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Pharmazeutische Betreuung

Mehr Klinik für die Offizin

19.06.2012  18:41 Uhr

Von Anna Hohle und Maria Pues, Velbert / Pharmazeutische Betreuung von Patienten, aber auch ein Experte für andere Experten – das Konzept von zwei Apothekern aus Velbert zeigt einen neuen Weg in der Versorgung.

Als Jochen Pfeifer die Auflistung sah, musste er erst einmal schlucken. Zwanzig verschiedene Medikamente nahm die 82-jährige Dame ein – einige davon waren laut Priscus-Liste für ältere Menschen ungeeignet. Der behandelnde Arzt habe bei der Vielzahl von Wirkstoffen den Überblick verloren, erzählt Pfeifer, und sich hilfesuchend an ihn und seinen Kollegen Andreas Niclas Förster gewandt.

Polymedikationen sind die Spezialität von Pfeifer und Förster. Der Chef der Adler-Apotheke in Velbert und sein Mitarbeiter, beide mit Lehrauftrag am College of Phar­macy der University of Minnesota (USA), haben das Konzept des »Consulting Pharmacist« nach Deutschland gebracht und modifiziert. Der Apothekerverband Nordrhein hat sie dafür in diesem Jahr mit dem zweiten Platz seines »Zukunftspreises öffentliche Apotheke« ausgezeichnet.

 

Über einen gesonderten Eingang abseits der Offizin erreichen Kunden einen speziellen Beratungsraum. Der Boden ist mit dunkel­rotem Teppich ausgekleidet, blassrosa Tapeten und ein Schlafsofa zeugen von der früheren Nutzung als Notdienstzimmer. Heute stehen vier Stühle um einen weißen Tisch in der Mitte des Raumes. Darauf ein Tablet-Computer – Pfeifers und Försters Werkzeug bei der Betreuung des Patienten. »Es wäre zu umständlich, in der Beratung erst lange in Büchern zu blättern«, erklärt Pfeifer und zeigt, wie er im Gespräch vorgeht. Nach wenigen Klicks erscheinen Einträge aus Lehrbüchern und Lexika auf dem Bildschirm. Mithilfe eines Programms erläutern die beiden Apotheker bei Bedarf Wechselwirkungen der eingenommenen Arzneimittel.

 

Ein langwieriger Prozess

 

Rund sechzig Minuten dauert ein solches Gespräch im Schnitt. Viele Patienten bringen zusätzlich Unterlagen zu ärztlichen Befunden und Laborwerten mit. Die Pharmazeuten beziehen diese Daten auf Wunsch in die Beratung ein. Häufig bleibt es nicht bei einem einzigen Termin. »Es ist ein langwieriger Prozess«, sagt Pfeifer. »Man lernt den Patienten und seine gesamte Medika­tion kennen.«

 

Pharmazeutische Betreuung, wie Pfeifer sie versteht, ist umfassender als die Beratungsgespräche, wie sie täglich in der Apotheke stattfinden, und auch als Betreuungskonzepte, wie es sie bereits für verschiedene Patientengruppen wie Asthmatiker oder Diabetiker gibt, oder das ABDA-KBV-Modell. Zu diesen wolle ihr Konzept keinesfalls in Konkurrenz treten, betont Pfeifer im Gespräch mit der PZ. Der Consulting Pharmacist versteht sich als Ergänzung.

 

Sein Fachwissen will ein Consulting Pharmacist nicht nur Patienten oder pflegenden Angehörigen, sondern auch Ärzten und Berufskollegen zur Verfügung stellen. In den USA, so Pfeifer, seien sogenannte »Drug Information Center« weitverbreitet – zentrale Anlaufstellen, in denen Pharmazeuten Fragen zur Arzneimittelanwendung beantworten. Nach Vorstellung von Pfeifer und Förster könnte der Consulting Pharmacist langfristig Ähnliches in Deutschland leisten. Die Idee: In ausgewählten inhabergeführten Apotheken sitzen Fachleute, die diffizile Arzneimittelprobleme lösen und Patienten wie Medizinern beratend zur Seite stehen, aber auch den eigenen Berufskollegen – ähnlich wie bei speziellen Rezepturproblemen, vergleicht Förster.

Bei der Beratung von Patienten gelte es, zwei Ziele in Einklang zu bringen, erklärt Pfeifer. Zunächst sind da die Wünsche des Patienten. Welche Symptome stören ihn am meisten? Was soll die Behandlung nach seiner Vorstellung bewirken? Daneben gibt es die Diagnose des Arztes, das Hauptproblem aus medizinischer Sicht. Beide zusammenzuführen und eine individuell optimierte Medikation zu entwickeln, ist das Bestreben der Apotheker.

 

Keine Konkurrenz

 

Auf keinen Fall wollen Pfeifer und Förster in Konkurrenz zum behandelnden Arzt oder einer Stammapotheke des Patienten treten. »Das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt ist für uns das A und O«, sagt Pfeifer. Wo der ratsuchende Patient seine Rezepte einlöst, spielt für die beiden keine Rolle. »Wir wollen durch unser Angebot keine Kunden gewinnen, sondern die Entwicklung der pharmazeutischen Betreuung vo­rantreiben«, betont Pfeifer.

 

Basis für die Tätigkeit eines Consulting Pharmacist sind unter anderem umfangreiche Kenntnisse in klinischer Pharmazie. Jungen Kollegen würden diese zwar während des Studiums vermittelt, aber in zu geringem Ausmaß, erläutert Pfeifer. Wichtig sei, die Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker zu trainieren, und zwar in Gruppenbesprechungen anhand der Bearbeitung komplexer Fällen. Ein weiteres Problem sehen Pfeifer und Förster darin, dass die Weiterbildung in klinischer Pharmazie nur im Krankenhaus durchgeführt wird. Die beiden Velberter Apotheker mit Lehrauftrag an der Universität von Minnesota setzen auf gegenseitiges Lernen, zum Beispiel indem sie deutsche und US-amerikanische Studenten zusammenbringen – auch ein Konzept, dass sich auszubauen lohnt.

 

In Vorleistung treten

 

Die Krankenkassen müssten mit dem Medikament sparen, nicht am Medikament, betont Pfeifer und kritisiert deren sektorales Denken. Dabei kann der Consulting Pharmacist einen entscheidenden Beitrag leisten. Weder Ärzte noch Versandapotheken könnten einen vergleichbaren Service bieten. »Wir müssen Politik und Krankenkassen zeigen, was wir wert sind«, sagt Pfeifer. Die Apotheker müssten allerdings erst einmal in Vorleistung treten: »Solange es nicht bezahlt wird«, fasst Pfeifer zusammen, »können viele Apotheken das nicht machen. Aber solange wir es nicht machen, wird es nie jemand bezahlen.« /

Der Zukunftspreis

Unter der Schirmherrschaft von Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) hat der Apothekerverband Nordrhein drei Apotheker aus seinem Verbandsgebiet mit dem »Zukunftspreis öffentliche Apotheke« ausgezeichnet. Ausgeschrieben war der Wettbewerb für zukunftsweisende Konzepte in der Offizin. Den zweiten Preis gewannen Jochen Pfeifer und Andreas Niclas Förster für ihr Konzept des »Consulting Pharmacist«, das wir in diesem Beitrag vorstellen. Ein Porträt der ersten Preisträgerin haben wir bereits veröffentlicht: Pflegeheime: Bessere Versorgung durch Apotheker, PZ 22/2012. Ein dritter Beitrag wird in einer weiteren Ausgaben der PZ folgen.

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