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Chronische Gicht

Krank von A bis Z

19.06.2012  17:02 Uhr

Von Annette Mende, Wiesbaden / Erstes Anzeichen einer Gicht ist sehr häufig eine schmerzhafte Schwellung des Großzehengrundgelenks. Auf Dauer richten zu hohe Harnsäurewerte jedoch nicht nur dort Schaden an. Unter einer chronischen Gicht leidet der gesamte Organismus – von A wie Auge bis Z wie Zeh.

»Gicht ist weit mehr als das, was im Lehrbuch steht«, sagte Professor Dr. Klaus Krüger aus München beim diesjährigen Internistenkongress in Wiesbaden. Der Rheumatologe sprach bei einem von der Firma Berlin-Chemie unterstützten Symposium über die Folgeerkrankungen der chronischen Gicht. Wo diese überall auftreten können, dürfte jeden erstaunen, der bisher davon ausging, dass die Beschwerden sich in der Hauptsache auf das Großzehengrundgelenk beschränken.

 

Harnsäurewerte senken

 

Richtig ist zwar, dass sich ein akuter Gichtanfall sehr häufig dort manifestiert. Die typischen Symptome Rötung, Schwellung, Wärme und starke Schmerzen können aber auch andere Gelenke betreffen. Auslöser der Beschwerden sind sogenannte Gicht­knoten oder auch Tophi, die größtenteils aus Harnsäurekristallen bestehen. »Wichtig ist, die Harnsäurewerte auch dann noch im Blick zu behalten, wenn der Anfall abgeklungen ist«, betonte Krüger. Für Patienten, die schon einmal einen Gichtanfall hatten, gelte heute ein Wert von weniger als 6 mg/dl als Behandlungsziel.

Wenn dieses Ziel dauerhaft verfehlt wird, kommt es immer wieder zu akuten Anfällen und die Erkrankung geht über in eine chronische Gicht. Mangelnde Compliance ist Krüger zufolge ein häufiger Grund für diese Entwicklung. »Ich habe selbst Patienten, die immer nur dann, wenn ihnen die Gelenke wehtun, ein paar Tage lang Allopurinol einnehmen, und es danach wieder weglassen«, berichtete er. Die Verantwortung für eine Chronifizierung der Gicht könne jedoch auch der behandelnde Arzt tragen, etwa indem er den Zielwert für die Einstellung nicht beachtet oder die Erkrankung erst gar nicht erkennt. Verwechslungsgefahr mit anderen entzündlich- rheumatischen Erkrankungen bestehe vor allem dann, wenn sich die Gicht an mehreren Gelenken bemerkbar macht.

 

Die Nieren und das gesamte Gefäßsystem können Schaden nehmen, wenn das Blut auf Dauer zu viel Harnsäure enthält. Viele Gicht-Patienten haben daher eine eingeschränkte Nierenfunktion und/oder eine koronare Herz­erkrankung. Zudem gebe es kaum einen Gicht-Patienten, der nicht auch an mehreren Komponenten des metabolischen Syndroms leide, so Krüger. Im Einzelnen sind das Adipositas, Dyslipid­ämie, Hypertonie und Typ-2-Diabetes.

 

Gicht zerstört Gelenke

 

Darüber, wie eine chronische Gicht dem Organismus schadet, hat die Wissenschaft in den vergangenen Jahren einiges dazugelernt. »Wir wissen heute, dass die Gicht eine über das Inflammasom vermittelte Erkrankung ist«, erklärte Krüger. Das ist ein intrazellulärer Proteinkomplex, der über mehrere Zwischenschritte das Enzym Caspase-1 aktiviert. Dieses wiederum triggert die Produktion proinflammatorischer Zytokine, vor allem des Interleukin-1β. »Es besteht also eine Verwandtschaft zwischen chronischer Gicht und entzündlich-rheumatischen Erkrankungen«, sagte der Arzt.

Pharmakotherapie

Im akuten Gichtanfall kommen folgende Arzneistoffe zum Einsatz:

 

Nicht steroidale Antirheumatika, zum Beispiel Indometacin

Glucocorticoide

Colchicin

 

Zur Dauertherapie der Gicht sind folgende Mittel verfügbar:

 

Allopurinol

Febuxostat

Benzbromaron

Probenecid

 

Allopurinol und Febuxostat hemmen die Xanthinoxidase und damit die Harnsäurebildung; sie sind sogenannte Urikostatika. Benzbromaron und Probenecid hemmen die tubuläre Rückresorption von Harnsäure und erhöhen so deren Ausscheidung im Urin; sie werden als Urikosurika bezeichnet.

