Selten und bösartig |
29.05.2012 10:24 Uhr |
Eine besonders schwere Verlaufsform des Bluthochdrucks ist die maligne Hypertonie. Sie tritt relativ selten auf, hat aber eine schlechte Prognose. Anders als bei einem hypertensiven Notfall hat der Betroffene bereits Organschäden. Die Patienten brauchen sofortige Hilfe; allerdings darf der Blutdruck nicht zu schnell gesenkt werden.
Bei der malignen Hypertonie handelt es um ein Syndrom aus schwerer arterieller Blutdruckerhöhung, verbunden mit vaskulären Schäden, vor allem am Augenhintergrund und den Nieren. So definieren die Deutsche Hochdruckliga (DHL) und die Deutsche Hypertonie Gesellschaft die seltene Erkrankung in ihren Leitlinien zur Behandlung der arteriellen Hypertonie. Der diastolische, also der untere Blutdruckwert liege häufig über 140 mmHg.
Die Untersuchung des Augenhintergrunds gibt Hinweise auf allgemeine Gefäßerkrankungen. Dank moderner Diagnostik kann der Augenarzt auch Erkrankungen der Netzhaut frühzeitig erkennen.
Schon Publikationen aus den 1950er-Jahren zeigen, dass es sich bei der malignen Hypertonie um eine seltene Erkrankung handelt. Weniger als 1 Prozent der Hypertonie-Patienten sind davon betroffen.
Ärzte, Apotheker und Patienten sollten an die Möglichkeit einer malignen Hypertonie zum Beispiel bei Therapieresistenz denken. Auch wenn der Blutdruck nach längerer Zeit guter Einstellung dauerhaft ansteigt oder sein Tag-Nacht-Rhythmus aufgehoben ist, könnte das Syndrom zugrunde liegen.
Prinzipiell können sowohl Menschen mit bestehendem Hochdruck als auch mit bisher normalem Blutdruck an maligner Hypertonie erkranken. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen, schreibt Professor Dr. Alexander R. Rosenkranz vom Universitätsklinikum Graz in einem Übersichtsartikel im Journal für Hypertonie – Austrian Journal of Hypertension (2009, 13 (3), Seiten 18 bis 25). Als prädisponierende Faktoren nennt der Nephrologe Übergewicht, Diabetes, chronische Niereninsuffizienz und das Schlafapnoe-Syndrom.
Hochdruckdiagnose beim Augenarzt
Der extrem hohe Blutdruck (diastolisch bis zu 180 mmHg und systolisch bis zu 290 mmHg) ist unter Umständen gar nicht der Grund, warum der Betroffene zum Arzt geht. Ein typisches Symptom bei maligner Hypertonie sind neurologische Erscheinungen wie Kopfschmerzen und Schwindel. Eine gefährliche Folge ist die hypertensive Enzephalopathie mit Verwirrtheitszuständen und Koma.
Fundus hypertonicus Stadium IV: Gelegentlich ist der Augenarzt der Erste, der einen hohen Blutdruck erkennt, da der Betroffene die typischen Netzhautveränderungen hat. Das Bild zeigt einen Fundus hypertonicus, Stadium IV. Der Patient (Ende 20) sah seit einem Monat schlechter und gab auf Nachfrage Kopfschmerzen an. Sein Blutdruck lag bei 275/195 mmHg! Er wurde sofort mit Notarzt ins Krankenhaus eingewiesen.
Fotos: Berufsverband der Augenärzte
Der extreme Blutdruck schädigt die kleinen Gefäße des Auges massiv. Daher können viele Patienten deutlich schlechter sehen, einige erblinden sogar. Bei der Untersuchung des Augenhintergrunds kann der Arzt häufig Blutungen und ein Papillenödem erkennen (Abbildung). Patienten mit einer Retinopathie vom Grad III oder IV leiden meist auch an maligner Hypertonie.
