Mangel ist weit verbreitet |
19.04.2011 13:51 Uhr |
Von Annette Mende, Berlin / Wird der Vitamin-D-Mangel in Deutschland überbewertet? Eine medizinische Fachgesellschaft hat in einer Pressemitteilung vor Kurzem diese Meinung vertreten. »Unverantwortlich« nannten Experten jedoch diese Einschätzung bei einer Fortbildungsveranstaltung zum Thema Vitamin D.
»Gefährliche Vitamin-D-Mangelerscheinungen sind in Deutschland erfreulicherweise selten«, erklärte der Bochumer Professor Dr. Helmut Schatz, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Anfang Februar dieses Jahres. Auch im Winter, wenn die Haut mangels Sonnenlicht weniger Vitamin D produziert, seien ausgeprägte Mangelzustände mit weniger als 10 ng pro ml Blut sehr selten. Die meisten Menschen hätten auch in unseren Breitengraden im Winter nur unbedenklich niedrigere Vitamin-D-Spiegel als im Sommer.
Sonne tanken: Kurze, bewusste Sonnenbäder etwa dreimal pro Woche sorgen für eine ausreichende Vitamin-D-Produktion. Sonnenschutz ist dabei kontraproduktiv.
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»Leider hat diese Botschaft der DGE weite Verbreitung gefunden«, sagte der Ökotrophologe Professor Dr. Nicolai Worm von der Deutschen Hochschule für Gesundheitsmanagement Saarbrücken beim »Vitamin-D-Update« Anfang April in Berlin. Tatsächlich hat aber in Deutschland mehr als jeder Fünfte in den Wintermonaten 10 ng/ml oder weniger der Speicherform 25-Hydroxy-Vitamin-D3 im Blut. Das zeigt eine repräsentative Untersuchung durch das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (Max-Rubner-Institut) aus den Jahren 2005 bis 2008. Werte unter 20 ng/ml und damit laut Osteoporose-Leitlinie des Dachverbands Osteologie einen Vitamin-D-Mangel hat im Jahresdurchschnitt deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung, in den Wintermonaten sind es sogar mehr als zwei Drittel. »Das finde ich nicht sehr selten«, so Worm.
Für diesen schlechten Vitamin-D-Status der Allgemeinbevölkerung ist aus Sicht von Professor Dr. Jörg Reichrath von der Uniklinik des Saarlands vor allem die in Kampagnen zur Hautkrebs-Prävention vertretene »No-sun-policy« verantwortlich. »Den Einfluss der Sonne auf das Hautkrebsrisiko muss man aber durchaus differenziert betrachten«, sagte der Dermatologe. Richtig sei, dass UV-Strahlung für die Entstehung von kutanen Basalzellkarzinomen (Basaliome) und kutanen Plattenepithelkarzinomen verantwortlich ist. Diese auch als heller Hautkrebs bezeichneten Karzinomarten sind sehr viel häufiger, aber auch weniger aggressiv als der schwarze Hautkrebs, das maligne Melanom. »Basaliome metastasieren nicht, kutane Plattenepithelkarzinome können metastasieren und Melanome metastasieren rasch«, fasste Reichrath zusammen.
Für den hellen Hautkrebs gibt es neben der UV-Strahlung einen weiteren wichtigen Risikofaktor: das Alter. Reichrath zeigte Daten des schleswig-holsteinischen Krebsregisters, wonach die Inzidenz des hellen Hautkrebses mit dem Alter steil ansteigt. »Die Zunahme der Fallzahlen des hellen Hautkrebses könnte also auch der demografischen Entwicklung geschuldet sein«, sagte Reichrath. Im Zusammenhang mit dem malignen Melanom hat niedrig dosierte, chronische UV-Exposition dem Experten zufolge eher einen schützenden Effekt. Intensive, kurzzeitige UV-Bestrahlung, vor allem Sonnenbrände in der Kindheit, erhöhen dagegen das Melanomrisiko. »Solche komplexen Botschaften sind der Allgemeinheit in Antihautkrebs-Kampagnen aber nur schwer zu vermitteln«, meinte Reichrath.
