Ausnahmen von der Regel |
29.05.2012 10:24 Uhr |
Von Sven Siebenand, Brigitte M. Gensthaler und Annette Mende / Bei neun von zehn Hypertoniepatienten entwickelt sich ein Bluthochdruck ohne erkennbare äußere Ursache. Ist dagegen der Auslöser bekannt, spricht man von einer sekundären Hypertonie. An ihrer Entstehung ist sehr häufig das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) beteiligt.
Mit der Aktivierung des RAAS reagiert der Körper normalerweise auf einen Blutdruckabfall, einen Natriummangel oder einen erhöhten Sympathikotonus. In einem ersten Schritt wird dabei aus Zellen des juxtaglomerulären Apparats der Nieren Renin in die Blutbahn abgegeben. Renin ist eine Protease, die vom aus der Leber stammenden Globulin Angiotensinogen das Dekapeptid Angiotensin I abspaltet. Dieses hat selbst keine biologische Wirkung, wird aber durch das Angiotensin Converting Enzyme (ACE) in das Octapeptid Angiotensin II gespalten. Angiotensin II, das Endprodukt dieser Reaktionskette, ist eine der stärksten blutdrucksteigernden Substanzen.
Angiotensin II entfaltet seine Wirkung über mehrere Mechanismen: Es bindet zum einen an Angiotensin-Rezeptoren, von denen es zwei Subtypen gibt (AT1 und AT2). Für den Blutdruckanstieg ist in erster Linie die Stimulation der AT1-Rezeptoren verantwortlich. Diese bewirkt sowohl eine Gefäßverengung, was den peripheren Widerstand erhöht, als auch eine Ausschüttung des Hormons Aldosteron, was durch eine vermehrte Wasser- und NaCl-Retention in der Niere das Blutvolumen steigert. Darüber hinaus drosselt Angiotensin II die Nierendurchblutung und aktiviert den Sympathikus.
RAAS außer Funktion
Pharmakologisch lässt sich das RAAS durch ACE-Hemmer, AT1-Blocker (Sartane) sowie den direkten Reninhemmer Aliskiren beeinflussen. Wie stark sich eine Hemmung dieses Systems auf den Blutdruck auswirkt, hängt davon ab, ob und wie sehr es bei Therapiebeginn aktiviert ist.
Nur bei fünf bis zehn Prozent der Menschen mit Bluthochdruck lässt sich eine klare Ursache für die Erkrankung finden. Dann spricht man von sekundärer Hypertonie.
Grafik: Fotolia/Jocky
Bei chronischer Herzinsuffizienz, aber auch unter der Einnahme von Diuretika versucht der Körper, den Blutdruck über das RAAS kompensatorisch anzuheben. Ein plötzlicher Therapiebeginn mit der Standarddosis eines RAAS-Hemmstoffs kann in diesen Fällen zu einem massiven Blutdruckabfall führen.
Umgekehrt lässt sich ein erhöhter Blutdruck durch RAAS-Hemmung nicht senken, wenn ihm ein primärer Hyperaldosteronismus zugrunde liegt. Ursache dieser auch als Conn-Syndrom bezeichneten Erkrankung ist meist ein Aldosteron-produzierender Tumor der Nebennierenrinde. Durch die stark erhöhte Konzentration des Mineralocorticoids Aldosteron steigt die renale Wasser- und NaCl-Retention massiv an und die Renin-Freisetzung kommt nahezu zum Erliegen.
Bluthochdruck infolge des Conn-Syndroms ist ein Beispiel für eine sogenannte sekundäre Hypertonie. Anders als die primäre oder essenzielle Hypertonie, deren Ursache unbekannt ist, hat die sekundäre Hypertonie immer einen spezifischen Auslöser. Das ist zugleich Vor- und Nachteil: Im Gegensatz zum primären lässt sich der sekundäre Bluthochdruck meist kausal behandeln. Die Therapie muss aber so früh wie möglich beginnen, da das Gefäßsystem durch die dauernde Überlastung sonst irreparablen Schaden nimmt.
Nierenschaden als Hypertonieauslöser
Eine eindeutige Ursache für den erhöhten Blutdruck und damit eine sekundäre Hypertonie liegt nur bei 5 bis 10 Prozent der Patienten vor. Die häufigste Form ist die renale Hypertonie, die meist durch eine Mangeldurchblutung der Nieren ausgelöst wird. Gründe für die renale Ischämie können eine Stenose der Aorta oder einer Nierenarterie sein, aber auch eine Verengung renaler Arteriolen und Kapillaren, etwa infolge einer Nierenentzündung (Glomerulonephritis).