Ferner kann es bei den Betroffenen zum Lungenödem, zur akuten Herzinsuffizienz und zu irreversiblen Nierenschäden kommen. Dann ist häufig eine Nierenersatztherapie (Dialyse) notwendig. Oft beschriebene allgemeine Symptome sind Schwäche, Übelkeit, Müdigkeit und Gewichtsverlust.
Die Inzidenz der malignen Hypertonie hat deutlich abgenommen – wahrscheinlich auch wegen der besseren Kontrolle des Blutdrucks durch Antihypertensiva. Unbehandelt hat die Erkrankung eine äußerst schlechte Prognose: Etwa die Hälfte der Patienten stirbt innerhalb eines Jahres. Wie kommt es zur malignen Hypertonie? Wahrscheinlich versagt infolge des permanent extrem hohen Blutdrucks in den Gefäßen die sogenannte vaskuläre Autoregulation.
Autoregulation außer Gefecht
Der auch als Bayliss-Effekt bezeichnete Vorgang beschreibt die reaktive Kontraktion der glatten Muskulatur der Gefäßwände bei intravasaler Druckerhöhung. Unter normalen Bedingungen wird dadurch das Gefäßendothel geschützt. Ist der Blutdruck permanent zu hoch, setzt die Autoregulation irgendwann aus. Das Gefäß dehnt sich, und das Endothel wird beschädigt und durchlässig. Das führt zum Austreten und zur Ablagerung von Plasmaproteinen und Fibrinogen in der Gefäßwand.
Letztlich resultiert ein Gefäßverschluss, der eine Ischämie verursachen kann. Der Leitlinie der DHL zufolge haben Untersuchungen gezeigt, dass es nicht nur zu einer myointimalen Proliferation, sondern auch zur fibrinoiden Nekrose kommt.
Die Leitlinien zum Behandlung der arteriellen Hypertonie (Juni 2008) sind hier zu finden (externer Link).
Blutdruck runter, aber langsam
Oberstes Therapieziel ist die rasche, aber nicht allzu schnelle Blutdrucksenkung. In der DHL-Leitlinie wird eine Senkung des diastolischen Blutdrucks auf 100 bis 110 mmHg innerhalb von 24 Stunden empfohlen. Ähnliche Angaben finden sich in dem Übersichtsartikel von Rosenkranz. Demnach sollte der Blutdruck innerhalb der ersten zwei Stunden in der Regel um nicht mehr als 20 Prozent des Ausgangswerts gesenkt werden. Zielwert nach einem Tag sind 160/110 mmHg. Das ist zwar immer noch zu hoch, aber der Patient schwebt nicht mehr in akuter Gefahr.
Eine zu schnelle Blutdrucksenkung ist deshalb gefährlich, weil sie zur zerebralen oder kardialen Ischämie führen kann. Denn normale Blutdruckwerte reichen bei vorgeschädigten und verengten Gefäßen mit gestörter Autoregulation unter Umständen nicht mehr aus, um die Organe ausreichend zu durchbluten. Erst im Lauf der Behandlung sollten Normalwerte angestrebt werden.
Die DHL macht keine Angaben, welche Antihypertensiva bei maligner Hypertonie bevorzugt werden sollten. Rosenkranz zitiert eine Metaanalyse der Cochrane Library. Danach fehlen ausreichend Studien, um den Vorteil einer bestimmten Wirkstoffgruppe gegenüber den anderen beim hypertensiven Notfall zu belegen. Der Nephrologe schlägt deshalb vor, die Auswahl des Arzneistoffs nach den klinischen Symptomen, den Endorganschäden und möglichen Kontraindikationen auszurichten und eine parenterale Gabe zu bevorzugen. Intravenös appliziertes Urapidil eigne sich zum Beispiel wegen des schnellen Wirkeintritts und der guten Steuerbarkeit.
In Abhängigkeit von der Organmanifestation können auch andere Substanzen zum Einsatz kommen, zum Beispiel die Betablocker Metoprolol und Esmolol, Glyceroltrinitrat (Nitroglycerin), Enalapril und Furosemid. Von Nifedipin sublingual rät Rosenkranz wegen möglicher Ischämien ab. /