Um genügend Vitamin D zu bilden, sollte man Reichrath zufolge im Frühling, Sommer und Herbst zwei- bis dreimal pro Woche mindestens 18 Prozent der Körperoberfläche, also beispielsweise Gesicht, Hände und Arme, ohne Sonnenschutzmittel der Sonne aussetzen. Die Länge der benötigten Exposition richtet sich dabei nach dem Hauttyp. Sie sollte etwa ein Drittel bis die Hälfte der minimalen Erythemdosis, also der Sonnenmenge, ab der die Haut sich rötet, betragen. Im Winter bildet die Haut in unseren Breitengraden dagegen nahezu kein Vitamin D, da die Sonnenstrahlen in einem flacheren Winkel einfallen und das für die Vitamin-D-Synthese wichtige UV-B-Licht von der Atmosphäre herausgefiltert wird. Auch im Sommer kann der konsequente Gebrauch von Sonnenschutzmitteln mit hohem Lichtschutzfaktor die Vitamin-D-Produktion der Haut stark einschränken.
Um einem Vitamin-D-Mangel vorzubeugen, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), täglich 200 Internationale Einheiten (IE) mit der Nahrung aufzunehmen. Für Kleinkinder, Senioren und Schwangere gilt eine höhere Empfehlung, nämlich 400 IE täglich. »Mit einer fettarmen Ernährung, wie sie die DGE ebenfalls empfiehlt, ist diese Dosis aber nicht zu erreichen«, sagte Worm. Denn das lipophile Vitamin D ist vor allem in fettreichen Nahrungsmitteln wie Fisch und Fischöl sowie in geringerer Menge in Eiern, Innereien, Käse und Vollmilch enthalten. Folgerichtig zeigte sich bei der nationalen Verzehrstudie 2008, dass in Deutschland Männer im Schnitt nur 160 IE Vitamin D pro Tag mit der Nahrung aufnehmen, Frauen sogar nur 124 IE. Der Ernährungswissenschaftler hält daher eine Vitamin-D-Zufuhr über Nahrungsergänzungsmittel für dringend erforderlich.
Vitamin-D-Mangel durch Arzneimittel
Auch Arzneimittel können einen Vitamin-D-Mangel auslösen. Darauf wies der Apotheker Uwe Gröber von der Akademie für Mikronährstoffmedizin in Essen hin. Als Beispiele nannte Gröber das Antiepileptikum Carbamazepin, das Corticosteroid Dexamethason, die antiretroviralen Virustatika Nevirapin und Efavirenz sowie die Zytostatika Docetaxel und Paclitaxel. Bei einigen Wirkstoffklassen erhöht ein Vitamin-D-Mangel Gröber zufolge das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. So kommt es unter der Therapie mit Aromatasehemmern vermehrt zu Gelenkschmerzen (Arthralgie), bei Statin-Einnahme zu Muskelschmerzen (Myalgie) und bei der Chemotherapie mit Zytostatika zu Entzündungen der Schleimhäute (Mukositis und Stomatitis), wenn die Patienten Vitamin-D-defizient sind.
Zu den negativen Auswirkungen eines Vitamin-D-Mangels auf die Gesundheit hat es in den vergangenen Jahren viele Untersuchungen gegeben (lesen Sie dazu auch Vitamin D: Prophylaxe gegen Krebs und chronische Krankheiten? PZ 50/2010). Erwiesen ist, dass eine ausgeprägte Vitamin-D-Defizienz bei Kindern zu Rachitis und bei Erwachsenen zu Osteomalazie führt sowie zur Osteoporose beitragen kann. Beim Vitamin-D-Update wurden Studienergebnisse vorgestellt, die darüber hinaus einen positiven Einfluss des Vitamins auf verschiedene Organsysteme zeigen. Demnach erhöht ein Vitamin-D-Mangel das Risiko für Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, entzündliche Lungenerkrankungen wie Asthma und COPD, Autoimmunerkrankungen, Multiple Sklerose, Depression, Demenz und Morbus Parkinson. /