in Einklang mit den Absichten des AMNOG. Allerdings wird nach Ansicht des Krebsforschers unnötig Zeit verschenkt.
Frühe Bewertung nicht früh genug
Die vorgesehene frühe Nutzenbewertung, die nach den Plänen der Bundesregierung als Grundlage für Vergütungsverhandlungen zwischen Hersteller und Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) dienen soll, könnte nach Ansicht Ludwigs problemlos bereits zum Zeitpunkt der sogenannten »Positive Opinion« beginnen. Start der Prüfung durch unabhängige Institutionen wäre dann der Moment, in dem die europäische Zulassungsbehörde EMA die Zulassung nahezu sicher in Aussicht stellt und nicht erst der Zeitpunkt der Zulassung selbst. So würden drei bis vier Monate weniger verstreichen, in denen die Pharmaindustrie die Erstattungshöhe diktieren könne, so Ludwig. Er wies außerdem darauf hin, dass es zur Orientierung für den Gesetzgeber mittlerweile Vorbilder in diversen europäischen Ländern gebe. In Schottland beispielsweise erfolge die Schnellbewertung neuer Wirkstoffe in der Regel nach 18 Wochen, wenngleich das Verfahren dort auch seine Schwächen aufweise. Der Arzneimittelexperte plädierte für ein »Horizon Scanning« im Vorfeld der Schnellbewertung. Dazu müssten die Hersteller alle eigenen Studien verfügbar machen, damit unter anderem Behandlungsalternativen verglichen werden könnten. Nach Zulassung und Schnellbewertung seien unabhängige und versorgungsrelevante Studien in verstärktem Maße nötig, so Ludwig.
Als Vertreter der Pharmabranche zeigte sich Dierk Neugebauer, Geschäftsführer Market Access bei Novartis Deutschland, konziliant. Sein Unternehmen habe keine Bedenken, die eigenen Rohdaten für unabhängige Prüfungen zur Verfügung zu stellen. Allerdings müsse klarer als im Gesetzentwurf herausgearbeitet werden, wer auf welche Weise die Bewertung vornimmt. »Die Methode ist nicht klar, uns fehlt Planungssicherheit«, so Neugebauer.
Die Sorgen der pharmazeutischen Industrie, aufgrund der vorgesehenen Stellung des GKV-Spitzenverbandes in den Erstattungsverhandlungen mit einem Nachfragemonopol der Krankenkassen konfrontiert zu werden, werden auch abseits der Branche geteilt. Ivor Parvanov, Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Deutschen Industrie, sprach sich dezidiert gegen Verhandlungen einzelner Unternehmen mit dem Krankenkassenverband aus. Zugleich lobte er allerdings als richtigen Schritt, dass für die Kassen künftig wie für andere Unternehmen das Kartellrecht in vollem Umfang gelten soll.
Auch der Ökonom Professor Dr. Volker Ulrich von der Universität Bayreuth sagte, dass aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht im Zweifel immer dezentrale Lösungen zu bevorzugen seien. Zugleich mahnte er an, die Neuordnung des Arzneimittelmarktes nicht zu überstürzen und die Erfahrungen in anderen Ländern in aller gebotenen Sorgfalt zu analysieren. »Mein Plädoyer ist: Wir sollten uns die Zeit nehmen, um in aller Vernunft über die Grenzen zu schauen«, sagte Ulrich. /