Die renale Mangeldurchblutung aktiviert das RAAS: Der Blutdruck steigt an. Dasselbe bewirkt ein nennenswerter Verlust an funktionsfähiger Nierenmasse; dieser kann entweder durch Nierenerkrankungen oder eine Nierenlebendspende zustande kommen (Kasten).
Menschen, die zu Lebzeiten eine Niere spenden, können dadurch eine sekundäre Hypertonie entwickeln. Sie erleiden jedoch in der Folge nicht häufiger Herzinfarkte oder Schlaganfälle als ähnlich gesunde Menschen, die keine Niere gespendet haben. Das geht aus einer kürzlich im »British Medical Journal« publizierten Studie hervor (doi: 10.1136/bmj.e1203). Kanadische Forscher hatten darin das Herz-Kreislauf-Risiko von mehr als 2000 Nierenlebendspendern mit dem von rund 20 200 anderen Personen verglichen.
Ergebnis: In den ersten zehn Jahren nach dem Eingriff hatten Spender sogar ein etwas niedrigeres Risiko für schwere Herz-Kreislauf-Ereignisse und Tod als die Vergleichspersonen. Die Autoren begründen das damit, dass zu einer Lebendspende nur überdurchschnittlich gesunde Menschen zugelassen werden. Der Einfluss dieser Auswahl ließ sich offenbar auch dadurch nicht ausgleichen, dass die Vergleichspersonen in der Studie ebenfalls aus dem gesündesten Segment der Bevölkerung rekrutiert worden waren.
ACTH hoch, Blutdruck hoch
Weitere mögliche Ursachen einer sekundären Hypertonie sind das adrenogenitale Syndrom, das Cushing-Syndrom und das Phäochromozytom. Allen drei liegen hormonelle Störungen zugrunde.
Beim adrenogenitalen Syndrom wird die Cortisol-Bildung infolge verschiedener Enzymdefekte blockiert. Infolge reduzierter bis fehlender Rückkopplung wird vermehrt adrenocorticotropes Hormon (ACTH) freigesetzt. Dieses wiederum kurbelt die Produktion und Ausschüttung von mineralocorticoid wirksamen Cortisol-Vorstufen an, was den Blutdruck steigen lässt.
Ursache des Cushing-Syndroms sind ebenfalls zu hohe ACTH-Spiegel, für die unter anderem ein ACTH-produzierender Tumor des Hypophysenvorderlappens verantwortlich sein kann. Anders als beim adrenogenitalen Syndrom ist beim Cushing-Syndrom die Cortisolbildung nicht gestört und die Nebennierenrinde reagiert auf die hohen ACTH-Spiegel mit vermehrter Cortisol-Freisetzung. Dessen mineralocorticoide Wirkung führt zur Hypertonie.
Kennzeichen des Phäochromozytoms sind sehr hohe Spiegel der Catecholamine Adrenalin und Noradrenalin, die von einem Tumor im Nebennierenmark produziert werden. Infolge des erhöhten Sympathikotonus steigt der Blutdruck.
Über die vegetative Steuerung können auch Erkrankungen des Gehirns wie Hirnentzündung (Enzephalitis), Hirnödem und Hirntumoren eine Hypertonie auslösen. Sie können eine zentralnervöse Reizung des Sympathikus bewirken. In diesen Fällen spricht man von einem neurogenen Bluthochdruck. /
Brigitte M. Gensthaler studierte Pharmazie in München und erhielt 1984 die Approbation als Apothekerin. Nach mehrjähriger Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke wechselte sie in die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung. Seit Anfang der 1990er-Jahre arbeitet sie im Münchener Redaktionsbüro der Pharmazeutischen Zeitung. Sie leitet das Ressort Titel.
Annette Mende studierte Pharmazie in Bonn und erhielt 2002 die Approbation als Apothekerin. Sie arbeitete mehrere Jahre in einer Krankenhaus- und verschiedenen öffentlichen Apotheken in Schweden und Deutschland. Nach Volontariat bei der Springer-Medizin-Verlagsgruppe und Tätigkeit als Redakteurin im Newsroom der Ärzte Zeitung wechselte sie 2011 in das Berliner Büro der PZ.
Sven Siebenand studierte Pharmazie an der Martin-Luther-Universität in Halle. Die Approbation als Apotheker erfolgte 2001 nach dem Praktischen Jahr in der pharmazeutischen Industrie und der öffentlichen Apotheke, wo er im Anschluss mehrere Jahre tätig war. Seit seinem Volontariat bei der Pharmazeutischen Zeitung arbeitet er bei der PZ, seit 2010 ist er stellvertretender Chefredakteur.