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OTC-Analgetika

Ohne Rezept nur noch für vier Tage

03.07.2012  17:34 Uhr

Von Maria Pues / Am Dienstag voriger Woche tagte der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht in Bonn. Besonders zwei seiner Empfehlungen wurden mit großer Spannung erwartet, nachdem die Entscheidung über die betreffenden Anträge bereits etliche Male verschoben worden war.

Die beiden mit größter Spannung beobachteten Anträge standen ganz oben auf einer umfangreichen Tagesordnung: Sollen die Packungsgrößen von OTC-Analgetika begrenzt werden? Und soll Paracetamol grundsätzlich der Verschreibungspflicht unterstellt werden? Zwar haben die Beschlüsse des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn nur empfehlenden Charakter für das Bundesgesundheitsministerium, das über die Einstufung entscheidet. Häufig folgt jedoch das Ministerium den Empfehlungen des Ausschusses.

Acetylsalicyläusre (ASS), Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen soll es demnach zukünftig rezept­frei nur noch in Packungsgrößen geben, die einem Vier-Tages-Bedarf entsprechen. Größere Packungen unterliegen dann der Verschrei­bungs­pflicht. Davon nicht betroffen ist ASS zur Anwen­dung als Thrombozytenaggregationshemmer. Eine Packung ASS 500 mg Tabletten darf dann maximal 24 Stück enthalten. Bei Di­clofenac 12,5 mg wären es 24, bei 25 mg zwölf Tabletten. Eine Packung Ibuprofen 200 mg Tabletten dürfte maximal 24 Stück enthalten, Ibuprofen 400 mg zwölf Stück. Packungen mit Naproxen à 250 mg dürften ebenfalls maximal zwölf Tabletten enthalten.

 

Alles beim Alten bei Paracetamol

 

Eine vergleichbare Regelung gibt es für Paracetamol bereits seit dem 1. April 2009. Packungen, die mehr als 10 g dieses Wirkstoffs enthalten, unterliegen seitdem der Verschreibungspflicht. Den Antrag, Paracetamol vollständig der Verschreibungspflicht zu unterstellen, lehnte die Mehrheit der Sachverständigen ab. Den Antrag stellte Professor Dr. Kay Brune, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Erlangen. Er kritisiert unter anderem, dass das Risikopotenzial von Paracetamol unterschätzt werde. Eine ausführliche Bewertung des Wirkstoffs durch die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) findet sich in der Pharmazeutischen Zeitung, Ausgabe 52/2011.

 

Ibuprofen/Pseudoephedrin möglicherweise rezeptfrei

 

Den umgekehrten Weg, nämlich aus der Verschreibungs- in die Apothekenpflicht geht – unter bestimmten Voraussetzungen – eine Fixkombination aus Ibuprofen und Pseudoephedrin zur Anwendung der akuten Rhinosinusitis im Zusammenhang mit weiteren Erkältungssymptomen wie Fieber und Schmerzen. Rezeptfreie Packungen dürfen maximal 4800 mg Ibuprofen und 720 mg Pseudoephedrin enthalten. Die Tagesdosen betragen maximal 1200 mg Ibuprofen und 180 mg Pseudoephedrin.

 

Auch vom Migränemittel Sumatriptan als Nasenspray könnte es nach dem Votum des Sachverständigenausschusses zukünftig eine rezeptfreie Variante geben. Diese darf – wie die kleine Packung der verschreibungspflichtigen Variante – pro Sprühstoß 20 mg und pro Packung 40 mg Sumatriptan enthalten. Für Therapieversuche experimentierfreudiger Kopfschmerzgeplagter ist das Nasenspray wie seine rezeptfreien oral anzuwendenden Vorgänger freilich nicht gedacht. Ein Arzt muss die Erstdiagnose gestellt haben; dann kann das Arzneimittel von Erwachsenen zwischen 18 und 65 Jahren bei akuten Kopfschmerzphasen im Rahmen von Migräneanfällen mit und ohne Aura eingesetzt werden. So können sich Migränepatienten im akuten Anfall rasch selbst helfen, wenn kein Arzt erreichbar ist.

 

Ebenfalls zur raschen Selbsthilfe, in diesem Fall akuter Durchfallerkrankungen bei Erwachsenen ab 18 Jahren, eignet sich Racecadotril (Tiorfan). Die Anwendungsdauer soll für die verschreibungsfreie Variante auf drei Tage und die Packungsgröße auf zehn Kapseln à 100 mg begrenzt werden.

 

Weitere Ausnahmen von der Verschreibungspflicht kann es zukünftig auch bei Nicotinersatzpräparaten geben. So empfiehlt der Sachverständigenausschuss, Nicotin-Nasensprays mit maximal 150 mg Nicotin in die Apothekenpflicht zu entlassen. Die Einzeldosis darf 1 mg betragen und die Tagesdosis 64 mg nicht überschreiten. Auch bei Kombination mit Nicotin-Pflastern beziehungsweise Tabletten, Lutschlabletten oder Kaugummis gilt diese Tageshöchstdosis.