Wie bei diesen komme es auch bei Gicht zu Zytokin-vermittelten Folgeschäden. So führe chronische Gicht ähnlich wie rheumatoide Arthritis zu Zerstörungen, Zysten und Erosionen der Gelenke. »Im Röntgenbild können Sie dann gar nicht mehr unterscheiden, an welcher Erkrankung der Patient leidet«, berichtete Krüger.

 

Gicht und Arthrose im Doppelpack

 

Eine weitere Folgeerscheinung der chronischen Gicht an Gelenken ist die Arthrose. »Chronische Gicht führt zu Arthrose. Umgekehrt treten Gicht­anfälle in Gelenken, die von Arthrose betroffen sind, besonders häufig auf«, so Krüger. Es sei ein Teufelskreis. Der Referent zitierte eine englische Untersuchung, in der die Wahrscheinlichkeit für einen Gichtanfall in arthrotischen Gelenken achtmal so hoch war wie in nicht vorgeschädigten Gelenken.

Der Zusammenhang zwischen Gicht und Arthose ist auch ein Grund dafür, dass sich Gichtanfälle besonders häufig im Großzehengrundgelenk manifestieren. Dies liege nicht nur daran, dass die niedrige Umgebungstemperatur und das saure Milieu die Entstehung von Uratkristallen begünstigt. »Ein Faktor ist sicherlich auch, dass dieses Gelenk besonders häufig von einer Arthrose betroffen ist.«

 

Gicht-Tophi finden sich bei Patienten mit chronischer Gicht nicht nur in peripheren Gelenken, sondern gar nicht so selten auch in der Wirbelsäule. Dort würden sie häufig nicht bemerkt, »aber wohl nur deshalb, weil man nicht danach sucht«, sagte Krüger. Die Ablagerungen in der Wirbelsäule verursachten nicht immer Probleme. Mitunter komme es dadurch aber sogar zu akuten Symptomen wie Lähmungserscheinungen und Reflex­abschwächung.

 

Harnsäurekristalle können als Nährboden für Mirkoorganismen dienen. Infektionen von Gelenken, die durch Gicht vorgeschädigt sind, sind daher Krüger zufolge sehr langwierig und schwierig in den Griff zu bekommen. Ein bleibender Schaden des Gelenks sei die Regel, häufig müsse das Gelenk letztlich sogar durch eine Endoprothese ersetzt werden.

 

Komplikation rotes Auge

 

Wenig bekannt, aber laut Krüger gar nicht so ungewöhnlich ist, dass chronische Gicht auch zu roten Augen führen kann. Die Rötung betreffe üblicherweise beide Augen und könne sich trotz intensiver Lokaltherapie über Monate hinziehen. Die Ursache für dieses Phänomen sei noch nicht gefunden. Die Augen seien meist frei von Tophi, nur in Einzelfällen hätten Augenärzte Ablagerungen in der Hornhaut gefunden. »Möglicherweise sind es Mikroablagerungen, die den chronischen Reizzustand hervorrufen«, erklärte Krüger.

 

Trotz all dieser möglichen Komplikationen hatte der Referent auch eine gute Nachricht: »Die Schäden, die eine chronische Gicht im Körper anrichtet, sind bis zu einem gewissen Grad reversibel.« Voraussetzung sei allerdings, dass der Patient die harnsäuresenkenden Medikamente zuverlässig einnimmt und seinen Lebenswandel umstellt. »Wenn das gelingt, kann man den Patienten auch vor weiteren Schäden bewahren«, schloss Krüger. / 

Ernährung bei Gicht

Da Harnsäure das Endprodukt des Purinstoffwechsels ist, sollten sich Gicht-Patienten purinarm ernähren. Das bedeutet:

 

Lebensmittel meiden, die reich an Purinen sind. Dazu gehören beispielsweise Innereien, Krustentiere und die Haut von Geflügel und Fisch, aber auch Hülsenfrüchte, Kohl und Spinat. Erlaubt sind 100 bis 150 Gramm Fleisch, Fisch oder Wurst pro Tag.

Zurückhaltung bei alkoholischen Getränken, da Alkohol die Ausscheidung von Harnsäure hemmt und die Bildung anregt. Bier ist aufgrund seines Puringehalts besonders problematisch – und zwar auch, wenn es alkoholfrei ist.

Erlaubt sind dagegen Kaffe, Tee und Kakao, da die darin enthaltenen Methylxanthine nicht zu Harnsäure verstoffwechselt werden.

 

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ernährung

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