Darüber hinaus empfiehlt der Sachverständigenrat, Datura-Arten und ihre Zubereitungen in homöopathischen Arzneimitteln zur oralen Anwendung, die nach den Herstellungsvorschriften 25 und 26 des Homöopathischen Arzneibuches hergestellt werden, sowie Arzneimittel mit dem Wirkstoff Benzyd­amin (Tantum verde®) zur Anwendung im Mund- und Rachenraum ebenfalls aus der Verschreibungspflicht zu entlassen.

 

Ein Antrag auf Entlassung von Ipratropiumbromid zur intranasalen Anwendung in einer Konzentration bis zu 0,06 Prozent (0,6 mg/ml) sowie Zubereitung aus Xylometazolin und Ipratropiumbromid und seinen Estern aus der Verschreibungspflicht wurde abgelehnt. Weiterhin verschreibungspflichtig bleiben auch zwei Wirkstoffe für die Anwendung am Tier: Milbemycinoxim und Praziquantel in einer Packungsgröße von maximal zwei Tabletten zur oralen Anwendung bei Hunden und Katzen sowie Praziquantel zur Anwendung an Reptilien.

 

Stellungnahmen zu den Empfehlungen

 

Der Ausschuss folgte mit seiner Empfehlung, die Packungsgrößen für OTC-Arzneimiitel zu begrenzen, einem Antrag des BfArM. Dessen Präsident Professor Dr. Walter Schwerdtfeger begrüßte laut Mitteilung das Votum des Sachverständigenausschusses als wichtigen Beitrag zur Stärkung des Verbraucherschutzes: »Für uns als Überwachungsbehörde steht außer Frage, dass eine übermäßige Anwendung von Schmerzmitteln im Einzelfall schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben kann. Dies hat die Auswertung wissenschaftlicher Studien ergeben. Risiken bestehen vor allem dann, wenn Schmerzmittel ohne ärztliche Kontrolle über mehr als vier Tage eingenommen werden.« Vielen Patienten seien diese Risiken nicht ausreichend bewusst. Eine Begrenzung der Packungsgrößen sei deshalb ein wichtiger Schritt für mehr Information und Sicherheit der Patienten.

 

Der Verband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) vertritt eine andere Position. Er hält eine Begrenzung der Packungsgrößen für rezeptfreie Arzneimittel »weder für sachlich geboten noch für zielführend«. So liege der Pro-Kopf-Verbrauch rezeptfreier Analgetika in Deutschland niedriger als in anderen Ländern. Anders als in manchen Nachbarstaaten kann man hierzulande diese Arzneimittel nur in Apotheken kaufen und nicht auch in Drogerie- oder Supermärkten. Verwende der Patient die betreffenden Arzneimittel maximal drei bis vier Tage, wie die Packungsbeilage es auch heute schon angibt, seien die Medikamente gut wirksam und sicher, so der BAH. Diesen Argumenten habe sich im vergangenen Jahr auch der Sachverständigenausschuss angeschlossen und in einer Sondersitzung gegen eine zu enge Begrenzung der Packungsgrößen gestimmt.

 

Nachdenklich äußert sich Erika Fink, Präsidentin der Bundesapothekerkammer (BAK), auf Anfrage der PZ. Bei den betreffenden Analgetika verkaufe sie auch heute schon selten Packungen mit mehr als 20 Tabletten, erklärte sie. Patienten würden größere Packungen meist dort erwerben, wo diese aggressiv über den Preis beworben würden. »Deshalb ist es auch zu verurteilen, dass mit Dumpingpreisen der Verkauf wirksamer Analgetika vorangetrieben wird«, betonte Fink. »Daran wird aber auch eine Änderung der verfügbaren freiverkäuflichen Packungsgrößen nichts ändern, fürchte ich.« Sie betont die Bedeutung der Beratung für den Verbraucherschutz: »Grundsätzlich denke ich, dass in jeder Apotheke zu jedem Analgetikum eine Beratung durchgeführt werden sollte, die dem sogenannten mündigen Patienten Nutzen und Risiken deutlich aufzeigt. Was ist aber, wenn dieser das subjektiv anders beurteilt? Und das wird er regelmäßig tun, wenn er Schmerzen hat. Genau diese Patienten werden dann aber zusehen, dass sie viele Tabletten bekommen, zur Not aus mehreren Apotheken.«

 

»Unser Instrument heißt Beratung, das des Gesetzgebers Verordnung. Wir glauben an die Urteilsfähigkeit des mündigen Patienten, der Gesetzgeber glaubt, die Patienten beeinflussen zu können, indem er ein Zeichen setzt – kleinere Packungen. Meine Lebenserfahrung zeigt, dass Beides bei einem Teil der Verbraucher wirken wird – und bei einem anderen nicht. Das ist nicht fatalistisch. Es ist nur so, dass die Entscheidung, ein Arzneimittel – besonders ein Analgetikum – zu nehmen, eine sehr individuelle Entscheidung ist und eventuell stark situationsabhängig. Das kann man nicht ein für alle Mal durch Verordnung regeln, da braucht es Entscheidungsspielraum.«  / 

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